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20 Jahre Mauerfall: Eine Chronik der Ereignisse des Jahres 1989

Das Jahr 1989 begann für die Deutschen wie jedes andere – scheinbar. Aber an seinem Ende war, zumindest für die Ostdeutschen, nichts mehr wie vorher. Eine Chronik des Wendejahres.

Die rapide anschwellende Ausreisewelle, die immer kraftvoller werdende Bürgerrechtsbewegung, der überraschende Mauerfall und schließlich der Ruf: „Wir sind ein Volk“ – die Ereignisse überschlugen sich in einem Tempo, das den Menschen gelegentlich den Atem verschlug. Die friedliche Revolution fegte in jenem Jahr in der DDR den alten Machtapparat hinweg. Auch in den anderen ehemals kommunistischen Diktaturen Ostmitteleuropas überwanden die Menschen das alte Regime. So wurde der Grundstein für die Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas gelegt. Im Folgenden werden einige der wichtigsten Ereignisse in jenem Revolutionsjahr dokumentiert. Die Auswahl stützt sich auf eine entsprechende Zusammenstellung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

1. Januar: Eine neue DDR-„Reiseverordnung“ tritt in Kraft, welche die Möglichkeiten zu Privatreisen in den Westen beziehungsweise auf ständige Ausreise erweitert. Von oppositionellen Gruppierungen und Kirchen wird sie als zu eng und bürokratisch kritisiert.

3. Januar: Die Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter, die akribisch Menschenrechtsverletzungen im anderen Teil Deutschlands verzeichnet, registriert für 1988 1232 Gewaltakte gegen DDR-Bürger.

9. Januar: Neun DDR-Bürger flüchten in die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, um die Ausreise zu erzwingen.

13. Januar: Die Sozialdemokratische Partei Ungarns wird in Budapest wiedergegründet.

15. Januar: Polen fordert vor dem Besuch des polnischen Ministerpräsidenten Rakowski in Bonn die Garantie seiner Westgrenze auch im Falle einer deutschen Wiedervereinigung.

16. Januar: Die regierende Polnische Kommunistische Partei beschließt die Wiederzulassung der seit 1981 verbotenen unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc. Sie wird am 17. April wieder legalisiert.

19. Januar: Der SED-Vorsitzende Erich Honecker versichert, die Mauer werde „noch in 50 und 100 Jahren“ stehen.

6. Februar: Der 20-jährige Chris Gueffroy wird bei einem Fluchtversuch an der Mauer von Grenzsoldaten erschossen.

7. Februar: Erstes Treffen in Polen am Runden Tisch zwischen Regierung und Opposition. Solidarnosc-Chef Lech Walesa sieht gute Chancen auf Einigungen.

21. Februar: Vaclav Havel wird in Prag wegen „Rowdytums“ zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Am 17. Mai wird er nach massiven Protesten aus dem In- und Ausland vorzeitig aus der Haft entlassen.

21. März: Der sowjetische Staats- und Parteichef Gorbatschow unterzeichnet ein Dekret zur Reduzierung der sowjetischen Streitkräfte um eine halbe Million Mann bis Ende 1990. Wenige Tage zuvor hatte bereits die CSSR einen Truppenabbau beschlossen. Polen hatte am 4. März mit der angekündigten Truppenreduzierung begonnen.

2. Mai: Ungarn kündigt den Abbau des „Eisernen Vorhangs“, der Grenzsicherungsanlagen an der Grenze zu Österreich, an und beginnt mit den Arbeiten. Am 27. Juni schneiden die Außenminister Ungarns, Gyula Horn, und Österreichs, Alois Mock, medienwirksam ein Loch in den Stacheldrahtzaun an der Grenze. Am 19. August nutzen fast 700 DDR-Bürger ein „Paneuropäisches Picknick“ im grenznahen St. Margareten im Burgenland und in Sopron, um über die Grenze nach Österreich zu flüchten. Die offizielle Grenzöffnung am 11. September hat die Flucht Tausender DDR- Bürger zur Folge.

7. Mai: In der DDR finden Kommunalwahlen statt. Bürgerrechtler kontrollieren die Stimmauszählungen und decken Wahl fälschungen auf. In Leipzig demonstrieren 1000 Menschen auf dem Altmarkt gegen den Wahlbetrug.

