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Defibrillatoren: "Das Elektrochaos beenden"

Der Kardiologe Dietrich Andresen ließ 45 Laien-Defibrillatoren in Berlin installieren. Wir fragten ihn, welchen Nutzen die Geräte haben und wie sie funktionieren.

Herr Andresen, wie geht es Ihrem Herzen?
Ich jogge sehr viel, mache regelmäßig Höhentraining und fühle mich körperlich sehr fit. Ich denke, dass Sport einen wahnsinnig positiven Effekt auf das Wohlbefinden eines jeden Menschen hat.

Wenn Drehbuchautoren Spannung und Dramatik in eine Arztserie bringen wollen, lassen sie den Mediziner nach einem Defibrillator rufen, um einen Patienten mit Herzstillstand mit Stromstößen wiederzubeleben. Hightech an der Grenze zwischen Leben und Tod. Nun haben Sie im Rahmen einer Studie im Jahr 2004 in Berlin etwa 45 Defibrillatoren an öffentlichen Plätzen installieren lassen, damit auch Laien wiederbeleben können. Wie kamen Sie auf die Idee?
Seit ich in der Herzmedizin begonnen habe, hat mich dieses Thema bewegt. Wir hatten immer wieder Patienten, die wegen eines plötzlichen Herzstillstandes zusammengebrochen und verstorben sind. Das Wahnwitzige daran ist, dass die betroffenen Patienten sich vorher meist in einem guten Gesundheitszustand fühlen und nicht wissen, dass sie herzkrank sind. Wir nennen einen solchen Herzstillstand auch schon mal elektrischen Unfall und wenn ich einen Unfall verhindern könnte, wäre das doch großartig, oder?

Das gilt für alle Regionen Deutschlands. Aber gab es einen konkreten Anlass für die Aktion in Berlin?
Ins Rollen kam die Aktion durch den tragischen Tod des berühmten Operndirigenten Giuseppe Sinopoli, der während einer Aufführung in der Deutschen Oper Berlin einem plötzlichen Herzstillstand erlag. Ihm konnte nicht schnell genug geholfen werden. Bis die Rettungswagen der Feuerwehr eintreffen, dauert es etwa acht bis zehn Minuten. Doch bei der Hoffnung auf eine erfolgreiche Wiederbelebung ist Zeit der stärkste Gegner. Vielleicht hätte also ein Defibrillator in der Nähe damals dem Dirigenten helfen können...

Wie viele Defis haben Sie vor zehn Jahren für die Studie installieren lassen?
Im Rahmen der Studie haben wir zunächst etwa 1000 Mitarbeiter für Reanimation und den Umgang mit einem Laien-Defibrillator ausgebildet. Darunter waren Mitarbeiter aus dem KaDeWe, aus dem InterConti und dem Hotel Estrel sowie Mitarbeiter von der BVG und Siemens, aus der Spielbank, dem Deutsche Theater und der Berliner Philharmonie. In der Folgezeit haben wir etwa 45 Defis an jenen Orten in Berlin verteilt, wo diese Mitarbeiter gearbeitet haben.

Hat einer der ausgewählten Unternehmen Ihr Angebot, einen Laien-Defibrillator dort zu installieren, abgelehnt? Immerhin ist ja fraglich, ob das Gerät jemals zum Einsatz kommt.
Nein, unsere Defis hat damals keiner abgelehnt. Das liegt vielleicht daran, dass es eine gute Parallele gibt, die jeder nachvollziehen kann: den Feuerlöscher. Kein Mensch fragt, ob er eingesetzt werden muss oder nicht. Man weiß aber, für den Fall der Fälle ist er da. Kommen Sie nach vier Jahren auf die Idee, den Feuerlöscher auszubauen, nur weil er nicht zum Einsatz kam?

Wie funktioniert eine Defibrillation technisch überhaupt?
Dazu muss man zunächst wissen, was ein plötzlicher Herzstillstand ist. Unser Herz ist ein Hohlmuskel. Durch Zusammenziehen des Muskels - auch Herzschlag genannt- wird das Blut aus den Herzkammern in den Kreislauf gepumpt und durch das anschließende Erschlaffen des Muskels neues Blut in die Kammern angesaugt. Damit sich der Muskel zusammenzieht, benötigt er einen kleinen Stromstoß. Diesen erhält er vom Sinusknoten, einer Ansammlung von Zellen an der rechten Vorhofwand. Normalerweise gibt der Sinusknoten in geordneter Abfolge unserem Herzen 60 - 80 mal pro Minute einen Impuls, worauf sich 60 - 80 mal der Herzmuskel zusammenzieht und dadurch Blut in unseren Kreislauf pumpt. Bei bestimmten Erkrankungen des Herzens kann im Prinzip jede der Milliarden Herzmuskelzellen elektrische Impulse abgeben. Wenn das dann eine große Anzahl von Zellen in ungeordneter Form tut, entsteht ein elektrisches Chaos, das wir Kammerflimmern nennen, Der Herzmuskel zuckt nur noch. Es fließt kein Blut mehr in die Gefäße und damit auch nicht zum Gehirn. Der Patient wird nach wenigen Sekunden bewusstlos und verstirbt wenige Minuten danach, wenn er nicht sofort wiederbelebt wird, Um dieses elektrische Chaos zu beenden, braucht man einen kurzen, starken Stromstoß, der quasi alle Zellen »stummschaltet«. Hierfür schließt man die Elektroden des Defibrillators an dem Patienten an. Dadurch hat der Sinusknoten wieder die Möglichkeit, die normalen Impulse abzugeben - man defibrilliert sozusagen das elektrische Chaos.

