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Gesundheit: Weniger ist mehr

Die Berliner Universitäten planen zahllose Schwerpunkte, die die Wirtschaft sponsern soll. Experten mahnen zur Bescheidenheit

Viele Regionen in Deutschland denken daran, die Wissenschaft für die Wirtschaft in die Pflicht zu nehmen. Daraus sollen Cluster entstehen, von Hochschulen und gesellschaftlichen Kräften gemeinsam gesetzte Schwerpunkte. So jedenfalls haben es ehrgeizige Politiker und Manager – auch solche an den Hochschulen – ausgedacht. Aber nicht jeder Schwerpunkt an einer Universität eignet sich zu einem Cluster, sagt Günter Stock, Vorstandsmitglied der Schering AG und Sprecher der „Initiative an morgen denken“, ein Zusammenschluss von Berliner Unternehmern mit Repräsentanten der Hochschulen und Forschungsinstitute.

Denn ein Cluster sei mehr als ein Schwerpunkt in Medizintechnik oder etwa ein intelligentes, computergestütztes Verkehrssystem. Es müsse um die ganze Wertschöpfungskette von der Idee eines Wissenschaftlerteams über die Anmeldung von Patenten, die in der Wirtschaft in Produkte umgesetzt werden, bis zu neuen Arbeitsplätzen, betont Günter Stock.

Noch versucht sich Berlin im Wettbewerb der Großstädte und Regionen mit einer Vielzahl von Clustern aufzustellen. Dazu gehören Verkehr, Luft- und Raumfahrt, Optik, neue Materialien, Medizintechnik, molekulare Medizin, Medien und Kommunikation sowie die Kultur. Der nächstgrößere Hochschulstandort Hamburg setzt bewusst auf seinen Hafen, die Logistik, die für einen Hafenbetrieb entscheidend ist, die Luftfahrt, auf die Beziehungen zu China, auf die Nanotechnik – und auf die Medien und die Lebenswissenschaften. Es gibt unübersehbare Überschneidungen.

Die „Initiative an morgen denken“ mahnt da zur Besonnenheit. Es sei sinnlos, Cluster einfach zu erfinden und sie dann einer Region aufzudrücken. Besser sei es, Schwerpunkte von unten wachsen zu lassen, dann aber gezielt durch abgestimmtes Handeln von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu fördern. Zehn bis fünfzehn Jahre Zeit müsse sich Berlin dafür nehmen – also mehrere Legislaturperioden lang. Ob die Berliner Landespolitik, die sich seit Jahren kein eigenständiges Wissenschaftsressort mehr leistet, zu einem solchen langen Atem in der Lage ist ?

Die Cluster werden in Berlin jedenfalls nicht von allein wachsen, sondern bedürfen der Unterstützung durch die Politik, sagt Günter Stock.

Wie hilfreich öffentliche Mittel für die Cluster-Bildung sind, erläutert Rolf Sternberg von der Universität Köln am Beispiel von Silicon Valley, das wegen seiner sprunghaften Entwicklung der Computer weltweit als Vorbild gilt. Nur weil die amerikanische Weltraumbehörde Nasa massiv Mittel in diese kalifornische Region investiert habe, konnte sich dort die Elektronik so radikal entwickeln.

Frieder Meyer-Krahmer, Leiter eines Fraunhofer Instituts in Karlsruhe, warnt davor, sich zu verzetteln. Auf keinen Fall sollte sich Berlin gleich auf zehn Cluster stürzen; die Stadt könne höchstens zwei bis drei Cluster stemmen. Sternberg, von Hause aus Wirtschafts- und Sozialgeograf, drückte es noch ernüchternder aus: Jede größere Stadt in Deutschland und Europa sehne sich nach wissenschaftlichen Schwerpunkten, die von der Wirtschaft gesponsort werden.

Damit sei für Berlin zunächst eine unangenehme, aber realistische Bestandsaufnahme erforderlich. Denn eine Cluster-Politik lohne sich nur, wenn man damit national und international auch wahrgenommen werde. Auch Sternberg rät Berlin, sich auf wenige Cluster zu beschränken.

Die Berliner Universitäten, die sich zehn und mehr Schwerpunkte auf die Fahnen geschrieben haben, müssen nun nachdenken. Der Präsident der Freien Universität Dieter Lenzen glaubt, schon einen Ausweg gefunden zu haben: Je mehr Schwerpunkte sich unter dem Sammelbegriff eines Clusters unterbringen ließen, umso besser.

Uwe Schlicht

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