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Gesundheit: „Warum ist der Himmel blau?“

Ein gutes Herz reicht nicht: Erzieherinnen brauchen ein Studium, fordert die Pädagogin Hilde von Balluseck

HILDE v. BALLUSECK (63)

ist Professorin an der Alice Salomon Fachhochschule Berlin und leitet einen neuen BachelorStudiengang für Erzieherinnen.

Foto: privat

Überall in Europa werden Erzieherinnen an Hochschulen ausgebildet, nur in Deutschland und Österreich nicht. Ihre Hochschule ist die erste, die nun einen Bachelor-Studiengang anbietet. Glauben die Deutschen, dass Erzieherinnen keine höhere Bildung brauchen, sondern vor allem ein gutes Herz?

Ja, traditionell ist das so. Dahinter steckt eine niedrige Bewertung der Arbeit mit Kindern – und ein veraltetes Frauenbild: Eine Frau kann nur entweder lieb oder klug sein. Aber Herz und Verstand widersprechen sich nicht! Am besten geht es Kindern, wenn sie mit Menschen aufwachsen, die lieb und klug sind. Pisa und andere Studien haben gezeigt, was herauskommt, wenn man die Bildung im frühen Kindesalter vernachlässigt. Gucken Sie sich die französischen Ecoles maternelles an – das sind Bildungseinrichtungen.

Und in deutschen Kitas läuft vieles schlecht, weil die Erzieherinnen nur an Fachschulen ausgebildet werden? Bis vor kurzem brauchten sie in vielen Bundesländern nur einen Realschulabschluss, in Berlin sogar nur einen erweiterten Hauptschulabschluss.

Es gibt sehr gute Fachschulausbildungen, und es gibt sehr viele engagierte Erzieherinnen. Aber sie stoßen oft an ihre Grenzen, auch wegen der Arbeitsbedingungen. Viele haben selbst das Gefühl, dass ihre Ausbildung nicht ausreicht. Die Bildungsprogramme für Kindergärten, die zurzeit in vielen Bundesländern erarbeitet werden, sind ein wichtiger Motor, um deutlich zu machen, wie wichtig die Arbeit der Erzieherinnen ist. Schon das Wort Erzieherin ist ja eigentlich unglücklich.

Warum?

Weil wir im Deutschen so tun, als gäbe es einerseits Erziehung und andererseits Bildung. Ungefähr so: Erst wird erzogen, und dann wird gebildet – als ob man bei Schuleintritt ein für alle Male genug erzogen wäre und als ob man im Kindergarten nichts zu lernen hätte! In anderen Sprachen wird das nicht so getrennt, da heißt beides „education“ oder ähnlich.

Wo liegen denn die Defizite in der Ausbildung der deutschen Erzieherinnen?

Der wichtigste Bereich ist natürlich die Sprachförderung. Tests wie Bärenstark haben gezeigt, wie schlecht viele Kinder bei Schuleintritt deutsch sprechen, auch deutsche Muttersprachler. Hinzu kommen Mathematik und Naturwissenschaften: Für viele Erzieherinnen sind die Naturwissenschaften ein Buch mit sieben Siegeln, und sie wissen nicht, wie man naturwissenschaftliche Erkenntnisse den Kindern spielerisch nahe bringen kann. Und auch bei der Förderung der künstlerischen und musikalischen Fähigkeiten sehe ich Verbesserungsbedarf.

Von Erzieherinnen wird heute vieles verlangt, was über die Arbeit mit Kindern hinausgeht …

Ja, in erster Linie Elternarbeit. Erzieherinnen müssen mit Eltern ganz unterschiedlicher Kulturen und Bildungsstufen umgehen können. Den Eltern mit Migrationshintergrund müssen sie klar machen, wie wichtig die deutsche Sprache und die Schule für die Zukunft ihrer Kinder sind. Sowohl den Eltern als auch den Kindern gegenüber müssen die Erzieherinnen aber auch zeigen, dass ihre Herkunftskultur geschätzt wird – etwa indem sie beim Vorlesen fragen, wie denn dieses Wort auf türkisch heißt, oder selbst ein paar türkische Worte sprechen.

Beim Stichwort Elternarbeit denkt man meistens an die so genannten bildungsfernen Schichten. Was ist mit den gebildeten Eltern?

Die haben oft Schwierigkeiten, ihren Kindern Grenzen zu setzen. Auch da kann eine Erzieherin wichtige Hinweise geben. Und das kann sie leichter, wenn sie eine gute Ausbildung hat und deswegen auch ein besseres Standing bei den Eltern.

Bisweilen hört man von den Ausbildungseinrichtungen, dass viele Schülerinnen den Erzieher-Beruf nur aus Verlegenheit wählen und gar nicht die intellektuellen Voraussetzungen dafür mitbringen.

In Berlin braucht man seit dem letzten Jahr das Abitur oder Fachabitur, um eine Ausbildung zu beginnen. Das finde ich im Prinzip richtig, weil dadurch die Bedeutung dieser Arbeit verdeutlicht wird und manche Frauen und Männer, die dafür in der Tat nicht geeignet sind, nicht mehr hereinkommen. Andererseits müssen wir auch Realschülerinnen den Zugang zum Erzieherberuf ermöglichen. Gerade junge Frauen mit Migrationshintergrund machen oft kein Abitur, weil sie die zweite Fremdsprache – die für sie eine dritte ist – nicht bewältigen. Viele von ihnen wären aber gute Erzieherinnen.

Erzieherinnen müssen mit immer schwierigeren Kindern aus unterschiedlichen Kulturen umgehen, dabei noch die Eltern einbeziehen, sie müssen etwas von Qualitätsmanagement verstehen, eigene Bildungspläne erstellen – sind sie nicht heillos überfordert?

In der Tat haben sie immense Aufgaben zu leisten, und deswegen ist es so wichtig, für gute Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Eins ist ja klar: Erzieherinnen können nicht alles auffangen, was eine verfehlte Integrationspolitik verbockt hat. Für mich sind sie und die Grundschullehrerinnen die Heldinnen der Nation, denn in den Kindergärten und Grundschulen wird die wirkliche Integrationsarbeit geleistet. Das muss honoriert werden – im Ansehen einerseits, im Geld andererseits.

Eine bessere Bezahlung ist bisher nicht in Sicht, und das Ansehen steigt auch nicht von heute auf morgen. Warum sollte eine junge Frau, ein junger Mann heute Erzieher werden wollen und Ihren Studiengang wählen?

Wenn man gerne mit Kindern arbeitet, ist das doch eine wunderbare Ausbildung, ein richtiges Universalstudium. Wo sonst kann man so viel über Menschen, über die Welt und sich selbst erfahren? Sprache, Psychologie, körperliche und geistige Entwicklung, Pädagogik, Kunst bis hin zu den Naturwissenschaften! Die Freie Universität hat uns zum Beispiel ein tolles Modul zu den Naturwissenschaften geliefert, da möchte ich selbst mitmachen: Ich möchte endlich wissen, warum der Himmel blau ist, warum das Wasser immer runter- und nicht raufläuft, und welche Geheimnisse unser Körper birgt …

Das Gespräch führte Dorothee Nolte.

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