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Gesundheit: Zum 100. Geburtstag des Philologen Wolfgang Schadewaldt

Nach seinen beiden Lehrern Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff und Werner Jaeger ist es in Deutschland keinem der bedeutenden Klassischen Philologen mehr gelungen, so weit über die Grenzen des Fachs und der Universität hinaus zu wirken wie Wolfgang Schadewaldt. Der am 15.

Nach seinen beiden Lehrern Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff und Werner Jaeger ist es in Deutschland keinem der bedeutenden Klassischen Philologen mehr gelungen, so weit über die Grenzen des Fachs und der Universität hinaus zu wirken wie Wolfgang Schadewaldt. Der am 15. März 1900 in Berlin geborene Philologe kann auch 26 Jahre nach seinem Tod als der bekannteste Vertreter der griechischen Philologie gelten.

Nach dem Studium der Klassischen Philologie und der Germanistik arbeitete Schadewaldt zunächst vier Jahre lang als Assistent am Deutschen Archäologischen Institut in Berlin. 1928 begann mit der Berufung nach Königsberg eine glänzende Universitätskarriere, die ihn bereits ein Jahr später nach Freiburg und weitere fünf Jahre darauf nach Leipzig führte. 1941 folgte er dem Ruf an die berühmteste deutsche Universität, nach Berlin. Ein Jahr später wurde Schadewaldt in die Preussische Akademie der Wissenschaften gewählt.

Grundlage für seinen rasanten Aufstieg waren eine Reihe herausragender wissenschaftlicher Publikationen zu bedeutenden Autoren und zentralen Fragen des Fachs. Die in rascher Folge erschienenen Studien zur griechischen Tragödie, zu Pindar, Thukydides, Homer und Sappho waren Meilensteine der Forschung. Das gilt vor allem für die bahnbrechenden "Iliasstudien" (1938), in denen Schadewaldt nach beinahe 150 Jahren, in denen die von Friedrich August Wolf inspirierte so genannte Analyse das homerische Epos in ein "Flickwerk" aus einzelnen Gesängen und Kleinepen aufgelöst hatte, endlich gelang, die Einheit des Werkes zu erweisen.

Dass Schadewaldt seine Vaterstadt 1950 verließ und nach Tübingen ging, ist verständlich. Alle Hoffnungen darauf, dass die Universität Unter den Linden zu altem Glanz zurückkehren könnte, waren spätestens mit der Gründung einer Gegenuniversität in Dahlem dahin. Angesichts einer gewissen Nähe Schadewaldts zum Nationalsozialismus, die vor allem für die Freiburger Jahre - durch seine unrühmliche Rolle bei der "Inthronisierung" Heideggers zum Rektor und der Entlassung jüdischer Professoren (unter ihnen der bedeutende Latinist und unmittelbare Kollege Schadewaldts, Eduard Fraenkel) - dokumentiert ist, mag die schwäbische Kleinstadt auch als stiller Rückzugsort attraktiv gewesen sein. In Tübingen hat Schadewaldt zwar weiterhin wichtige philologische Einzelstudien vor allem zu Homers "Odyssee", aber auch zur griechischen Tragödie und zur Poetik des Aristoteles geschaffen, wandte sich aber in der Stadt Hölderlins immer intensiver dem Verhältnis von Hellas und Hesperien zu. Im Mittelpunkt stand auch weiterhin Goethe ("Goethestudien", 1963), daneben widmete er sich den fruchtbaren Begegnungen anderer großer Geister mit der Antike, von Shakespeare über Winckelmann, Schiller, Hölderlin und Kleist bis zu Wagner, Hauptmann und Orff.

Überstrahlt aber wurde dies alles durch Schadewaldts Leistungen und Erfolge als Übersetzer. Vor allem die Prosaübersetzung der "Odyssee" hat Millionen von Lesern das Epos von der Heimkehr des Odysseus nahegebracht, und die kongenialen Übersetzungen griechischer Tragödien und Komödien haben zweifellos einen großen Anteil an der Renaissance des antiken Dramas auf der Bühne.

Am 100. Geburtstag Wolfgang Schadewaldts sei die Hoffnung ausgesprochen, dass die Klassische Philologie auch im neuen Jahrtausend weiterhin Vertreter finden wird, die ihre großen Gegenstände in Übersetzungen und Interpretationen einem breiten Publikum vermitteln und so dazu beitragen, dass Gegenwärtigkeit und Bedeutung der Antike im neuen Europa nicht in Vergessenheit geraten.

Bernd Seidensticker

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