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Der Hass im Netz nimmt zu, viele Kommentare sind verstörend, ihre Wirkung nicht zu unterschätzen. Dennoch führt ein Verbot nicht weiter, im Gegenteil, sagen die Politikwissenschaftler Doris Unger und Jürgen Sirsch.

© Lukas Schulze/dpa

Hasskommentare im Internet: Gegen den Hass muss argumentiert werden

Ein Verbot von Hassrede ist naheliegend, aber falsch. Eine angemessene Reaktion auf Hassrede erfüllt eine gesellschaftliche Funktion, sagen die Politikwissenschaftler Jürgen Sirsch und Doris Unger.

Dieser Text ist Teil unserer Debatte zu Hasskommentaren im Internet. Weitere Beiträge finden Sie hier.

Ein Blick auf die Kommentare unter Artikeln zu Themen wie „Flüchtlinge“ oder „Hilfe für Griechenland“ in Deutschlands Onlinemedien genügt um mit verstörenden und hasserfüllten Aussagen konfrontiert zu werden. Ganz zu schweigen von spezialisierten Foren, in denen Nutzer mit ähnlicher Gesinnung zusammenkommen.

Diese Beiträge setzen sich aus Halbwissen und falschen Behauptungen zusammen, aber enthalten auch Hassrede; also solche Äußerungen, die Menschen aufgrund bestimmter gruppenspezifischer Merkmale – bspw. ihrer Ethnie, sexuellen Orientierung oder Religionszugehörigkeit – pauschal diffamieren oder ihnen gegenüber zu Ausgrenzung und Gewalt aufrufen.

Hassrede rührt an den Grundwerten der liberalen Demokratie

Hassrede spricht Menschen ihre Individualität und Gleichwertigkeit ab und rührt damit an den Grundwerten der liberalen Demokratie. Obwohl es sich nur um Rede handelt, sollte man ihre möglichen Auswirkungen zudem nicht unterschätzen: Angehörige von Gruppen, die vermehrt solchen Anfeindungen ausgesetzt sind, fühlen sich häufig ausgegrenzt oder bedroht.

Auch lässt sich ein Zusammenhang zwischen Hassrede und Gewalttaten, die aus Hass gegen Gruppen begangen werden, feststellen. Zusätzlich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Genoziden in der Regel Phasen ausgeprägter Hasspropaganda vorausgehen.

Aus diesen Gründen sollte man das Phänomen ernstnehmen und sich fragen, wie wir als Gesellschaft mit solcher Rede umgehen sollten.

Unsere Gesellschaftsordnung kann nur Bestand haben, wenn auch die sich äußern dürfen, die sie in Zweifel stellen

Ein naheliegendes Mittel gegen Hassrede ist das staatliche Verbot. Dagegen spricht allerdings eine Reihe von Gründen: Ein Verbot schränkt das Recht auf Meinungsfreiheit ein. Als Grundrecht kommt diesem ein besonderer Status zu, weil es eine Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben darstellt. Obwohl dieses Recht – wie alle anderen Grundrechte – nicht absolut gültig ist, bedarf seine Beschneidung ganz besonderer Rechtfertigung.

Zudem ist eine Demokratie auf freie Meinungsäußerungen angewiesen, damit gute Ideen geäußert werden können und sich eine öffentliche Meinung herausbilden kann. Allerdings kann man bezweifeln, dass es sich bei Hassrede überhaupt um Beiträge zu einer demokratischen Diskussion handelt. Denn wie oben schon bemerkt, widerspricht diese Rede gerade den Grundwerten der liberalen Demokratie.

Es gibt aber einen guten Grund auch Rede, die gegen die Grundwerte der liberalen Demokratie gerichtet ist, zuzulassen: Unsere Gesellschaftsordnung kann nur dauerhaft Bestand haben, wenn die Mehrheit der Bürger von der Legitimität dieser Ordnung überzeugt ist. Wenn eine große Anzahl an Menschen dagegen Zweifel an diesen Grundwerten hat, aber sie nicht äußern darf, bleiben auch überzeugende Antworten aus. Für ihr langfristiges Überleben ist eine Demokratie demnach darauf angewiesen, dass ihre Grundwerte diskutiert werden können.