8. Mai: Erstmals wird zu einem Friedens gebet in der Leipziger Nikolaikirche ein Polizeikessel gebildet. Die Friedens gebete, fortan auch Montagsgebete genannt, hatten einen immer größeren Zulauf, unter anderen von Ausreisewilligen, verzeichnet. Am Rande der folgenden Friedens gebete gibt es zunehmend Polizeikontrollen, Übergriffe und Verhaftungen.

18. Mai: Der litauische Oberste Sowjet erklärt die Unabhängigkeit Litauens.

4. Juni: Die seit Wochen andauernden friedlichen Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking werden blutig niedergeschlagen. SED Politbüromitglied Egon Krenz rechtfertigt das gewaltsame Vorgehen gegen die Studenten. Am 6. Juni werden 16 Ost-Berliner Bürgerrechtler nach Protesten gegen die Ereignisse in Peking festgenommen.

12. Juni: KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow ist zu einem mehrtägigen Besuch in der Bundesrepublik. In einer gemeinsamen Erklärung versichern beide Staaten, zur Überwindung der Trennung Europas beizutragen.

7. Juli: Der Warschauer Pakt widerruft auf seiner Jahrestagung die „Breschnew Doktrin“ über die eingeschränkte Souveränität der Ostblockstaaten. Tags darauf kommt es zu heftigen Kontroversen zwischen Reformbefürwortern (Sowjetunion, Ungarn, Polen) und Reformgegnern (DDR, CSSR, Rumänien).

5. August: Erstmals nimmt die DDR-Regierung im DDR-Fernsehen Stellung zur Flucht von DDR-Bürgern in die Botschaften der Bundesrepublik in Ost-Berlin, Prag, Warschau und Wien. Die Flüchtlinge werden davor gewarnt, ihre Ausreise auf diese Weise erzwingen zu wollen. Die Bundesrepublik wird am 7. August vom DDR-Außenministerium der Einmischung in „innere Angelegenheiten“ bezichtigt. Die Ständige Vertretung in Ost-Berlin muss wegen Überfüllung (130 Flüchtlinge) vorübergehend ihren Publikumsverkehr einstellen, am 19. September wird auch die Botschaft in Warschau geschlossen.

13. August: Am Jahrestag des Mauerbaus demonstrieren Ausreisewillige am Brandenburger Tor in Berlin. Am 14. August verkündet Erich Honecker: „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“

4. September: In Leipzig versammeln sich im Anschluss an das Friedensgebet in der Nikolaikirche auf dem Kirchvorplatz rund 1000 Menschen, die „Stasi raus“ und Reisefreiheit fordern. Es ist die Geburtsstunde der Montagsdemonstrationen.

10. September: Das „Neue Forum“ veröffentlicht unter der Überschrift „Aufbruch 1989“ den von 30 Bürgerrechtlern unterzeichneten Gründungsaufruf der DDR- weiten Oppositionsbewegung. Der Zulassungsantrag wird am 21. September von den DDR-Behörden abgelehnt – mit der Begründung, die Bewegung sei „staatsfeindlich“. Am 14. Oktober findet die erste Landeskonferenz des „Neuen Forums“ in Berlin statt. Bis zum Ende des Jahres unterzeichnen insgesamt 200 000 DDR-Bürger den Aufruf.

12. September: Gründungsaufruf von „Demokratie Jetzt!“ in der DDR.

16. September: Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche in der DDR appellieren, die Ursachen für die Ausreise- und Fluchtwelle von DDR-Bürgern zu beseitigen.

24. September: In Leipzig treffen sich Vertreter des „Neuen Forums“, des „Demokratischen Aufbruchs“, von „Demokratie Jetzt“, der „Vereinigten Linken“ und weiterer oppositioneller Gruppen.

30. September: Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher verkündet vom Balkon der überfüllten Prager Botschaft, dass die Ausreise der dort versammelten DDR -Bürger genehmigt sei. In den nächsten Tagen fahren mehrfach Züge mit insgesamt 17 000 Flüchtlingen von Prag über die DDR in die Bundesrepublik, da die Botschaft mehrmals neu besetzt wird. Am 4. Oktober kommt es bei der Durchfahrt durch den Dresdner Hauptbahnhof zu Ausschreitungen, als Tausende Dresdner versuchen, in die Züge zu gelangen.