Was muss man investieren, um so ein Gerät aufzuhängen?
Ein Defi kostet zwischen 900 und 2500 Euro. Es gibt unterschiedliche Geräte, aber alle arbeiten zuverlässig und sicher.

Was haben die Laien-Defibrillatoren in Berlin bisher gebracht? Gibt es konkrete Rettungsbeispiele?
Da gab es zum Beispiel eine Frau aus Heidelberg, Mitte 50. Sie war im KaDeWe und ist dort zusammengebrochen. Es kam ein Defi zum Einsatz und hat ihr das Leben gerettet. Die Patientin wurde nach drei Tagen aus dem Krankenhaus entlassen und als ich sie ein Jahr später am Telefon sprach, ging es ihr unverändert gut. Einen weiteren Vorfall gab es in einer Spielhalle, in der ein Defi hing, als jemand an dem einarmigen Banditen plötzlich vom Hocker fiel. Auch er konnte mit Hilfe des Defibrillators erfolgreich wiederbelebt werden.

Jedes gerettete Leben zählt. Aber es heißt auch, dass in zehn Jahren nahezu alle Geräte ungenutzt blieben. Ist der Aufwand damit trotzdem gerechtfertigt?
Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. In den USA wird empfohlen, die Defis dort unterzubringen, wo es mindestens ein- bis zweimal im Jahr zu Wiederbelebungsmaßnahmen kommt. Wir haben nach Beendigung der Studie 2008 geprüft, ob es solche Orte in Berlin gibt und lediglich festgestellt, dass die meisten Todesfälle in Berlins Mitte auftreten - was angesichts der Bevölkerungszahlen logisch ist. Einzelne Orte ließen sich jedoch nicht ausmachen. Wo zurzeit in Berlin Defis aufgestellt sind, wissen wir leider nicht. Man sollte ihre Bedeutung aber auch nicht überbewerten. Da ihr Einsatz immer mit Verzögerung verbunden ist, ist ihr Anteil an einer erfolgreichen Wiederbelebung doch relativ klein. Das Wichtigste ist, überhaupt zu helfen. Und zwar in der Reihenfolge Bewusstlosigkeit prüfen, Feuerwehr anrufen und dann unverzüglich mit der Herzdruckmassage beginnen. Wenn dann ein Helfer mit einem Defi kommt, soll er eingesetzt werden - vorausgesetzt es wird keine Zeit verschwendet.

Welche Entwicklungen erwarten Sie für die Zukunft?
In der Medizin werden neben Nutzen und Risiko immer auch Nutzen und Kosten gegenüber gestellt. Zurück zu meiner Parallele: Überlegen Sie, wie viele hunderte von Feuerlöschern in Berlin hängen, die nie benutzt werden. Wenn die Defis preisgünstiger und möglichst noch kleiner werden, kann ich mir eine Verbreitung ähnlich den Feuerlöschern durchaus vorstellen - auch im privaten häuslichen Bereich. Vielleicht kommen wir sogar einmal da hin, dass Krankenkassen die Kosten für Defibrillatoren übernehmen, sofern nachgewiesen ist, dass der Patient ein Risiko aufweist.

Mehr zum Thema lesen Sie im Magazin für Medizin und Gesundheit in Berlin "Tagesspiegel Gesund - Die besten Ärzte für Herz & Kreislauf".

Weitere Themen der Ausgabe: Sport. Welches Training tut ihrem Herz gut?; Stress kann krank machen - und trifft oft die Armen der Gesellschaft; Cholesterin. Über die guten und schlechten Seiten des Blutfetts; Navigator. Routenplaner zum gesunden Herzen; Bypass-OP. Eine Reportage aus dem Operationssaal; Herztransplantation. Das lange Warten auf den Spender; Lebensrettung. Wie ein Patient einen Herzanfall überlebte; Herzklappen, die man per Katheter durch die Adern schiebt; Herzkatheter. Ein Stent wird eingesetzt; Metabolisches Syndrom. Jugendliche lernen in der Adipositas-Ambulanz, nein zu sagen; Herzreha. Lernziel: Lebensstil radikal ändern; Telemedizin. Wenn der Arzt virtuell zum Hausbesuch kommt; Beininfarkt. Gefäßverschlüsse können gefährlich sein; Krampfadern. Erfolgreich therapieren; Thrombose. Ursachen und Behandlung; und außerdem in übersichtlichen Tabellen: Kliniken und Ärzte im Vergleich

Laura Stelter

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