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Gesundheit: „Wir müssen bereit sein, Gewalt anzuwenden“

Wie kann Terror bekämpft werden? Zur Not ohne die Uno, sagt der Politologe Michael Walzer

Der Angriff auf das World Trade Center hat gezeigt, dass die internationale Gemeinschaft gegen solchen Terror kaum gewappnet ist. Sie haben den darauffolgenden Militäreinsatz gegen die Taliban als „gerechten Krieg“ bezeichnet – wie auch der Titel Ihres bekanntesten Werkes lautet. Im Fall Irak dagegen sprechen Sie von einem ungerechten Krieg. Warum?

Wir müssen klar unterscheiden zwischen „gerecht“ und „legal“. Man kann etwas „ungerecht“ nennen, auch wenn man es nicht als „illegal“ bezeichnen kann. Umgekehrt kann etwas „gerecht“ genannt werden, auch wenn man es „illegal“ nennen muss. Über tatsächliche und mögliche Kriege müssen wir uns moralische Urteile bilden, die wir vor internationalen Versammlungen und Tribunalen vertreten können. Wenn unser Urteil aus politischen oder juristischen Motiven abgelehnt wird, stehen wir vor einer harten Wahl: Sollen wir unsere Niederlage akzeptieren, um internationale Institutionen zu stärken, oder doch in den Krieg ziehen, um der Sache der Gerechtigkeit zu dienen? Vor dieser Wahl werden wir immer wieder stehen – bis es einen echten Globalstaat gibt. Ja – manchmal wird es das Richtige sein, zu kämpfen, um schreckliche Verbrechen zu verhindern.

Nicht im Irak?

Den Unterschied zwischen dem Afghanistan-Krieg und dem Irak-Krieg sehe ich darin, dass es im ersten Fall um eine Reaktion auf einen tatsächlichen Angriff ging, im anderen Fall um die Antwort auf eine spekulative Gefahr. Ich glaube übrigens nicht, dass es im März 2003 verrückt war oder verlogen, das Argument anzuführen, der Irak habe Massenvernichtungswaffen oder stehe kurz davor, sich solche zu beschaffen. Aber es gab nicht genügend Beweismaterial dafür. Vielmehr stellt sich jetzt heraus, dass diese Waffen schon lange abgeschafft, entschärft oder zerstört worden waren. Dennoch – damals war es angesichts des Wissensstands angemessen, sich Sorgen zu machen.

Sie halten Frankreich und Deutschland vor, keine Alternative zum Irak-Krieg entworfen zu haben. Gab es denn eine?

Im Herbst und Winter 2002 und 2003 habe ich mich ja durchaus für die eingeschränkte Anwendung militärischer Gewalt erklärt. Man musste ja schon seit längerem etwa zweimal pro Woche irakische Radarstationen und Flugabwehrstellungen bombardieren, um die Flugverbotszonen zu sichern. Das waren humanitäre Interventionen, denn sie schützten die Kurden vor Unterdrückung und Massenmord. Außerdem führten sie zu einer Art von Regimewechsel im Norden – die Kurden gewannen eine relative Autonomie. Man hätte die Flugverbotszonen erweitern und aktiv durchsetzen müssen. Deutschland wie Frankreich hätten auch kooperieren können, als es darum ging, den Zustrom konventioneller Waffen in das Land zu stoppen. Gemeinsam hätten wir den Inspektoren Militärschutz bieten können – so wäre ein langsamer Prozess in Richtung Regimewechsel in Gang gesetzt worden.

Sie haben das totalitäre Regime des Irak einmal einen „Dritte-Welt-Faschismus“ genannt. Muss ein solches Regime erst zu einer Bedrohung für andere werden, ehe eine Intervention gerechtfertigt ist?

Nein, ich glaube nicht, dass Terror und der Besitz von Massenvernichtungswaffen die einzigen Gründe sind, militärisch zu intervenieren. Auch Massenmord und „ethnische Säuberung“ sind Gründe zu intervenieren - jedenfalls wenn keine andere als eine militärische Lösung in Sicht ist. Wenn allerdings Massenvernichtungswaffen als Begründung angeführt werden, muss eine akute Bedrohung vorliegen. Es ist nicht gerechtfertigt, einen Krieg zu führen, nur weil ein Regime womöglich irgendwann die eigene Bevölkerung massakrieren wird. Es ist auch nicht gerechtfertigt, ein Land zu bekriegen, das vor zwölf Jahren einmal seine Bürger massakriert hat. 1991, ja, da wäre ein Krieg gegen den Irak ein gerechter Krieg gewesen. Damals hätte man den Massenmord an den Schiiten aufhalten können.