1. Oktober: Gründung der Bewegung „Demokratischer Aufbruch“ in der DDR.

7. Oktober: Am 40. Jahrestag der Gründung der DDR wird in Schwante bei Berlin von Markus Meckel, Martin Gutzeit und anderen die Sozialdemokratische Partei der DDR (SDP) gegründet. Die Feiern der SED- und Staatsführung zum Jubiläum in Berlin sichert unterdessen ein riesiges Polizeiaufgebot. Im Umfeld kommt es bei Demonstrationen zu Verhaftungen und massiver Gewalt. Gast der staatlichen Feierlichkeiten ist KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow, der mit seiner Politik von Glasnost und Perestroika (zu deutsch: Offenheit und Umbau) auch bei den DDR- Bürgern Hoffnungen auf demokratische Reformen geweckt hatte.

8. Oktober: Gründung der „Gruppe der 20“ in Dresden. Die rund 20 Dresdner Bürger wurden während der Demonstration an diesem Tag beauftragt, mit den Behörden über politische Forderungen zu reden.

9. Oktober: Die bislang größte Montagsdemonstration mit 70 000 Menschen in Leipzig wird zum „Tag der Entscheidung“. Die SED-Führung wagt es trotz Drohungen im Vorfeld nicht, die Demonstration gewaltsam aufzulösen. Am darauffolgenden Montag, dem 16. Oktober, sind es bereits 100 000 Teilnehmer. Am Samstag, dem 21. Oktober, finden zahlreiche Demonstrationen in der ganzen DDR statt.

17. Oktober: Das SED-Politbüro beschließt die Absetzung Erich Honeckers. Egon Krenz wird neuer SED-Generalsekretär. Tags darauf, am 18. Oktober, kündigt Krenz die Einleitung einer „Wende“ und die Verabschiedung neuer Reisebestimmungen an.

25. Oktober: Stasi-Chef Erich Mielke weist erhöhte Kampfbereitschaft und das Tragen der Schusswaffe an.

26. Oktober: Vertreter der „Gruppe der 20“ fordern bei ihrem ersten Auftritt vor der Dresdner Stadtverordnetenversammlung freie Wahlen.

30. Oktober: Der Chef der Staatlichen Plankommission der DDR, Gerhard Schürer, und andere führende DDR-Wirtschafts experten legen dem SED-Politbüro eine „Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlussfolgerungen“ vor, aus der hervorgeht, dass „ein Stoppen der Verschuldung“ im Jahr 1990 „eine Senkung des Lebensstandards um 25 bis 30 Prozent erforderlich und die DDR unregierbar machen“ würde.


2. November: Unter dem politischen Druck der Massenproteste treten unter anderen FDGB-Chef Harry Tisch, die Vorsitzenden von CDU und NDPD sowie Volksbildungsministerin Margot Honecker zurück.

4. November: Größte Massendemonstration in der Geschichte der DDR auf dem Berliner Alexanderplatz. Hunderttausende fordern Reformen, freie Wahlen und Meinungsfreiheit. Unter den Rednern auf der anschließenden Kundgebung sind auch Politbüromitglied Günter Schabowski und der ehemalige Mielke-Stell vertreter Markus Wolf. Beide werden ausgepfiffen.

7. November: Die gesamte DDR-Regierung, der DDR-Ministerrat, tritt zurück.

8. November: Das gesamte SED-Politbüro tritt zurück.

9. November: Auf der Pressekonferenz, die am Abend über die Ergebnisse der Polit bürositzung informiert, teilt Politbüromitglied Günter Schabowski mit, dass ab sofort die Ausreise ins westliche Ausland ohne das Vorliegen besonderer Gründe möglich ist. Die Mauer ist gefallen. Tausende überqueren noch in der gleichen Nacht die Grenze. Bundeskanzler Helmut Kohl bricht tags darauf seinen Polen Besuch ab, um am Abend vor dem Schöneberger Rathaus in West-Berlin auf einer Kundgebung zu sprechen.

