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Gesundheit: Wissenschaftspolitik: Entschuldigung für 100 Jahre

Erster Auftritt der neuen Senatorin Adrienne Goehler im Wissenschaftsausschuss. Das Ohrgehänge der übernächtigt wirkenden Senatorin schaukelt dekorativ, die Sonnenbrille hat sie zurück auf den etwas wilden Haarschopf gerückt.

Erster Auftritt der neuen Senatorin Adrienne Goehler im Wissenschaftsausschuss. Das Ohrgehänge der übernächtigt wirkenden Senatorin schaukelt dekorativ, die Sonnenbrille hat sie zurück auf den etwas wilden Haarschopf gerückt. Freundliches Klopfen auf den Tischen nur von den Abgeordneten der SPD, PDS und der Grünen. Die erste unangenehme Überraschung hat die Neue bereits hinter sich: zwei Staatssekretäre in der Kultur und keinen in der Wissenschaft. Das kreidet ihr die hochschulpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Monika Grütters, gleich scharf an. Keine Solidarität unter Frauen. Grütters nimmt die ersten öffentlichen Äußerungen der Senatorin aufs Korn: Wenn sie Globalhaushalte und Hochschulverträge in Berlin einführen wolle und für einen Reformstudiengang in der Medizin eintrete - "das haben wir alles schon in Berlin". Den Reformstudiengang gebe es an der Charité, die Hochschulverträge seit 1997 und Globalhaushalte noch länger. Unruhe im Lager der neuen Regierungsparteien: Peter Schuster von der SPD äußert mit tiefem Bass Empörung über Grütters Wahlkampfversuche schon in der Fragestunde.

Adrienne Goehler reagiert mit entwaffnendem Charme: "Ich habe mich versprochen. Ich bitte um Entschuldigung. Ich wollte das Rad nicht neu erfinden." Und dann entgegnet sie der bohrenden CDU-Abgeordneten, die gleich noch nach dem Schicksal der Hochschulverträge fragt: "Sie dürfen sicher sein, dass die SPD und Grünen noch in dieser Legislaturperiode die Hochschulverträge verabschieden. Die Hochschulen brauchen Rechts- und Planungssicherheit."

Die Emotionen könnten weiter hoch gehen, aber die Ausschussvorsitzende Annette Fugmann-Heesing (SPD) erinnert an die gute Zusammenarbeit quer über alle Fraktionen in der Vergangenheit. "Im Interesse des Wissenschaftsstandortes Berlin hoffe ich sehr, dass wir diesen Stil im Ausschuss auch weiterhin fördern und Wissenschaft und Forschung den Schwerpunkt geben, den sie in der Stadt haben müssen."

Der Appell reicht bis zum Ende der Sitzung und mündet in einvernehmlichen Haltungen zu den typischen Berliner Evergreens "American Headquarters" und "Naturkundemuseum". Zum Abschied wird es heftig: Goehler geht auf Grütters zu, um die Hoffnung auszusprechen, dass sie sich nicht nur kratzbürstig begegnen sollten. Da platzt der PDS-Abgeordnete Benjamin Hoff dazwischen, um für die nächste Sitzung die Erörterung des Senatsberichts zur Hochschulmedizin zu fordern. Goehler stutzt verunsichert, worauf Grütters mokant sagt: Wenn Josef Lange noch Staatssekretär wäre, dann wüsste die Senatorin von der Bedeutung des Medizinberichts. Jetzt platzt Frau Goehler der Kragen: "Ich entschuldige mich dafür, dass ich nicht schon hundert Jahre in Berlin bin." Sie wendet sich ab und murmelt: In der Staatssekretär-Frage "bin ich in die Falle des Berliner Beamtenrechts geraten - die Lösung war nicht mein Wunsch". Monika Grütters bleibt unerbittlich: "Das hätte nicht passieren dürfen". Goehler: "Die Geschichte werde ich zur Chefinnensache machen. Ich brauche zehn Tage Zeit für eine Lösung." Entweder habe sie dann einen Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung oder einen Koordinator, sagt sie dem Tagesspiegel.

Uwe Schlicht

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