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Gesundheit: „Wir haben viel Ballast abgeworfen“

Die Lehrerbildung steht in der Kritik. Jetzt wird alles besser, sagen Vize-Präsidenten der Berliner Unis

Heute stellen die Kultusminister den OECDReport über Lehrer in Deutschland vor. Darin wird auch die Ausbildung an den Universitäten kritisiert. In Berlin kommen 70 Prozent der Studierenden, die ein Lehramtsstudium aufgenommen haben, nicht zum Abschluss. Die Hälfte derjenigen, die das Ziel doch erreichen, macht erst nach 17 Semestern Examen. Was haben die Universitäten falsch gemacht?

Tenorth: Das kann man den Hochschulen nicht allein in die Schuhe schieben. Die Studenten studieren auch deswegen so lange, weil die Examensphase bis zu drei Jahre lang war. Dafür ist das wissenschaftliche Landesprüfungsamt verantwortlich. Erst die Universitäten haben den Senat dazu gebracht, wenigstens Blockprüfungen einzuführen, um das Verfahren zu beschleunigen. Außerdem haben viele Studenten ihr Examen hinausgezögert, weil Referendariatsplätze fehlen. Vor zwei Jahren hat Bildungssenator Klaus Böger die Studierenden aufgefordert: „Machen Sie Examen, ich brauche neue Lehrer.“ Drei Wochen später hat seine Behörde einen Einstellungsstopp für Referendare verkündet und ein dreiviertel Jahr lang niemanden genommen.

Die Lehramtsstudierenden fühlen sich aber seit langem auch von den Hochschulen stiefmütterlich behandelt. Die Grünen kritisieren jetzt, trotz der großen Reform mit Master und Bachelor, die im Herbst startet, werde sich nicht wirklich etwas ändern. Stimmt das?

Väth: Nein, das stimmt überhaupt nicht. Wir haben mit den neuen Studienordnungen außerordentlich viel Ballast in den Fächern abgeworfen. Außerdem müssen jetzt alle Studierenden berufswissenschaftliche Anteile wählen. Dadurch sind Lehramtsstudierende keine Stiefkinder mehr. Ich bin überzeugt: Die Situation wird jetzt schlagartig besser.

Angehende Lehrer kommen bislang erst sehr spät in engen Kontakt mit ihrem Beruf. Viele merken erst im Referendariat, dass sie niemals gute Pädagogen werden. Die Reform scheint diesem altbekannten Mangel aber nicht abzuhelfen?

Tenorth: In der Bachelorphase sind bereits 30 Leistungspunkte den Erziehungswissenschaften und der Fachdidaktik gewidmet. Das entspricht einem ganzen Semester. Dazu gehört ein Orientierungspraktikum, in dem die Tauglichkeit für den Beruf festgestellt werden kann. Man orientiert sich also bereits früh.

Aber das Orientierungspraktikum ist doch nichts Neues. Man hospitiert dabei lediglich für drei Wochen in der Schule, meist, ohne selbst zu unterrichten. Wie soll denn dabei jemand in Erfahrung bringen, ob er gerne mit Schülern umgeht?

Tenorth: Es ist ja noch nicht entschieden, wie die Lehrform der Orientierungspraktika aussieht. Aber die Aufgabe der Professionalisierung fällt nun einmal auf die Masterphase. Man kann doch überhaupt nur Unterricht versuchen, wenn man ein Fach studiert hat. Es ist doch völlig abwegig, jemandem im ersten Semester zu sagen: „Mach Unterricht!“ Davor muss man die Kinder schützen.

Väth: Wir sollten aber schon mit der Schulverwaltung reden, damit die berufsvorbereitenden Seminare an der Universität und das Orientierungspraktikum an der Schule eng miteinander verzahnt werden. Weil nicht so viel Zeit im Bachelor für die Praxis ist, werden wir das Wenige intensivieren.

Ändert sich denn inhaltlich etwas an der Didaktik und den Erziehungswissenschaften? Bislang waren auch diese Kurse stark theoretisch ausgerichtet.

Väth: Wir hatten zu diesem Punkt eine interessante Debatte im Fachbereich Erziehungswissenschaften. Muss man erst Rousseau und Piaget studiert haben, um zu verstehen, was in der Schule und beim Lernen passiert, oder muss man das andersrum angehen?