Hassrede erfüllt eine Signalfunktion: Die Gegner der liberalen Ordnung geben sich zu erkennen

Hassrede erfüllt darüber hinaus eine Signalfunktion im öffentlichen Raum, denn die Gegner einer offenen Gesellschaft geben sich durch ihre Äußerungen zu erkennen. Im Falle einer restriktiveren Verfolgung dieser Äußerungen kann das Ausmaß des Problems daher verkannt und eine angemessene Reaktion erschwert werden.

Hinzu kommen praktische Probleme eines Verbots: So ist die Bewertung von Äußerungen vor Gericht auf deren Interpretation im jeweiligen Kontext angewiesen. Viele Äußerungen sind nicht eindeutig als Hassrede identifizierbar, sondern werden als politische Meinung „getarnt“.

Staatliche Verbote sollten aus diesen Gründen sparsam eingesetzt werden. Notwendig sind sie allerdings zumindest dann, wenn direkt zu Gewalt gegen Gruppen aufgehetzt wird oder die liberale Ordnung tatsächlich auf dem Spiel steht (Prinzip der „wehrhaften Demokratie“).

Gegenrede ist nicht nur eine Maßnahme für Gutgläubige, sondern wirkt

Als alternatives Mittel wird häufig vorgeschlagen, auf Hassrede mit Gegenrede zu reagieren. Diese zunächst etwas gutgläubig anmutende Maßnahme lässt Hassrede zwar nicht verschwinden, sie kann aber einigen ihrer negativen Auswirkungen entgegenwirken:

1. Die jeweiligen „Opfer“ der Hassrede werden zwar immer noch mit dieser Rede konfrontiert, nehmen aber gleichzeitig viele andersgesinnte Beiträge wahr.

2. Wird mit rechtlichen Mitteln gegen Hassrede vorgegangen, bekommen die Aussagen zusätzlich Publicity. Wird dagegen mit Diskussionsbeiträgen geantwortet, werden weitere Positionen abgebildet und die Diskussion erscheint für andere Leser differenzierter. Selbst das US-Außenministerium hat Mitarbeiter, die sich offen zu erkennen gegeben haben, in irakischen Internetforen eingesetzt, um andere Sichtweisen in die Diskussion einzubringen.

3. Es mag äußerst schwierig sein, die Vertreter von radikalen Positionen durch Argumente von ihrem Irrtum zu überzeugen. Radikalisierungen werden jedoch besonders begünstigt, wenn Gleichgesinnte (bspw. in Internetforen) unter sich bleiben. Denn dies führt zur gegenseitigen Bestärkung des eigenen Weltbilds. Werden alternative Positionen in diese Foren eingebracht, kann zumindest verhindert werden, dass diese Verstärkungsmechanismen ungebremst ablaufen.

Diese Strategie ist darauf angewiesen, dass tatsächlich genügend Gegenrede eingebracht wird. Angesprochen sind sowohl Bürger, zivilgesellschaftliche Organisationen, Medien und letztlich auch der Staat. Es sollte jedoch nicht polemisch oder abwertend argumentiert werden, da dies einer Aufnahme der Argumente auf der Gegenseite abträglich ist.

Sollten bei einem Mangel an Gegenrede Kommentarfunktionen oder Internetforen geschlossen werden? Diskussionsplattformen abschalten?

Durch das Abschalten von Plattformen werden Inhalte nicht „zensiert“, sondern bestimmte „Räume“ stehen für die Verbreitung von Hasspropaganda nicht mehr zur Verfügung. Stärker moderierte Formate stellen jedoch eine Alternative dar: Redakteurinnen nehmen sich ausgewählten Fragen an und überprüfen Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt in einem offenen Prozess, an dem sich auch Leser beteiligen können. Solche und ähnliche Formate werden bereits von einigen Medien praktiziert (bspw. „ZDFcheck“).

Doris Unger ist Doktorandin an der Universität Mainz. Sie schreibt an Ihrer Dissertation zu "Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Kulturakkommodierung aus liberaler Perspektive". Dr. Jürgen Sirsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in Bamberg und Mainz. Beide Politikwissenschaftler haben zu dem Sammelband „Hatespeech/Hassrede“ beigetragen, der 2013 erschienen ist.

Doris Unger, Jürgen Sirsch

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