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Gesundheit: Zukunft nur mit Ideen: Vom verstaubten Herrenclub zur kritischen Instanz

Im Gebäude der Berlin-Brandenburgischen Akademie (BBAW) der Wissenschaften am Gendarmenmarkt kreischen die Bohrmaschinen. In den Fluren liegen Zementsäcke und Latten, auf dem Hof stapeln sich Fertigteile und Gerüste.

Im Gebäude der Berlin-Brandenburgischen Akademie (BBAW) der Wissenschaften am Gendarmenmarkt kreischen die Bohrmaschinen. In den Fluren liegen Zementsäcke und Latten, auf dem Hof stapeln sich Fertigteile und Gerüste. Doch die Bauarbeiten bleiben notdürftig, überall fehlt das Geld. So verbreiten die Tagungsräume auch künftig den morbiden Charme der 50-er Jahre in der DDR. Weil das mondäne Akademieviertel Unter den Linden 1945 völlig ausgebrannt war, zogen die Forscher 1949 auf Befehl der Russen in die ehemalige Preußische Landesbank an der Jägerstraße.

"Heute riecht es in den Büros nach Bohnerwachs, die Versammlungsräume sind staubtrocken, im Flur steht ein Getränkeautomat", sagte Dieter Simon, der Präsident der BBAW. Er sprach auf einem internationalen Kolloquium zur Zukunft der Akademie. Im allgemeinen als Institution und im besonderen als Berliner Akademie, von der die Mehrheit der Einwohner dieser Stadt nicht weiß, dass es sie überhaupt noch gibt.

Freie Entfaltung

Als Platon vor mehr als 2000 Jahren seine Idee einer Akademie in die Welt setzte, dachte er an eine Wandelhalle, in der sich philosophische Gedanken und Gespräche frei entfalten konnten. Zielloses Schreiten und ein freier Geist gehören seit Menschengedenken zusammen, nichts sollte die Gelehrten beschränken. Das Ziel war die Wahrheit, die Grenze das Gewissen des einzelnen Philosophen. Die Akademien der Römer fielen bereits ungleich kleiner aus, die großzügigen Säulengänge schrumpften zum rechteckigen Sitzungssaal. Der Luxus der Wandelhallen blieb den Imperatoren vorbehalten.

Bis zu Francis Bacon, dem Begründer der englischen Royal Society im 17. Jahrhundert, verlor die Akademie immer mehr von ihrem freigeistigen Anspruch. Forschung und Wissenschaft dienten nur noch dem Interesse der Mäzene: den Königen, den Militärs, den Kaufleuten und Industriellen. Gleiches galt für die vor 300 Jahren von Gottfried Leibniz gegründete Berliner Akademie. Im 20. Jahrhundert erreichte die Perversion ihren vorläufigen Höhepunkt: Die meisten Mitglieder der Berliner Akademie jubelten Hitler zu, ihre Nachfolger Stalin und Ulbricht.

Wolfgang Braungart von der Universität Bielefeld rollte auf dem Kolloquium die Geschichte der europäischen Akademien seit Thomas Morus auf, der 1417 in seiner "Utopia" vor allem die Philosophie, die Astronomie und Ethik als pflegenswerte Wissenschaften erwähnte. Von ihm zieht sich bis Leibniz 1670 die Reihe der Wissenschaftler, die Forschung noch als Dienst an Gott betrachteten. Doch Leibniz nahm diesen theologischen Anspruch später zurück und stellte den praktischen Nutzen einer Akademie für den preussischen König in den Vordergrund, vor allem in der Konkurrenz zu England. Sonst hätte er wohl nie die notwendigen Taler für sein Projekt erhalten.

