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Gesundheit: „Zum ersten Mal hat ein Hurrikan Brasilien getroffen“

Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf über die Risiken von Stürmen und Hitzewellen und einen abrupten Klimawandel in Europa

Während man gemeinhin von einer globalen Erwärmung spricht, haben Sie schon in den 90er Jahren eine Studie vorgestellt, derzufolge Nordeuropa stark abkühlen könnte, wenn der Golfstrom versiegen würde ...

... nicht der ganze Golfstrom, sondern nur sein verlängerter Arm, der Nordatlantikstrom. Er bringt große Wärmemengen vor die europäischen Küsten. Und der könnte tatsächlich versiegen. Die Strömung hat sich auch in der Vergangenheit immer wieder als sehr instabil erwiesen, insbesondere während der letzten Eiszeit, als es mehr als 20 Mal sehr abrupte Klimawechsel gab. Das ist eine sehr ernsthaft diskutierte Gefahr.

Mit dieser Gefahr spielen Frank Schätzing in seinem Buch „Der Schwarm“ oder Roland Emmerich in seinem Kinofilm „The day after tomorrow“. Wie fühlen Sie sich als unfreiwilliger Ideengeber für solche Bestseller?

Ich habe da gemischte Gefühle. In dem Hollywood-Katastrophenfilm wird vieles extrem überzeichnet. Aber meine Hoffnung, dass ein solcher Film das generelle Interesse für das Thema wecken würde, hat sich erfüllt. Viele Leute haben sich darüber informiert, was wirklich los ist mit dem Klima. Ich war fast lahm gelegt von den mindestens 50 Interviews, die ich in Zusammenhang mit dem Film gegeben habe.

Und Schätzings Roman?

Den muss ich sehr loben! Was er über die Meeresforschung im Buch sagt, ist im Wesentlichen wissenschaftlich akkurat.

Bei welcher Temperaturerhöhung könnte sich der Golfstrom tatsächlich als eine Achillesferse im Klimasystem erweisen?

Wir haben dazu kürzlich eine Expertenbefragung gemacht. Ein Drittel der Befragten sah schon bei einer globalen Erwärmung von nur zwei Grad ein Risiko von fünf Prozent dafür, dass der Nordatlantikstrom komplett abreißt. Fünf Prozent – das klingt wenig, aber man muss sich die gravierenden Folgen vor Augen halten. Ich würde auch nicht in ein Flugzeug steigen, das mit fünfprozentigem Risiko abstürzen wird.

Was folgern sie daraus?

Wir sollten das Risiko so klein wie irgend möglich halten. Ich halte zwei Grad Erwärmung für das Maximum, bei dem sich die Risiken des Klimawandels vielleicht gerade noch vertreten lassen. Und selbst dann werden wir bereits viele Wetterextreme erleben.

Maximal zwei Grad Erwärmung, das ist auch das, was Europa sich im internationalen Klimaschutz zum Ziel gesetzt hat. Ist das noch einzuhalten?

Um dieses Ziel zu erreichen, muss man sehr stark auf die Bremse treten. Die bisher vereinbarten Reduktions-Ziele reichen dafür noch nicht aus. Was Kioto bringt, wird erst sichtbar, wenn man weiß, wie es nach 2012 weitergeht. Das soll auch bei der Klimakonferenz Thema sein, die nun in Buenos Aires beginnt.

Der Forderung, dass wir unseren Umgang mit den Rohstoff-Ressourcen drastisch verändern müssen, stehen noch viele Unsicherheiten seitens der Forschung gegenüber.

Man muss differenzieren; es gibt schon Dinge, die wir sicher wissen. Dazu gehört, dass der Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre steigt und dass der Mensch dafür verantwortlich ist. Und dazu gehört auch, dass das Kohlendioxid zu einer Erwärmung führt. Beides hängt nicht von irgendwelchen Modellen ab, sondern das ergibt sich aus Messdaten und elementarer Physik.

Alles Weitere aber scheint weitaus weniger klar.

Die Klimamodelle funktionieren heute schon sehr gut. Aber vieles ist nach wie vor unsicher, etwa wie hoch die Gefahr ist, dass sich die Meeresströmungen ändern oder das Grönlandeis abschmilzt. Auch extreme Wetterereignisse wie die Hitzewelle im Sommer 2003 sind nicht voll verstanden. Sie hat über 30000 Todesopfer in Europa gefordert und war damit die größte Naturkatastrophe in Mitteleuropa seit Menschengedenken.

