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"Weniger Chirurgie kann auch mehr sein" - Johannes Albes, Herzchirurg.

© Mike Wolff

Herz: Klappe, die Dritte

Kranke Aortenklappen wurden bisher konventionell am offenen Brustkorb oder alternativ mit einem Katheter operiert. Neu ist ein drittes Verfahren - Ziel dabei: eine schonendere und schnellere OP.

Nicht nur Gefäße können im Laufe des Lebens verkalken, sondern auch Organteile - wie zum Beispiel die Aortenklappe. Sie ist das lebenswichtige Ventil zwischen der linken Herzkammer und der Hauptschlagader, die den Fluss des sauerstoffreichen Blutes aus der Lunge reguliert. Nimmt ihre Elastizität durch Verkalkungen ab, schließt sie nicht mehr richtig - Symptome wie Luftnot bei nur geringer Anstrengung, ein Druckgefühl auf der Brust und Schwindel können aufkommen.

Dann ist es Zeit, die natürliche Klappe durch eine künstliche oder tierische zu ersetzen. Dafür sind aufwendige Eingriffe nötig. Eine konventionelle Herzklappen-Operation verlangt dem Patienten einiges ab, da der Brustkorb weit geöffnet wird und die Chirurgen am offenen Herzen arbeiten. Birgt dieser Eingriff ein zu hohes Risiko, weichen die Ärzte immer öfter auf einen Eingriff mithilfe eines Katheters aus. Hierbei wird die künstliche Klappe statt in einer offenen Operation mit einem dünnen Schlauch durch die Gefäße bis ins Herz geschoben. Bei rund 10.000 gesetzlich versicherten Patienten wurde im Jahr 2013 die Aortenklappe offen chirurgisch ersetzt, bei ebenso vielen geschah dies per Katheter.

Seit einiger Zeit gibt es eine dritte Variante, die zwischen den beiden Methoden angesiedelt ist: die nahtfreie Einpflanzung einer Aortenklappenprothese mittels einer minimalinvasiven, also Schlüsselloch-OP. Die Mediziner, die dieses Verfahren nutzen, sehen darin klare Vorteile im Vergleich zu den anderen Methoden: kleinere Schnitte, kürzere Operationszeit, schnellere Genesung.

Wir haben eine solche Operation beobachtet. Es ist Anfang November. Das Wetter draußen ist herbstlich trüb. Doch bei dem siebenköpfigen Operationsteam der Herzchirurgie im Herzzentrum Brandenburg in Bernau kommt keine negative Stimmung auf. Im Gegenteil, denn in dem gerade fertig gestellten Hybrid-Interventionssaal, der gleichzeitig Katheterlabor und Operationsflächen beinhaltet, ist alles neu. Außerdem steht ein spannender Eingriff auf dem OP-Plan.

»Das chirurgische Vorgehen beim nahtfreien Aortenklappenersatz erinnert zunächst an die konventionelle Operation«, sagt Johannes Albes, Chefarzt für Herzchirurgie im Herzzentrum Brandenburg: Dabei wird der Brustkorb des Patienten aufgesägt und das schlagende Herz freigelegt. Der Sack aus Bindegewebe, der das Herz umgibt, wird aufgeschnitten, um an die darunter liegenden Strukturen zu gelangen. Damit der Körper diese unnatürliche Situation gut überstehen kann, wird ein künstlicher Kreislauf geschaffen. Dazu wird der Patient an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, was für das Herz eine enorme Entlastung bedeutet.

"Der Druck zum aufspannen der Klappe im Herzen...
"Der Druck zum aufspannen der Klappe im Herzen...

© Mike Wolff

Ist all diese Vorarbeit geleistet, trauen sich die Operateure an die Aorta genannte Hauptschlagader heran. Sie verläuft nach einer großen Windung im Oberkörper nach unten, um auch noch die entlegenste Stelle am Fuß mit sauerstoffreichem Blut versorgen zu können. Kurz unterhalb dieses Aortenbogens (siehe Grafik Seite 46) wird die Hauptschlagader für die Dauer des Eingriffes abgeklemmt, damit kein Blut dorthin zurückläuft, wo gleich operiert wird. Gleichzeitig darf während der OP auch kein neues Blut nachgepumpt werden.

Dazu wird die Aktivität des Herzmuskels alle 20 Minuten mit kaltem Blut vorübergehend still gelegt. Entscheidend bei diesem Vorgehen, das sich nur wenig von einer konventionellen Herzklappen-OP am offenen Herzen unterscheidet, seien aber zwei innovative schonende Aspekte, sagt Herzchirurg Albes: »Der Brustkorb wird über einen sieben Zentimeter langen Hautschnitt nur zum Teil geöffnet, was die Atemtherapie nach dem Eingriff erleichtert und weniger Schmerzen aufkommen lässt.« Im Schnitt seien die Patienten dann wieder schneller auf den Beinen. »Außerdem wird die Zeit an der Herz-Lungen-Maschine durch die geringere Gesamtbelastung stark reduziert.«

Um bis zur verkalkten Aortenklappe vorzustoßen, schneidet der Herzchirurg zunächst die Hauptschlagader auf. Er sucht nach der Stelle, an der die Klappe mit dem Gefäß verwachsen ist. Oberhalb dieser sogenannten Klappenbasis kann er dann an drei Stellen die Klappen ein wenig hervorziehen, um einen besseren Überblick zwischen den feinen Strukturen zu erhalten. Dabei helfen ihm auch seine Lupenbrille und Stirnlampe. »Die drei Teile der verkalkten Aortenklappe, die zusammen etwa pflaumengroß sind, werden nacheinander herausgeschnitten«, sagt Albes. Auch die restlichen Kalkstrukturen in der Umgebung müssen entfernt werden, damit sie nicht in die Blutbahn geraten und Gefäße verstopfen.

