zum Hauptinhalt

Gesundheit: Welcome to the Club

Ost-West-Forum im Kalten Krieg: Das Aspen-Institut brachte in den 80ern Politiker aller Seiten zusammen

Im Mai 1989, ein halbes Jahr vor dem Fall der Mauer, fand eine bemerkenswerte Tagung im Aspen-Institut statt. Die Ergebnisse veranlassten den Tagesspiegel zu der Schlagzeile „Glasnost in der DDR?“ Was die beiden Rektoren der DDR-Akademie für Gesellschaftswissenschaften auf der Aspen-Tagung verkündet hatten, hätte an sich auf die Seite eins des Tagesspiegels gehört. Aber die Bräuche im Aspen-Institut waren nun einmal so, dass keiner Person wörtliche Diskussionsbeiträge zugeordnet werden durften, es sei denn, er oder sie hatte vorab eine Einwilligung gegeben. Deswegen wurde die Sensation auf die hinteren Seiten verschoben.

Aber der Bericht blieb nicht ohne Folgen: Die zwei Akademierektoren, die Professoren Otto Reinhold und Rolf Reißig, mussten sich gegenüber Staatschef Erich Honecker rechtfertigen, weil sie es gewagt hatten, vor hochrangigen Regierungsvertretern der Amerikaner, Engländer, Franzosen und der Bundesrepublik Interna zu verbreiten, die noch nicht vom Zentralkomitee der SED abgesegnet worden waren.

Die Akademie für Gesellschaftswissenschaften war der Think Tank der SED und hatte in Meinungsumfragen festgestellt, dass es einen starken Wunsch nach mehr Demokratie in der DDR gab. Und so äußerten sich die Rektoren der Akademie im Aspen-Institut: „Sozialismus ohne Demokratie und ohne umfassende Verwirklichung der Menschenrechte wäre kein Sozialismus oder nur ein sehr unzulänglicher Sozialismus.“ Der Staat müsse „die Verwirklichung der Menschenrechte garantieren. Menschenrechte müssen einklagbar sein.“ Aber so weit wie die Akademie war das Zentralkomitee der SED ein halbes Jahr vor dem Fall der Mauer noch nicht.

Diese Konferenz im Aspen-Institut war eine der aufregendsten. Seit 1974 brachte das Aspen-Institut auf der Insel Schwanenwerder immer wieder Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und den strategischen Planungsstäben nach Berlin. Bundespräsidenten, Außenminister, Regierungsberater aus Ost und West gingen in Schwanenwerder aus und ein. Selbst die DDR hatte ein Interesse daran, zu dem Kreis der eingeladenen Länder zu gehören, obwohl das Aspen-Institut in West-Berlin angesiedelt war und die DDR West-Berlin als eine selbstständige politische Einheit betrachtete. Aber das Aspen-Institut war eine amerikanische Institution und sein Berliner Leiter Shepard Stone ein international bekannter Manager des politischen Tagungsgeschäfts.

In den 1980er-Jahren war Offenheit ein schwieriges Unterfangen, nachdem die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert war, der Westen die Olympischen Spiele in Moskau boykottierte und im Zuge der Raketenwettrüstung der amerikanische Präsident Ronald Reagan vom „Reich des Bösen“ sprach. Das brachte den Ost-West-Dialog fast zum Verstummen, im Aspen-Institut ging er weiter. Die Sowjets schickten ihre Experten, weil sie wussten, dass Shepard Stone einen guten Draht zu Regierungen und der politischen Klasse der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Bundesrepublik hatte.

Natürlich hatten die Amerikaner ein wachsames Auge auf die Deutschen, die sich durch Ronald Reagans Charakterisierung der Sowjetunion als „Reich des Bösen“ nicht hindern ließen, mit Politikern der DDR und der Sowjetunion weiter zu sprechen. Auch über so brisante Themen wie die Raketennachrüstung und die Risiken, dass Deutschland zum atomaren Schlachtfeld werden könnte. Da konnte es schon einmal passieren, dass die Amerikaner mit einer Mappe deutscher Zeitungsausschnitte nach Schwanenwerder kamen und deutsche Politiker und Journalisten zur Ordnung riefen, weil sie das so verdächtige Wort der „Equidistance“ gebraucht hatten. Wie unschicklich, wenn Deutsche mit gleicher Distanz über amerikanische und sowjetische Raketen sprachen, statt die amerikanischen als die guten Raketen und die sowjetischen als die bösen Raketen einzustufen.

Jedes Mal warteten die Vertreter aus den Regierungsstäben der westlichen Allianz voller Spannung, ob die Sowjets eine Delegation der Weißhaarigen oder eine Delegation der Vierzigjährigen schickte. Die Weißhaarigen erklärten den Kern der Veränderungen unter Gorbatschow als Wirtschaftsreform und wollten nur von der Perestroika reden. Die Vierzigjährigen sprachen von Glasnost und mehr Presse-und Meinungsfreiheit. Sie schienen begriffen zu haben, dass eine moderne Wirtschaft ohne eine Zivilgesellschaft nicht möglich war. Dennoch, auch sie seufzten vernehmlich über die Folgen von Glasnost: Was auch immer sie taten, es wurde öffentlich kritisiert. Da konnten die Amerikaner und Briten nur die Arme ausbreiten und „Welcome to the club“ rufen.

Shepard Stone nutzte die Bühne des Aspen-Instituts für viele Initiativen. Das deutsch-japanische Zentrum wurde auf Schwanenwerder vorbereitet. Das war eine denkwürdige Konferenz, auf der die weltweit bewunderten Japaner den Deutschen erklärten, was sie in der Bundesrepublik gesehen hätten, gereiche einem Industriemuseum zur Ehre. Hochmut kommt zuweilen vor dem Fall. Dass auch Japan einer langjährigen Finanz- und Wirtschaftskrise entgegenging, konnten die Japaner damals noch nicht ahnen.

Shepard Stone hatte in den letzten Jahren der Weimarer Republik an der damals weltberühmten Friedrich Wilhelms-Universität Unter den Linden studiert und promoviert. Deutsche Kultur und Wissenschaft, Wilhelm Furtwängler, Erich Kleiber und Max Reinhardt – diese Eindrücke hat er sein Leben lang nicht vergessen. Sein Engagement für den Aufbau der Freien Universität speist sich aus diesen Erinnerungen. Und so war er bei Kultur- und Wissenschaftstagungen im Aspen-Institut in seinem Element. Auch das Wissenschaftskolleg wurde als das erste Institute for Advanced Study nach amerikanischem Vorbild im Aspen-Institut konzipiert. Und die Leiter der Berliner Hochschulen und Forschungsinstitute fanden im Aspen-Institut einen Ort, wo sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne die Grabenkämpfe der Fraktionsuniversität miteinander reden konnten. Kein Wunder, dass die dankbare Stadt Berlin Shepard Stone zum Ehrenbürger ernannte.

Uwe Schlicht

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false