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Mehr als 3000 Motive: Lidwien Steenbrink führt das Postkarten-Unternehmen Inkognito.

© Doris Spierkermann-Klaas

Kreuzberger Firma "Inkognito": Schräges auf Papier gedruckt

Die Postkarten der Kreuzberger Firma "Inkognito" sind schräg und ungewöhnlich, mit intelligentem Humor, wie Geschäftsführerin Lidwien Steenbrink sagt. Dabei war sie nur durch einen Zufall auf den Chefsessel gerutscht - und es gab eine Zeit, in der es sehr düster für die Firma aussah.

Ruhig und grün liegt das Engelbecken zwischen Reichenberger Straße und Oranienplatz, gar nicht weit weg vom belebten und wuseligen Kottbusser Tor. In einer großen hellen Altbauwohnung im Vorderhaus befindet sich das Hauptquartier von Inkognito, der Postkartenfirma, die eine ganze Generation von Berlinern durchs Leben begleitet hat. Eine Kreuzberger Erfolgsgeschichte: Seit nunmehr 30 Jahren werden in diesen Räumen Ideen gesammelt, Postkarten, Plakate und Geschenkartikel erdacht und in alle Welt verkauft. Über 3000 verschiedene Kartenmotive liegen in den großen Archivschränken im Flur.

Geschäftsführerin Lidwien Steenbrink war von Anfang an dabei. Ihr vor sieben Jahren verstorbener Lebensgefährte Michael Etter gründete Inkognito 1984 als "Gesellschaft für faustdicke Überraschungen". "Michael war ein begnadeter Werber und verdiente damit richtig gut", sagt Steenbrink, "Werbung musste seiner Meinung nach mit einem ganz besonderen Witz verbunden sein. Irgendwann hatte er keine Lust mehr, sich ständig von den Kunden herumkommandieren zu lassen."

Einer von Etters besten Freunden, der Berliner Maler Michael Sowa, lieferte erste Motive für die neue Geschäftsidee, schräge und ungewöhnliche Werbemittel zu entwickeln. Mit sieben Postkartenmotiven fing alles an. "Köhlers Schwein", eines von Sowas bekanntesten Bildern, gehört immer noch zu den beliebtesten Karten im Portfolio von Inkognito, wie Steenbrink stolz erzählt. Viele heute sehr bekannte Zeichner und Illustratoren konnte der alle begeisternde Bayer Michael Etter im Lauf der Jahre für seine Firma gewinnen. Die Liste der Inkognito-Künstler aus den 1980er-Jahren liest sich wie das "Who is Who" der deutschen Satirikergilde: Ernst Kahl, Loriot, F. K. Waechter, Robert Gernhardt, Greser & Lenz und andere, von denen damals auch viele für das Satiremagazin "Titanic" arbeiteten. Ihre beliebten Motive gehören heute noch zum Programm von Inkognito.

Die Kreuzberger Firma wuchs stetig, originelle Postkarten und ungewöhnliche Geschenkartikel entwickelten sich zum guten Geschäft, gerade in der alternativen Szene. Es gab in den 1980er und 1990er Jahren kaum Konkurrenz auf dem deutschen Markt. Gratispostkarten als Werbung gab es noch nicht, die Buchläden, in denen ein Großteil des Sortiments von Inkognito verkauft wurde, florierten. Vom Aufschwung profitierten alle: die Firma, die Angestellten und die Künstler.

In West-Berlin war Grafikdesign weitgehend unbekannt

Auch jüngere Illustratoren wie Rattelschneck, Hauck & Bauer, Til Mette oder Kittihawk gehören inzwischen zum Künstlerteam. "Viele von ihnen hatten das gar nicht auf dem Schirm, dass man auch mit Postkarten Geld verdienen kann", sagt Steenbrink. Manche von ihnen wurden sogar berühmt: Michael Sowa galt in Fachkreisen immer schon als begnadeter Maler und Zeichner, sein Oeuvre in Postkartenform verschaffte ihm viele neue Fans, und das legendäre Poster vom "Suppenschwein" hing in so mancher WG-Küche. Später gestaltete er unter anderem Magazincover für "Die Zeit" und den "New Yorker". Seine berühmtesten Arbeiten aber machte Sowa 2001 für den französischen Filmemacher Jean-Pierre Jeunet und dessen Kinohit "Die fabelhafte Welt der Amélie". Mehrere seiner Bilder wie "Geflügel mit Perlenkette" waren als Animationen im Film zu sehen, ebenso die wunderbare "Schweinelampe" auf Amélies Nachttisch. Bis heute ein begehrtes Objekt aus dem Inkognito-Sortiment, das auch auf Steenbrinks Schreibtisch steht.

Sie selbst war 1981 aus den Niederlanden nach West-Berlin gekommen: "Ich wollte als gelernte Grafikerin eigentlich nur ein halbes Jahr im Ausland arbeiten, aber die Zeit verging schneller als ich dachte. Damals habe ich ja auch gleich die richtigen Leute kennen gelernt", sagt sie. Einer davon war Michael Etter. Die gemeinsame Tochter Lotte wurde 1990 geboren. "Wir waren nie verheiratet, das hatte man damals einfach nicht so", sagt sie und lacht.

