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Jörg Woltmann im Interview: "Ich erhalte Kulturgut"

Vor zehn Jahren rettete Jörg Woltmann die Königliche Porzellanmanufaktur vor der Insolvenz. Im Interview erzählt er von seiner Liebe zu Porzellan, wie die KPM mittlerweile dasteht und warum Berlin der allerbeste Standort ist.

Von Heike Gläser

Die Tasse ist so royal wie die Geschichte des Unternehmens. Die Königliche Porzellanmanufaktur (KPM) wurde 1763 von Friedrich dem Großen gegründet. Der Bankier Jörg Woltmann hat die Manufaktur vor knapp zehn Jahren vor der Insolvenz gerettet. Der 69-Jährige führt seine Bürotasse "Kurland Royal Noir" mit ruhiger Hand zum Mund. Die Form der schwarzen Porzellantasse mit vergoldeter Reliefkante entstand 1790, wird heute immer noch produziert und kostet 1190 Euro.

Herr Woltmann, schmeckt der Tee daraus anders?
Ja, er schmeckt eindeutig besser, der Kaffee im Übrigen auch.

Ist jede dieser Tassen von Hand gemacht?
Die Form wird gegossen, aber alles andere ist handgefertigt. An einer Tasse arbeiten 25 Manufakturisten, es sind 29 Arbeitsschritte und die Herstellung dauert 14 Tage. Dabei durchläuft die Tasse zehn Qualitätskontrollen. Wir reden nur von einer weißen Kurland-Tasse – ohne Bemalung.

Sie haben die KPM vor knapp zehn Jahren vor der Insolvenz gerettet. Wie hat sich das Unternehmen seither entwickelt?
Die KPM hatte immer einen sehr hohen Qualitätsstandard. Neben den Problemen im Management wurde damals einfach zu wenig verkauft und kaum Export betrieben. Heute ist für hochwertiges Porzellan mit Blumen- oder Landschaftsmalerei ein Markt da, vornehmlich in Asien. Nächstes Jahr planen wir in Berlin eine Leistungsschau, um zu zeigen, was wir können, weil wir glauben, dass auch in Deutschland eine Nachfrage hierfür besteht.

Wie viel Prozent macht der Export aus?
Der Exportanteil liegt derzeit bei annähernd 20 Prozent. Taiwan ist dabei unser stärkster Auslandsmarkt.

Wie groß ist der Anteil an Privatkunden?
Circa 80 bis 90 Prozent. Darüber hinaus wird das Porzellan von Firmen und Regierungen gerne an Kunden oder Gäste verschenkt. Das Porzellan ist ein Luxusprodukt, aber es hat ja seinen Grund, warum beim Bundespräsidenten bei hohen Staatsbesuchen in KPM eingedeckt wird.

Und wie steht die KPM heute wirtschaftlich da?
Es ist schwieriger, als ich gedacht habe. Es ist wie beim Hausbau: Es dauert länger und wird teurer. Wirtschaftlich könnte das Unternehmen besser dastehen, aber nach einiger Zeit ist mir bewusst geworden, welche Aufgabe und Verpflichtung es ist, dieses Kulturgut zu erhalten. Dazu gehören beispielsweise Historiker, die das KPM-Archiv pflegen. Die vielen Formen müssen überarbeitet werden, all das kostet enorm viel Geld. Dies gehört aber unweigerlich dazu, wenn man ein Kulturgut erhalten will.

Gibt es vergleichbare Manufakturen in anderen europäischen Ländern?
Im Porzellanbereich ist Deutschland mit Meissen, KPM und Nymphenburg führend. Es gibt auch Marken wie Augarten in Österreich, Herend in Ungarn oder kleinere Manufakturen in Frankreich, aber von der Größe her sind die bedeutendsten hier in Deutschland.

Was ist nötig, um die traditionelle Handwerkskunst auch im 21. Jahrhundert fortzuführen?
Das Wichtigste ist sicher die Ausbildung. Bei uns bilden wir alle Mitarbeiter selbst aus, um altes Handwerkskönnen weiterzugeben. Und wir sind sehr stolz darauf, dass unsere Lehrlinge grundsätzlich mit der Bestnote abschließen.

Interessieren sich junge Leute heute noch für die alte Handwerkskunst?
Wir haben gar keine Nachwuchsprobleme, weil dieser Beruf eine Berufung ist. Im Bereich Porzellanmanufakturmaler sind wir der einzige Ausbildungsbetrieb. Wir haben wesentlich mehr Bewerber, als wir einstellen können.

Wie sehen Sie die Zukunft der KPM?
Die Zukunft der Manufaktur sehe ich durchaus positiv, ich muss ja das Unternehmen für die nächsten 150 Jahre stabil machen. Das ist die große Aufgabe. Aber ich sehe zwei Tendenzen: Zum einen den Trend zur Nachhaltigkeit, zum anderen den Trend zum Luxus: Wenn man die Menschen sensibilisiert für die tollen Produkte und sie damit in Berührung kommen, dann empfinden sie auch eine gewisse Wertschätzung. Ich bin zu 100 Prozent überzeugt, dass das Unternehmen wirtschaftlich profitabel wird. Und das dauert nicht mehr lange. Im Augenblick ist es noch Mäzenatentum.

Wie kam es zu Ihrer Leidenschaft für Porzellan?
Schon als kleines Kind wusste ich, dass KPM etwas Besonderes ist, weil nur sonntags vom guten Geschirr gegessen wurde. Da mussten mein Bruder und ich nicht abräumen geschweige denn abwaschen, damit nichts kaputt geht. Mit 28 Jahren habe ich mir mein erstes KPM-Service geleistet – und ich freue mich jeden Tag daran.

Ist Berlin ein guter Manufaktur-Standort?
Ich bin ja gebürtiger Berliner. Und Berlin ist für alles ein guter Standort. Anfang Oktober fand die Verleihung des Berliner Verdienstordens statt. Nicht nur ich habe ihn erhalten, sondern auch Wim Wenders. Ich habe mich dort mit ihm lange unterhalten. Und er sagte, er habe überall auf der Welt gelebt, aber er sei immer wieder reumütig nach Berlin zurückgekommen. Für mich ist Berlin die interessanteste Stadt, die es überhaupt gibt.

Wie sieht es mit der Nachfolge aus?
Ob die KPM in Familienbesitz bleibt, ist noch offen. Möglich wäre auch ein Stiftungsmodell. Es ist das älteste Unternehmen in Berlin und auch ein Aushängeschild für die Stadt. Mir geht es darum, die Manufaktur für Berlin und für Deutschland zu erhalten und nicht an einen Großkonzern im Ausland zu verkaufen.

Dieses Interview erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen

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