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Joachim Hunold, Gründer und langjähriger Vorstandschef der Fluggesellschaft Air Berlin.

© Air Berlin

Kolumne: Reiseweltmeister ohne Flughafen?

Die Luftfahrtindustrie hat hierzulande keine Lobby, bemängelt unser Kolumnist Joachim Hunold. Gegen den BER wird erbittert gekämpft - dabei sind die Deutschen doch Reiseweltmeister. Wie passt das zusammen?

Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik errang im brandenburgischen Landkreis Teltow-Fläming ein parteiloser Einzelbewerber ein Direktmandat für den Landtag. Und in Luxemburg entschied der Europäische Gerichtshof, dass ein Fluggast 250 Euro Entschädigung bekommt, weil die Tür des Jets erst drei Minuten nach Ablauf der dreistündigen Karenzzeit geöffnet wurde. Obwohl beide Ereignisse offensichtlich nichts miteinander zu tun haben, basieren sie doch auf der derselben Grundstimmung. Nämlich darauf, dass die Luftfahrt bei uns keine Lobby hat.

Christoph Schulze reichten im Wahlkreis Teltow-Fläming III 27 Prozent der abgegebenen Erststimmen für den Sprung ins Landesparlament. Gewählt wurde er, weil er ein erklärter Gegner des Großflughafens BER ist. Das reichte seinen Wählern als Programm. Dabei profitieren die Bewohner im südlichen Teil des Berliner Speckgürtels jetzt schon vom noch nicht eröffneten BER. Denn der Bau des Flughafens, die Ansiedlung neuer Firmen und der damit verbundene Zuzug von Menschen haben einen Beschäftigungsboom ausgelöst. Wer heute im Dunstkreis von Schönefeld ein Haus bauen will, bekommt kaum noch einen Handwerker.

Trotz dieser beschäftigungspolitischen Erfolgsgeschichte bekennt sich im Brandenburger Landtag eigentlich keine Partei so richtig zum Flughafen. Die einzige, die vorbehaltlos hinter dem größten Infrastrukturprojekt des Landes stand, scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde – nämlich die FDP. Alle anderen Parteien schielen auf die lautstarke Gruppe der Flughafengegner und eiern herum.

Brandenburg ist symptomatisch für die Republik. Die Luftfahrt gehört zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen des Landes. Sie generiert nicht nur mehr als 800.000 Arbeitsplätze, sondern auch solche, die überdurchschnittlich gut bezahlt werden. Der Luftverkehr ist nicht nur für den Wirtschaftsstandort Deutschland unverzichtbar, sondern auch ein Garant für Lebensqualität. In diesem Jahr hat das Flugzeug erstmalig das Auto als beliebtestes Verkehrsmittel für die Urlaubsreise abgelöst: 21 Millionen Deutsche fliegen, 20 Millionen nutzen das Auto.

Trotzdem haben die Airlines hierzulande mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Einmal, weil der Wettbewerbsdruck in Europa enorm ist; zum anderen, weil die politischen Rahmenbedingungen nicht stimmen. Die Betriebszeiten der Flughäfen – und damit der wirtschaftliche Einsatz von Flugzeugen – werden ständig eingeschränkt. Überdies benachteiligt der Staat die deutschen Airlines gegenüber der ausländischen Konkurrenz noch mit der unsinnigen Luftverkehrssteuer. Das Tüpfelchen auf dem "i" sind dann noch absurde Gerichtsurteile nach dem Motto: Wir zahlen 49 Euro für den Flug und bekommen 250 Euro zurück, weil die Tür der Maschine drei Minuten zu spät geöffnet wurde. Wir Deutschen sind bekanntlich Reiseweltmeister. Anscheinend wider Willen.

Diese Kolumne erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen

Joachim Hunold

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