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Gesundheit: Wie aus dem Gesicht geschnitten

Männer bringen mehr Vaterliebe auf, wenn das Kind ihnen gleicht

In allen Kulturen der Welt besteht eine Tendenz, auf die Ähnlichkeit eines neugeborenen Kindes mit seinem Vater hinzuweisen. Es ist, als wenn die Menschen instinktiv ahnten, dass die körperliche Übereinstimmung für den Herrn Papa eine ganz besondere Bedeutung hat. Die neuesten Experimente belegen nun, dass die Bereitschaft, Vaterliebe zu investieren, bei Männern deutlich in die Höhe geht, wenn die Kinder wenigstens 25 Prozent der Gesichtszüge mit ihnen teilen.

Nach dem zentralen Dogma der Evolutionsbiologie haben in der Stammesgeschichte nur solche Verhaltensweisen Bestand, die ihren Trägern einen Vorteil bei der Vermehrung der eigenen Erbfaktoren bescheren. Das Investment in die eigenen Nachkommen gehört eindeutig zu diesen Strategien, da es direkt die Weitergabe der eigenen Gene unterstützt. Aber während Mütter sich immer völlig sicher sein können, dass ihr Kind ihr eigenes Fleisch und Blut ist, bleibt bei den Vätern dagegen immer zumindest ein Hauch von Ungewissheit zurück. Dass diese Vaterschaftsunsicherheit berechtigt ist, deckten kürzlich britische Forscher auf, als sie in verschiedenen Wohngegenden genetische Fingerabdrücke von Eltern und Kindern einholten. Der Anteil der „Kuckuckskinder“, die nicht vom vermeintlichen Vater stammten, betrug je nach Bezirk bis zu 30 Prozent, mit einem Mittelwert von neun Prozent.

Der Pflegeaufwand für ein Kind, das nicht die eigenen Gene trägt, wäre evolutionär gesehen eine Fehlinvestition. Demnach sollten Väter um so mehr Pflegeaufwand betreiben, um so größer ihre Vaterschaftssicherheit ist. In der Tierwelt vermeiden Väter das Investment in „untergeschobene“ Kinder, die mit Vernachlässigung oder gar Kindstötung (Infantizid) rechnen müssen. Eine der einfachsten Methoden, um die Vaterschaftssicherheit zu gewährleisten, würde darin bestehen, dem Kind körperliche Ähnlichkeit mit seinem Erzeuger zu verleihen.

Um zu testen, ob die Vaterliebe tatsächlich mit diesem äußerlich sichtbaren Gradmesser der Vaterschaftssicherheit wächst, hat ein Forscherteam um den New Yorker Psychologen Steven M. Platek Experimente mit durch „Morphing“ zusammengeschmolzenen Porträts durchgeführt. Männer und Frauen sollten in verschiedenen Versuchsreihen angeben, wie groß ihre Bereitschaft war, Pflegeaufwand in mehrere fotografisch abgebildete zweijährige Jungen und Mädchen zu stecken. Der Versuchsleiter hatte die Kinderbilder heimlich so manipuliert, dass sie entweder keine, drei, sechs, zwölf, 25 oder 50 Prozent Gesichtszüge mit dem jeweiligen Betrachter gemeinsam hatten. In einem gesonderten Versuchsdurchgang wurde geprüft, ob die Probanden die Ähnlichkeit zwischen den erwachsenen Vorlagen und den gemorphten Kindern bewusst herauspicken konnten.

Fazit: Lediglich bei den Männern stieg die elterliche Investitionsbereitschaft mit dem Grad der optischen Ähnlichkeit an. Sobald das Kind wenigstens 25 Prozent der Gesichtszüge mit ihnen selbst gemeinsam hatte, legten sie sich auf eine höhere Bereitschaft zum „Bevatern“ fest. Ein Kind, das 25 Prozent Züge mit ihnen teilte, wäre von 75 Prozent der Männer adoptiert worden. Bei 50 Prozent Überschneidung stieg diese Bereitschaft auf 80 Prozent. 45 Prozent der Männer fanden das Kind mit einem Viertel Ähnlichkeit am attraktivsten, 70 Prozent das Kind, das ihnen zur Hälfte glich. Bei den Frauen hatte die Ähnlichkeit überhaupt keinen Einfluss auf die Bereitschaft zum Bemuttern.

Männer und Frauen waren gleich schlecht darin, die Ähnlichkeit zwischen den Erwachsenen- und Kinderbildern bewusst zu erkennen. Erst von einer 50-prozentigen Übereinstimmung an erzielten beide Geschlechter eine kleine Trefferquote. Das heißt, dass das Votum für die 25-prozentig ähnlichen Kinder allein aus dem Bauch kam und keine bewusste Komponente besaß.

Die Tatsache, dass Männer ihre Investitionsbereitschaft bereits an einer Ähnlichkeit von 25 Prozent festmachen, könnte anzeigen, dass es nicht nur um die Investition in den eigenen leiblichen Nachwuchs geht, meinen die Forscher. Vielleicht kommt hier ans Tageslicht, dass Menschen sich auch für nahe Verwandte wie Halbgeschwister, Neffen oder Enkel einsetzen, die nur 25 Prozent des Erbgutes mit ihnen teilen.

Rolf Degen

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