Seit die Universitäten im 20. Jahrhundert die Forschung übernahmen, blieben die Akademien als verstaubte Museen oder elitäre Altherrenclubs zurück. Das Durchschnittsalter der Mitglieder der BBAW liegt bei rund 56 Jahren, nur jedes zwanzigste Mitglied ist eine Frau. Das war vor hundert Jahren kaum anders, doch damals gehörten solche ergrauten Clubs zum wissenschaftlichen Establishment. Heute dominieren flexible Gruppen aus jungen Wissenschaftlern, die mit dem rasanten Fortschritt mithalten können.

In einer Welt, in der mehr denn je geforscht wird, scheint die altehrwürdige Gelehrtengesellschaft keinen Platz mehr zu haben. Doch an den Unis wird nur noch erforscht, was wirtschaftlich oder politisch verwertbar ist. Abweichende Entwürfe der Gesellschaft werden kaum noch diskutiert, dafür ist kein Geld da. So war nach der Wende die Fortführung der Marx-Engels-Gesamtausgabe an einer Berliner Universität partout nicht unterzubringen. Das ehrgeizige Vorhaben läuft nun an der BBAW.

Die Humboldt-Universität tut sich zudem sehr schwer, die Forschungen von Robert Havemann und Rudolf Bahro fortzusetzen. Beide kritisierten den bedingungslosen Glauben an die Technik als Allheilmittel für die ökologischen und sozialen Probleme auf unserem Planeten. An der Freien Universität Berlin hält ein Häufchen Unentwegter die Fahne von Hans Jonas hoch, der in den 60er Jahren vor der Ideologie des unbeschränkten Wachstums gewarnt hatte. Welcher wirtschaftswissenschaftliche oder technische Lehrstuhl vermittelt den Studenten heute Ernst Ulrich von Weizsäckers Theorie, nach der der Energieverbrauch weltweit auf ein Viertel sinken muss, um die Biosphäre, Grundlage auch der menschlichen Existenz, langfristig zu erhalten?

Druck durch Drittmittel

Braungart resümierte: "Durch den Druck, immer mehr Drittmittel einzuwerben, ist die Universität nicht mehr der autonome Ort, den sich die bürgerliche Gesellschaft einst zur kritischen Selbstbegleitung geschaffen hat." Gerade in unserer Zeit, in der sozialer Fortschritt und das Überleben der Menschheit von der Ergebnissen einer unabhängigen Wissenschaft abhängen, fehlt diese kritische Institution, die es im Grunde genommen noch nie wirklich gegeben hat.

Immer öfter tauchen vorschnell publizierte Forschungsergebnisse auf, die wie entscheidende Durchbrüche gefeiert werden. Jüngstes Beispiel ist die PR-Schlacht um die Entschlüsselung des Genoms. "Es müsste eine Instanz geben, die überwacht, ob die Spielregeln der wissenschaftlichen Methodik eingehalten werden", forderte Klaus Pinkau, ehemaliger Leiter des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Garching bei München. "Forschungsresultate sind von der Fachwelt ausreichend zu kritisieren, bevor sie als gesichert gelten dürfen."

Auch Fälle von Fälschung kamen in der jüngsten Vergangenheit öfter ans Licht, allesamt nicht zuletzt auch den knapper werdenden Fördermitteln geschuldet. Eine starke Akademie könnte hier wie ein unabhängiges, moralisches Gericht wirken, um die Verwahrlosung der wissenschaftlichen Sitten einzudämmen.

Doch um diese Aufgaben zu übernehmen, müsste die Akademie zu ihrem utopischen, nie ganz verwirklichten Ansatz zurückkehren: die Freiheit der Wissenschaft höher zu schätzen als ihre kurzfristige Verwertbarkeit und den Ruhm. Das entspräche, so war auf dem Kolloquium zu erfahren, sowohl den Gedanken Platons als auch denen von Thomas Morus, Francis Bacon oder Leibniz. Bislang scheiterte diese Idee. Bleibt sie jedoch weiterhin unerfüllt, dürfte die Uhr für diese honorigen Gelehrtengesellschaften tatsächlich abgelaufen zu sein.

Heiko Schwarzburger

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