Steenbrink machte sich früh als freie Grafikerin selbstständig, Aufträge gab es genug: "In West-Berlin war Grafikdesign weitgehend unbekannt. In der ganzen Stadt gab es nur drei oder vier Büros, die das professionell machten." Sie entwarf neben anderem über viele Jahre Plakate und Flyer für den Martin-Gropius-Bau, auch das Logo und das Briefpapier von Inkognito stammen aus ihrer Feder. In der Firma ihres Lebensgefährten arbeitete sie immer wieder mit, ihr Büro lag damals im Hinterhaus, die Wege waren kurz. Auch als Etter und sie sich nach vielen Jahren trennten, blieben sie die meiste Zeit in gutem Kontakt: "Unsere Tochter sollte nie darunter leiden, dass wir nicht mehr zusammen waren", sagt Steenbrink. Nach Michael Etters unerwartetem Tod im Jahr 2007 war überhaupt nicht klar, wie es mit der Firma weitergehen sollte. Tochter Lotte, die Erbin, war gerade 16 Jahre alt.

"Zusammen mit allen Mitarbeitern haben wir überlegt, ob wir verkaufen sollen oder ob die Belegschaft die Firma übernimmt", sagt Steenbrink. "Am Ende bin ich dann erst einmal eingesprungen, ich wusste ja, wie vieles läuft. Und jetzt sitze ich immer noch hier." Erst seit 1. Januar 2014 übt sie ihren Geschäftsführerjob auch hauptberuflich aus, ihr Grafikbüro hat sie vorläufig stillgelegt.

Die Anfangsjahre als neue Chefin waren hart, so erzählt sie heute. Die Konkurrenz von E-Mail und Internethandel, verbunden mit dem Rückgang der Buchläden, verursachte bereits um die Jahrtausendwende starke Umsatzeinbrüche im Postkarten-Geschäft. Steenbrink und ihr eingespieltes Team planten deshalb auch neue Vermarktungsstrategien und Vertriebswege: Mit einer intensiven Betreuung der Buchladenkunden durch eigene Vertreter, einfacheren Bestellsystemen und der Professionalisierung des Online-Shops erreichten sie ihre Kunden direkter und schneller, die Lieferung folgt meist schon am nächsten Tag.

Es geht um intelligenten Humor

Das beliebte Sortiment wurde ständig erweitert: Merchandising-Artikel wie die "Amélie-Lampe", die Loriot-Buchstützen "Herren im Bad", mit Sprüchen bedruckte Brillenputztücher und Kofferanhänger, humorige Frühstücksbrettchen oder skurrile Alltagsgegenstände wie die "Zitronenpresse Angie" (mit dem Kopf der Bundeskanzlerin) tragen neben den Postkarten zu einem Jahresumsatz von über 2,5 Millionen Euro (2013) bei. Auch die Postkarte an sich habe, trotz Internet und Social Media, wieder eine Wertsteigerung erfahren, sagt Steenbrink: "Heutzutage ist das beinahe wie ein Geschenk, wenn man eine schöne Karte im Briefkasten findet."

Sie erzählt von ihrer inzwischen 23-jährigen Tochter, die hauseigene Postkarten an Freunde verschickt und dann begeisterte Reaktionen erntet. "Es geht bei allen Produkten, die wir verkaufen, um intelligenten Humor, oft auch um Satire, aber immer um kluge Assoziationen, die man durch das Verschicken oder Verschenken mit anderen teilen will", sagt Steenbrink. Darin unterscheide sich das Inkognito-Sortiment vom Angebot klassischer Glückwunschkartenhersteller: "Die üblichen netten Blümchenkarten oder etwas wie niedliche Diddl-Mäuse werden Sie bei uns wohl nicht finden."

Die Qualität ihrer Produkte unterscheide sich vom Üblichen, sowohl im Inhalt als auch im Material, darauf legt die Geschäftsführerin von Inkognito viel Wert. "Alles, was irgendwie preislich machbar ist, geben wir bei unserem Drucker in Kreuzberg in Auftrag. Den kenne ich seit Jahren und kann mich auf seine Arbeit verlassen. Auch der Umgang miteinander ist ganz anders, wenn mal etwas schief geht."

Für die Postkarten habe sie lange nach festerem Papier gesucht. Das neue Material aus Schweden verzieht sich nicht bei leichter Feuchtigkeit und bleicht nicht so schnell in der Sonne aus, denn "oft stehen die Ständer mit unseren Karten draußen vor den Geschäften", so Steenbrink. Den Qualitätsanspruch der Firma schätzten nicht nur die Kunden, sondern auch die Künstler. "Ich habe bei bestimmten Sachen altmodische Prinzipien", sagt Steenbrink. "Alle, die für uns arbeiten, werden anständig bezahlt und können davon leben."

Sie ist sich bewusst, sagt sie, dass sie ohne ihre 30 engagierten Mitarbeiter, von denen viele schon über 20 Jahre für Inkognito arbeiten, den Laden nicht hätte halten können. Gegenseitige Loyalität sei wahnsinnig wichtig: "Irgendwie sind wir einfach ein Familienbetrieb, obwohl wir nicht miteinander verwandt sind." Ob ihre Tochter selbst eines Tages in die Firma einsteigen wird? Lidwien Steenbrink ist sich nicht sicher, sie will sie auch nicht drängen: "Wir haben aber einen Deal: Wenn sie weiß, dass sie nicht übernehmen will, dann sagt sie mir sofort Bescheid."

Dieses Stück erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen

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