Tenorth: Man kann doch nicht davon ausgehen, dass man zum guten Lehrer nur dadurch wird, dass man möglichst frühzeitig den Schlendrian irgendeiner Praxis erlebt. Zuerst muss man an der Universität lernen, die Schule aus der Distanz sehen zu können. Die scheinbare Vertrautheit muss weg. In der zweiten Phase muss ich mein Handeln in einem geschützten Raum erproben können, das ist das Referendariat. Die dritte Phase ist die der vollen Professionalisierung. Ein guter Lehrer bin ich erst nach zehn Jahren. Will man alles in der ersten Phase, bekommt man vielleicht Lehrer, die wissen, wie sie den Taktstock schwingen. Aber sie kennen ihr Fach nicht, wissen nicht, wie man eine Unterrichtsstunde konstruiert, wie man Leistung diagnostiziert oder wie man mit Eltern umgeht.

Lernt man denn an der Uni, wie man mit Eltern umgeht?

Tenorth: Nein, das muss man auch gar nicht. Alles von der ersten Phase zu verlangen, macht alle Phasen kaputt.

Väth: Es gibt schon einen alten Grundkonflikt, wie viel Fachwissenschaften und Praxisorientierung die Studierenden haben müssen. Mein Eindruck ist, mit der Reform halten wir die Waage.

Der Senat will die Universitäten dazu bringen, ein gemeinsames Lehrerbildungszentrum ins Leben zu rufen. Es soll das Know-how der Unis bündeln und den Studierenden als Serviceeinrichtung dienen. Warum wehren sich die Unis dagegen?

Väth: Wir wollen keine neue Großbehörde. Das ist ein Nachhutgefecht unseres selig entschlafenen Landesprüfungsamts, das an den langen Studienzeiten eine große Schuld trägt. Wenn das jetzt wieder durch die Hintertür eingeführt würde, wäre das der Gipfel der Absurditäten. Jede Universität muss ihre Lehrerbildung selbst in die Hand nehmen, das ist studierendenfreundlich.

Auch das Referendariat gilt seit langem als reformbedürftig. Bewegt sich die Schulverwaltung in die richtige Richtung?

Tenorth: In welche Richtung sich die Verwaltung bewegt, kann ich nicht sagen. Unsere Frage, welche Inhalte im Referendariat geplant sind, wird einfach nicht beanwortet.

Nur höchstens die Hälfte der Absolventen des Lehramtsbachelors wird eine Chance bekommen, später auch wirklich Lehrer zu werden. Denn die Hochschulen wollen nur einige Studierende zum Lehramtsmaster zulassen. Dürfen die Universitäten wirklich an einem so frühen Punkt darüber entscheiden, ob ein junger Mensch Lehrer oder Lehrerin werden darf oder nicht?

Tenorth: Ich denke, wir sollen früh entscheiden? Aber es wird neben der Qualität des Bachelors Kriterien für den Übergang geben, die lehramtsbezogen sind, etwa die Motivation. Auch Wartezeiten sollen berücksichtigt werden. Aber es geht nicht, dass alle ohne Leistungsnachweis in den Master kommen.

Bislang haben Lehramtsstudierende Schwierigkeiten, wenn sie zwischen verschiedenen Bundesländern wechseln. Wird sich das ändern?

Tenorth: Wir plädieren dafür, die Module gegenseitig leichter anzuerkennen. Aber Anerkennung und Wechsel vor der Abschlussprüfung bleiben im deutschen Hochschulsystem immer schwierig.

Gibt es etwas, dass andere Bundesländer bei der Reform des Lehramtsstudiums besser machen als Berlin?

Tenorth: Alle zehn Bundesländer, die jetzt mit Bachelor und Master für das Lehramt anfangen, experimentieren. Das alte Modell hat immerhin 200 Jahre bestanden. Da kann niemand von einem Tag zum anderen alles perfekt umstellen.

Väth: Es ist eine Pionierphase. Überall lauern Risiken – aber es gibt auch große Chancen auf Gewinne. Ich hoffe für die Studierenden, dass sie diese Pioniergewinne ernten können.

Das Gespräch führte Anja Kühne

HEINZ-ELMAR TENORTH, 59, ist Erziehungswissenschaftler und seit dem Jahr 2000 Vizepräsident für Lehre und Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin.

WERNER VÄTH, 59, ist Politologe und seit 2003 Vizepräsident der Freien Universität Berlin für die Sozial- und Geisteswissenschaften.

DAS PLANEN SIE

Beide Universitäten wehren sich dagegen, ein gemeinsames Lehrerbildungszentrum einzurichten, wie der Senat es wünscht. Stattdessen wollen sie eigene zentrale Einrichtungen gründen. Diese sollen die Studierenden und Dozenten beraten, das Lehrangebot koordinieren und mit der zweiten Phase der Ausbildung, dem Referendariat in der Schule, abstimmen.

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