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Gesundheit: Wenn der Gurt brummt

Jeder zweite Lkw-Fahrer schläft einmal im Jahr am Steuer ein. Stuttgarter Forscher entwickeln Systeme, die Müdigkeit erkennen und bekämpfen

Hans Schrader ist müde. Seit 15 Jahren fährt der Brummifahrer Tag für Tag mit vierzig Tonnen über europäische Autobahnen – unter der Woche genauso wie an Wochenenden. Mehr als 200000 Kilometer legt der Fernfahrer pro Jahr zurück.

Mit Fragebögen hielt der Arbeitsmediziner Lutz-Erich Müller von der Universität in Tübingen fest, wie müde Fernfahrer tatsächlich sind. Dabei gaben 43 Prozent der Fahrer an, im vergangen Jahr mindestens einmal am Steuer eingenickt zu sein, viele dösten gleich elf Mal hinter dem Lenkrad ein. Meistens passiert zwar glücklicherweise nichts, aber im Durchschnitt, das ergab die Studie, kommt jeder Brummifahrer im Laufe seines Berufslebens auf 30 Beinaheunfälle durch Müdigkeit.

Das Problem ist nicht auf Lastwagenfahrer begrenzt. Knapp ein Drittel aller Unfälle gehen auf das Konto der Nickerchen am Steuer. „Die zweite Risikogruppe sind junge Männer zwischen 18 und 30 Jahren“, sagt Claus Marberger, Psychologe am Frauenhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation.

Im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts „Awake“ überlegen Marberger und seine Kollegen seit zweieinhalb Jahren, wie müde Fahrer erkannt und gewarnt werden können. Im Labor auf dem Campus der Stuttgarter Universität steht bereits der Prototyp eines Anti-Einschlafsystems, eine Idee, an deren Umsetzung Autohersteller seit Anfang der neunziger Jahre arbeiten .

„Awake hat die Chance in den nächsten zwei Jahren zumindest teilweise in die Serie zu gehen", sagt Marberger. Das System besteht aus mehreren Modulen, die unterschiedlich kombiniert werden können. Eine hinter Kunststoffverkleidungen versteckte Kamera wertet die Dauer der Lidschläge des Fahrers aus. Das Lenkrad misst mit Hilfe von Drucksensoren den Händedruck. Eine zweite Kamera beobachtet die Verkehrssituation und schließt auf Auffälligkeiten im Fahrverhalten. Entdeckt das System kritische Müdigkeit, kann es auf verschiedene Arten Alarm schlagen. „Entweder werden Assistenzsysteme wie Abstandsradar oder Kurvenwarnsystem scharf geschaltet oder es wird per Warnlicht, Gurtvibrator und Stimmausgabe gewarnt“, sagt Marberger.

In seinem Labor wird Big Brother hinterm Lenkrad entsprechend deutlich: Im Rückspiegel leuchtet ein Warndreieck auf, der Gurt brummt mit 130 Hertz und die Stimme aus dem Lautsprecher legt eine Pause auf dem nächsten Rastplatz nahe.

An der Auswahl der Warnmethoden haben die Forscher lange gefeilt. Mitten in der Nacht wurden Studenten zu Versuchen in den Fahrsimulator gebeten. „Wir können jetzt davon ausgehen, das die Warnungen gehört und akzeptiert werden und für den Fahrer hilfreich sind“, sagt der Psychologe. Wichtig ist es, müde Fahrer nicht zu erschrecken. Ein zusätzliches System sorgt deshalb dafür, dass bei starkem Verkehr die Warnungen leiser ausfallen als bei leeren Straßen.

Mittlerweile hat „Awake“ den Sprung aus auf die Straße geschafft. In Berlin, Brüssel und Turin sind bereits Prototypen unterwegs. „Während der Tests sitzen aber Beifahrer dabei“, sagt Marberger. Um einzugreifen, sollte Awake doch noch versagen.

Wem das neue Anti-Einschlafsystem allerdings dereinst helfen wird, ist noch nicht sicher. Gemäß den Vorgaben der Autohersteller ist es als „Komfortsystem“ konzipiert, Haftungen bei Fehlalarm ausgeschlossen und das Ausschalten nach einer Warnung also ausdrücklich erlaubt.

„Wollte man wirklich ein Sicherheitssystem, müsste man nach ausgesprochener Warnung tatsächlich den Motor sperren“, erklärt Marberger. An dieser Idee war aber bereits das Vorgängersystem von Awake – das so genannte „Save“-System – gescheitert. „So ein System wollte niemand im Auto haben“, sagt der Psychologe.

Ob Awake also einst eine Hilfe für übermüdete Brummifahrer sein wird, ist fraglich. Denn verantwortlich für deren Müdigkeit sind der Tübinger Studie zu Folge vor allem die unregelmäßigen Arbeitsbedingungen: Viele Fernfahrer schliefen zu wenig, zu falschen Tageszeitungen und unter widrigsten Bedingungen. Fast die Hälfte der Fahrer klagte über Schlafdefizit – im Schnitt eine Stunde pro Tag. Zwei Nächte pro Woche mussten die LKW-Lenker gar durchfahren.

Für müde Fernfahrer gäbe es also wirksame Alternativen zu dem warnenden Hightech-Beifahrer. Ein vernünftiger Schlafrhythmus zum Beispiel. Doch dann wären für einen Fahrer nur 140000 Kilometer im Jahr zu schaffen, auch das ist ein Ergebnis des Tübinger Mediziners. Die Wirklichkeit, fand Lutz-Erich Müller, sieht dagegen leider anders aus: „Fast zwei Drittel lag den Berechnungen nach über dieser Grenze.“

Tobias Beck

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