Müssen wir mit Ereignissen wie dem Rekordsommer 2003 oder dem Elbe-Hochwasser nun häufiger rechnen?

Ja. Aber die Wissenschaft kommt bei den extremen Wetterereignissen bisher nicht über die relativ vage Vorhersage hinaus, dass diese wahrscheinlich mit dem Klimawandel zunehmen. Wir können nicht sagen, um wie viel genau und in welcher Region. Es sind bisher nur statistische Aussagen. Das ist etwa so wie mit dem Rauchen und dem Lungenkrebs: Wenn ein Raucher Lungenkrebs bekommt, können wir nie sagen, ob er ihn nicht auch ohne das Rauchen bekommen hätte. Aber wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der man Lungenkrebs bekommt, bei Rauchern sehr viel höher ist.

Ist vor allem Europa von solch extremen Wetterereignissen betroffen?

Nein. In Florida zum Beispiel gab es in diesem Jahr erstmals gleich vier Hurrikans, in Japan erstmals zehn Taifune. Und im März hat zum ersten Mal ein Hurrikan Brasilien getroffen. So etwas hatte es auf der Südhalbkugel noch nie gegeben. Dafür ist der Südatlantik normalerweise zu kalt. Klimaforscher hatten vorhergesagt, dass so etwas im Zuge der globalen Erwärmung passieren könnte.

Gerade in den USA wird der Einfluss des Menschen auf das Klima aber immer noch sehr heftig umstritten. Woran liegt das?

Das liegt sicher nicht an der Klimaforschung, die amerikanischen und europäischen Klimaforscher sind sich vollkommen einig. Das erkennt man etwa an den Aussagen der großen Forschungsorganisationen wie der „National Academy of Sciences“. Dass diese Aussagen in der Politik nicht ankommen, liegt an Interessengruppen, die in den USA viel mehr Einfluss haben als bei uns. Jedes Resultat der Klimaforschung, das in den USA veröffentlicht wird, führt sofort zu einer Gegenreaktion von bestens finanzierten Lobby-Organisationen und PR-Profis, die alles wieder in Frage stellen. Diese Reaktionen kommen nicht aus der Forschung selbst.

Die USA haben 1997 in Kioto durchgesetzt, dass Ausgleichsmaßnahmen für den Kohlendioxid-Ausstoß in das Protokoll mit aufgenommen werden. Dazu gehört, dass sich jedes Land die Aufforstung von Wäldern als biologische Senken anrechnen lassen kann. Was halten Sie davon?

Ich halte die Anrechnung von solchen Senken für nicht sinnvoll. Ein Land kann sich eine Aufforstungsmaßnahme heute als Senke gutschreiben lassen. Aber was passiert, wenn der Wald dann nicht gedeiht und etwa auf Grund des Klimawandels wieder verdorrt? So etwas lässt sich schlecht messen und schlecht kontrollieren. Die USA haben schon einmal behauptet, ihr Land sei bereits eine Kohlendioxid-Senke. Das ließ sich dann aber wissenschaftlich nicht halten.

Nachdem das Klimaschutzabkommen einmal in dieses Dickicht hineingeraten war, verabschiedeten sich die USA von der Vereinbarung. Wenn das Kioto-Protokoll im Februar in Kraft tritt, werden die USA oder auch Australien nicht dabei sein. Ist das vorerst nicht vielleicht sogar besser, weil sie womöglich durch weitere Verwässerungen des Protokolls mehr Unheil als Nutzen stiften könnten?

Das würde ich so nicht sagen. Die USA haben sich zum Beispiel auch sehr stark für den Emissionshandel eingesetzt. Und den halte ich für sehr sinnvoll.

Warum?

Dabei wird ein Ziel vorgegeben, nämlich die maximalen Gesamtemissionen für die Treibhausgase, um es dann den Kräften des Marktes und dem Erfindungsreichtum der Ingenieure zu überlassen, wie man dieses Ziel am günstigsten einhalten kann. Jeder, der eine Idee hat, wie man Emissionen vermindern kann, kann damit Profit machen. In Europa wird dieser Handel zum ersten Januar beginnen, und ich bin sehr gespannt darauf, wie sich das auswirken wird.

Das Interview führte Thomas de Padova.

Stefan Rahmstorf (44) wurde soeben in den wissenschaftlichen Beirat berufen, der die Bundesregierung in Umweltfragen berät. Er ist Professor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

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