... ist höher als der in einem Fahrradschlauch" - Johannes Albes.
... ist höher als der in einem Fahrradschlauch" - Johannes Albes.

© Mike Wolff

Das alles ist auch eine Frage der Größe, denn die neue Aortenklappe muss in das alte Gefäß passen. Dazu bestimmt der Chirurg bereits vor dem Eingriff mit einer computertomografischen Aufnahme die benötigte Größe und gleicht diese während der OP mit speziellen Messinstrumenten in der eröffneten Hauptschlagader mehrfach ab. Denn die Ersatzklappe darf nicht zu klein sein und muss das Gefäßinnere komplett abdichten, ohne mit der Gefäßwand vernäht zu werden - deshalb die Bezeichnung »nahtfrei« für die Operationsmethode.

Das Herz wird wieder mittels kaltem Blut in eine Art Winterschlaf versetzt. »Das kann das Herz über zwei Stunden gut durchhalten«, sagt Chefarzt Albes. Kritisch ist es, wenn die Aorta über drei Stunden abgeklemmt wird, da dann im Blut Zerfallsprozesse einsetzen. Die Herz-Lungen-Maschine könne sogar bis zu vier Stunden unproblematisch arbeiten, bis der Körper den künstlichen Kreislauf nicht mehr toleriere, sagt Albes.

Nun wird es endlich Zeit, die neue Klappe einzusetzen. Sie wird zusammengedrückt in einem Drahtgeflecht auf einen Halteapparat aufgezogen. Diesen Stab positioniert der Chirurg zusammen mit drei Führungsnähten vorsichtig an der richtigen Stelle im Gefäß. Hier wird ein Ballon aufgepumpt, der das Drahtgeflecht mit der neuen Aortenklappe, die aus Rindergewebe besteht, aufspannt. »Dazu ist über rund zehn Sekunden ein Druck von fünf bar nötig, das ist mehr als in einem Fahrradschlauch«, sagt Albes. Das Drahtgeflecht verkrallt sich im Gewebe, ohne dass das Implantat über 20 Nähte wie bei einer herkömmlichen Herzklappen-OP fixiert werden müsste - die nahtfreie Aortenklappe sitzt fest und sicher.

Anschließend werden die übrigen Haltevorrichtungen der Klappe entfernt. Der Herzchirurg näht die Aorta vorsichtig wieder zu, entfernt die Klemme und entlüftet die Hauptschlagader. Dieser letzte Schritt ist notwendig, damit keine eventuell im Gefäß gebliebenen Luftbläschen Blutgefäße verstopfen - so wenig wie Kalkbrösel ins Blutsystem gehören, hat auch Luft dort nichts zu suchen. Zum Schluss der Operation kontrollieren die Ärzte die Funktionalität der neuen Klappe mit einer Ultraschallsonde, die als Teil der Operationsvorbereitung in die Speiseröhre des Patienten bis auf Höhe des Herzens eingeführt wurde.

»Im Herzzentrum in Bernau, das zu neugegründeten Medizinischen Hochschule Brandenburg gehört, wurden auf diese Weise bisher rund 200 nahtfreie Klappen implantiert«, sagt Albes. Das Verfahren verkürze gegenüber der konventionellen OP die Zeit, in der die Hauptschlagader abgeklemmt ist, ebenso wie die Dauer, in der die Herz-Lungen-Maschine den Kreislauf am Funktionieren halten muss. Die gesamte Zeit für den Eingriff ist dadurch kürzer. Das mache solche Eingriffe selbst bei Patienten möglich, die unter schweren Nebenerkrankungen leiden und für die die OP-Zeit so kurz wie möglich gehalten werden müsse, sagt der Chefarzt. »Für das Verfahren eignet sich fast jeder, der eine neue Aortenklappe braucht.« Lediglich Patienten mit einer stark verzogenen Aorta oder einer akuten Herzinfektion wie einer Endokarditis kämen dafür nicht infrage. Alle anderen könnten von der Methode »Weniger Chirurgie ist mehr« profitieren.

Mehr zum Thema lesen Sie im Magazin für Medizin und Gesundheit in Berlin "Tagesspiegel Gesund - Die besten Ärzte für Herz & Kreislauf".

Weitere Themen der Ausgabe: Sport. Welches Training tut ihrem Herz gut?; Stress kann krank machen - und trifft oft die Armen der Gesellschaft; Cholesterin. Über die guten und schlechten Seiten des Blutfetts; Navigator. Routenplaner zum gesunden Herzen; Bypass-OP. Eine Reportage aus dem Operationssaal; Herztransplantation. Das lange Warten auf den Spender; Lebensrettung. Wie ein Patient einen Herzanfall überlebte; Herzkatheter. Ein Stent wird eingesetzt; Metabolisches Syndrom. Jugendliche lernen in der Adipositas-Ambulanz, nein zu sagen; Herzreha. Lernziel: Lebensstil radikal ändern; Telemedizin. Wenn der Arzt virtuell zum Hausbesuch kommt; Beininfarkt. Gefäßverschlüsse können gefährlich sein; Krampfadern. Erfolgreich therapieren; Thrombose. Ursachen und Behandlung; und außerdem in übersichtlichen Tabellen: Kliniken und Ärzte im Vergleich

Leonard Hillmann

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