Jürgen Habermas sagt inzwischen: „Es ist nicht mehr mein Amerika.“

Wenn ich Mitglieder der Regierung Bush reden höre, denke ich manchmal auch: Das ist nicht mein Amerika. Trotzdem ist die Behauptung falsch, bei mir wie bei Habermas. Sie ist erstens falsch, da ja auch einige von Bushs Leuten – ebenso wie liberale Linke in den USA – den Krieg genau deshalb unterstützt haben, weil der Irak ein brutales Regime hatte. Zweitens ist die Behauptung falsch, weil in Amerika selbst viele gegen den Krieg waren und ungeduldig darauf warten, den Präsidenten abzuwählen, der ihn vom Zaun brach.

Was kann die Uno leisten, solange viele ihrer Mitgliedsstaaten noch keine Demokratien sind?

Ohne Frage, die Uno ist eine sehr unfertige Organisation. Aber es ist nun mal die einzige Uno, die wir haben, also müssen wir mit ihr arbeiten wo immer es geht. Nur wenn das gar nicht geht, müssen wir sie umschiffen. Diese Prozedur wäre viel leichter, wenn es eine starke Allianz demokratischer Staaten gäbe mit dem gemeinsamen Ziel, einerseits die Uno zu stärken, aber auch Wege zu finden, wie man mit Schurkenstaaten umgehen kann. Um dieser Verantwortung aus dem Weg zu gehen, tun manche so, als sei die Uno bereits bis zur Perfektion gediehen.

Wer tut so?

Mir kommt es in den vergangenen Jahren oft so vor, als ob viele Vertreter der europäischen Linken bemüht sind, diese Illusion zu verbreiten. Stattdessen müssten wir schlicht akzeptieren, dass in manchen Fällen die Anwendung von Gewalt im Dienst von Sicherheit und Gerechtigkeit einfach notwendig ist – eben nicht allein aus Egoismus, sondern auch, um anderen Beistand zu leisten. Ich bin aber auch fest davon überzeugt, dass diese Form von Gewalt und Intervention, sich in der Praxis reduziert, sobald eine solche Allianz zustande kommt.

Von islamischen Staaten wird gern gesagt, sie seien Demokratie-resistent. Ist Demokratie geknüpft an bestimmte Glaubenssysteme?

Max Webers These, dass zwischen Kapitalismus und Protestantismus eine enge Verbindung existiert, ist sicher korrekt. Wahrscheinlich gibt es auch eine Affinität zwischen einem in Gemeinden organisierten Protestantismus und der Demokratie. Aber auch Katholiken und Juden haben herausgefunden, wie man in einer marktwirtschaftlichen Demokratie prosperiert. Ähnlich scheint sich die Assimilation von Muslimen in der amerikanischen Demokratie zu vollziehen. Die meisten lassen sich nicht von religiöser Doktrin ihr individuelles Verhalten vorschreiben. Das scheint bei den Muslimen in Europa anders zu liegen. Ich vermute aber, das wird über kurz oder lang in Europa auch passieren, allerdings wird die Assimilation stärker davon abhängig sein, was in den Herkunftsländern geschieht. Die Modernisierung der islamischen Staaten ist ein langfristiger Prozess. Je erfolgreicher die globale Wirtschaft sich entwickelt, je mehr Menschen am Erfolg partizipieren, desto besser wird das laufen.

John Rawls sagte einmal, Demokratien führen keine Kriege gegen andere Demokratien. 1950 gab es 25 Demokratien weltweit, heute sind es mehr als 150. Wird Kants Vision vom „Ewigen Frieden“ wahr?

Viele der 150 Demokratien sind instabil. Und wir sind heute zusätzlich mit nichtstaatlichen Akteuren wie Al-Qaida konfrontiert. Daher brauchen wir einen neuen Internationalismus, einen, der sich auf Sicherheit konzentriert, der Massaker und Terror bekämpft, dem es um Gerechtigkeit geht. Angriffskriege anderer Staaten sind die kleinere Gefahr.

Wie sollte so ein Internationalismus aussehen?

Eine Allianz von Partnern, denen es um Demokratie geht, wäre ein Schritt in die richtige Richtung – das können Parteien sein, aber auch Bürgerrechts-, Umweltschutz- oder feministische Gruppen. Von unschätzbarem Wert wäre es, wenn der Weltwährungsfonds und die Welthandelsorganisation für eine gerechte Vermögensverteilung und die Öffnung der Märkte eintreten würden. Demokratische Staaten müssen zusammenarbeiten und bereit sein, Gewalt anzuwenden, wenn es für Sicherheit und Gerechtigkeit nötig ist – das scheint mir zentral. Wenn die Uno da mehr als die Summe aller Teile sein will, muss sie ein paar echte Erfolge aufweisen. Der Irak wäre eine Gelegenheit, vorausgesetzt die USA holen die Uno dazu und Europa ist bereit, über die Uno seinen Teil zu leisten. Meine Hoffnung wächst jedenfalls. Was Internationalismus betrifft: Da machen wir auf der Welt ja die ersten Kinderschritte. Wir lernen erst laufen.

Das Gespräch führte Caroline Fetscher. Michael Walzer ist einer der Organisatoren einer Tagung über Terror, internationales Recht und Demokratie, die heute im Einstein Forum beginnt.

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