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Wandern in großen Höhen ist herrlich - kann aber auch riskant sein.

© dpa

Wandern in den Bergen: Die Gefahren des Gipfels

Mit dem Frühling steigt auch die Lust am Bergwandern. 11 000 Berliner machen im Deutschen Alpenverein mit. Doch in großen Höhen wird die Luft „dünn“, also sauerstoffarm. Wer sich nicht langsam anpasst, riskiert Übelkeit und Unfälle.

Es war nicht ganz ernst gemeint, eher eine Anregung zum Nachdenken. Trotzdem ist es schade, dass der 1000 Meter hohe Berg, den der Architekt Jakob Tigges im Rahmen seines Projekts „The Berg“ für das Tempelhofer Feld vorschlug, nicht gebaut wird. Mit Gipfel, Seilbahn, Skipiste, Berghütte, Gämsen und Edelweiß hätte er das Stadtbild Berlins sicher bereichert. So bleibt nach wie vor der Große Müggelberg in Köpenick mit 114 Metern die höchste natürliche Erhebung der Hauptstadt. Doch trotz – oder gerade wegen? – des Mangels an eigenen Bergen sind die Hauptstädter dem Alpinismus zugetan: Mit knapp 11 000 Mitgliedern ist die Sektion Berlin des Deutschen Alpenvereins (DAV) der drittgrößte Sportverein Berlins – nach Hertha und Union.

Und inzwischen sind auch zahllose Bewohner der sandigen märkischen Ebene dem Vorbild des Berliners Alexander von Humboldt gefolgt, der im Jahr 1802 zusammen mit dem Franzosen Aimé Bonpland als einer der ersten Europäer einen der höchsten erloschenen Vulkane der Erde erklomm: den Chimborazo in Ecuador. Humboldt schaffte es nicht auf den 6310 Meter hohen Gipfel, sondern machte auf einer Höhe von rund 5600 Metern kehrt. Das war sicher sehr vernünftig: Wir verdanken dem Naturforscher eine der ersten präzisen Beschreibungen der Höhenkrankheit, die ihn und Bonpland befiel. Sie hätte die beiden Naturforscher das Leben kosten können.

Die gefährlichste Folge: ein Ödem, also eine Wasseransammlung in der Lunge oder im Gehirn. Daran sterben immerhin 40 bis 50 Prozent der Betroffenen, wenn sie nicht schnell behandelt werden können. Trifft es die Lunge, dann drohen Atemnot, Husten und blutiger Auswurf, im Gehirn sind Bewegungsstörungen und Bewusstseinstrübung bis hin zum Koma die Folge.

Wie kommt es dazu? In der Höhe vermindert sich der Sauerstoffpartialdruck, also der Druck, den das Lebenselixier Sauerstoff im Luftgemisch ausübt. Die Luft enthält nicht mehr genug davon, wird also aus menschlicher Sicht „dünn“. Auf 5500 Metern Höhe – an diesem Punkt kehrte Humboldt um – beträgt dieser Druck nur noch die Hälfte des Wertes, den er am Meer erreicht. Der Mensch reagiert darauf ganz ähnlich wie bei anderen Formen von Stress: Er atmet stärker, erhöht die Häufigkeit seines Herzschlags und den Blutdruck. Der dauerhaft wirkungsvolle Trick, um das Blut mit Sauerstoff anzureichern, die Vermehrung der roten Blutkörperchen, gelingt dem Organismus erst nach einigen Tagen. Dann haben wir uns durch dieses natürliches „Doping“ an die Höhenluft angepasst.

„Die langsame Angleichung an die sauerstoffarme Umgebung ist der Schlüssel für einen sicheren Aufenthalt in mittleren und großen Höhen“, sagte der Lungenspezialist Rainald Fischer von der Universitätsklinik in München, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin, im Vorfeld des Forums Reisen und Gesundheit, das kürzlich zum 14. Mal im Rahmen der ITB im Berliner ICC stattfand. Medizinische Probleme von Reisen in große Höhen waren diesmal eines der Schwerpunktthemen.

Das wichtigste Medikament ist der rasche Abstieg

Bis zu einer Höhe von 5000 Metern sei es normalerweise kein Problem, im Blut denselben Sauerstoffgehalt herzustellen wie auf Seehöhe, versichert Fischer. Allerdings brauche man für die volle Akklimatisierung rund drei Wochen. So viel Zeit haben Trekkingtouren selten. Ein anderes Problem: Bei Gruppenreisen reagieren nicht alle Mitglieder gleich auf die Herausforderungen großer Höhe. Die Unterschiede beginnen schon beim Umgang mit den vergleichsweise leichten Symptomen der Höhenkrankheit wie Kopfschmerzen und Übelkeit, Schlaf- und Appetitlosigkeit. „Es gibt Bergsteiger, die solche Höhenprobleme einkalkulieren und in Kauf nehmen“, sagt Fischer. Anderen verderben sie den Urlaub gründlich. Kommen Erbrechen und Schwindel hinzu, wird es auf jeden Fall bedenklicher. Unfälle, die auf den ersten Blick nichts mit dem Sauerstoffmangel zu tun haben, können letztlich doch durch diesen begünstigt sein.

Mehr als 400 Bergsteiger haben in der Saison 2012 den Gipfel des Mount Everest erreicht, den mit 8848 Metern höchsten Berg der Erde. Rund 25 000 Menschen haben zumindest versucht, den 5895 Meter hohen Kilimandscharo zu erklimmen. „Die Bevölkerung wird älter, aber auch abenteuerlustiger“, kommentiert Tomas Jelinek, Wissenschaftlicher Leiter des Centrums für Reisemedizin in Düsseldorf. Strikt von Exkursionen in Höhen über 5000 Meter abraten würden die Mediziner Menschen, die unter einem Lungenhochdruck leiden, die gerade erst eine Erkrankung des Herzens durchgemacht haben oder unter einer deutlich eingeschränkten Lungenfunktion leiden.

Für alle übrigen ist Fitness nicht alles – sie müssen sich auch gut an die Höhe anpassen können. Neueinsteiger können vor der Tour beim Arzt ihre Höhentauglichkeit überprüfen lassen. Dabei muss man ein Luftgemisch einatmen, das wenig Sauerstoff enthält, dann werden die Sauerstoffsättigung des Bluts, die Pulsrate und der Herzrhythmus gemessen. Während des Anstieges selbst empfiehlt sich die Jo-Jo-Taktik: Pro Tag sollten nicht mehr als 1000 Höhenmeter bewältigt werden, für den erholsamen Schlaf mit ausreichend Sauerstoff sollte man anschließend wieder ein paar hundert Meter absteigen.

Fischer empfiehlt für die Reiseapotheke des „ambitionierten Alpinisten“ neben Verbandsmaterial und Schmerzmitteln auch das „Höhen-Triple“. Darunter versteht er drei Medikamente Acetazolamid, Prednisolon und Nifedipin – mitsamt genauer Gebrauchsanleitung für den Ernstfall. Das erste Medikament steigert die Atmung, das zweite behandelt ein Hirnödem, das dritte senkt den Lungendruck. Es ist beruhigend, sie alle drei dabei zu haben. Allerdings können sie nicht das vierte Heilmittel ersetzen – eines, das Alexander von Humboldt schon kannte: „Das wichtigste Medikament ist immer der rasche Abstieg“, betont Höhenmediziner Fischer.

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