11. November: In der Bernauer Straße beginnt unter dem Jubel der Menschen der Abriss der Berliner Mauer.

13. November: Die Sperrzone an der innerdeutschen Grenze und entlang der Berliner Mauer wird aufgehoben.

17. November: Mit über 50 000 Teilnehmern findet in Prag die größte Demonstration seit 20 Jahren statt.

18. November: Die DDR-Volkskammer bildet einen Untersuchungsausschuss zur Überprüfung von Amtsmissbrauch und Korruption.

24. November: Die tschechoslowakische KP-Führung tritt zurück und ermöglicht damit den Weg zu Reformen und freien Wahlen.

25. November: Im vogtländischen Plauen wird die erste öffentliche Forderung nach Wiedervereinigung erhoben.

26. November: Bürgerrechtler, Künstler und SED-Reformer plädieren im gemeinsamen Aufruf „Für unser Land“ für einen reformierten Sozialismus und für die Eigenständigkeit der DDR.

27. November: Leipziger Montagsdemonstration mit 150 000 Teilnehmern, erste Sprechchöre „Deutschland einig Vaterland“.

28. November: Bundeskanzler Kohl legt einen Zehn-Punkte-Plan zur schrittweisen Überwindung der deutschen Teilung vor.

30. November: Die tschechoslowakische Regierung gibt die sofortige Demontage aller Sperranlagen an der Westgrenze bekannt.

1. Dezember: Der Führungsanspruch der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, wird aus der DDR-Verfassung gestrichen.

2. Dezember: Auf dem Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Bush und Gorbatschow auf Malta steht die Deutschlandfrage im Mittelpunkt.


3. Dezember: Das Zentralkomitee und das Politbüro der SED unter Egon Krenz treten zurück.

4. Dezember: In Erfurt und einigen anderen Städten werden die ersten Stasi-Dienststellen von Bürgerrechtlern besetzt.

7. Dezember: In Ost-Berlin konstituiert sich der Zentrale Runde Tisch der DDR mit Vertretern von Parteien, Kirchen und Bürgerbewegungen.

8. Dezember: Der DDR-Generalstaatsanwalt leitet gegen Erich Honecker, Erich Mielke, Willi Stoph und andere Verfahren wegen Amtsmissbrauchs und Korruption ein.

9. Dezember: Die Geraer Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit ruft zum Putsch gegen die friedliche Revolution auf.

12. Dezember: Nach einem Amnestie beschluss des Staatsrates beginnen Haftentlassungen. Ausgenommen sind Kapitalverbrechen und andere schwere Delikte.

14. Dezember: Die Außenminister der Nato-Staaten sprechen sich für die deutsche Einheit in freier Selbstbestimmung aus.

16. Dezember: Initialzündung der Revolution in Rumänien: In Temeswar kommt es zu Demonstrationen, die sich über das ganze Land ausbreiten.

18. Dezember: Schweigemarsch mit rund 150 000 Teilnehmern in Leipzig für die Opfer des Stalinismus. Auch in Dresden, Schwerin, Halle und Ost-Berlin finden große Demonstrationen statt.

19. Dezember: Bundeskanzler Kohl besucht die Stadt Dresden und wird dort von Zehntausenden Menschen begeistert em pfangen.

21. Dezember: Der Schießbefehl an der DDR-Westgrenze wird offiziell aufge hoben.

22. Dezember: Das Brandenburger Tor wird unter dem Jubel von rund 100 000 Menschen wieder geöffnet.

23. Dezember: Das Ostberliner „Neue Forum“ steht vor einer Zerreißprobe: Soll es Partei werden oder Bürgerbewegung bleiben?

24. Dezember: Das DDR-Fernsehen überträgt an Heiligabend erstmals eine evangelische Christvesper und die Christmette des Papstes aus dem Vatikan.

25. Dezember: In Rumänien werden der bisherige Staatschef Nicolae Ceausescu und seine Frau hingerichtet.

29. Dezember: Vaclav Havel wird einstimmig zum tschechoslowakischen Staats präsidenten gewählt.

30. Dezember: In seiner vorab veröffentlichten Ansprache zum Jahreswechsel würdigt Bundeskanzler Helmut Kohl den Kampf der Menschen in der DDR und in den anderen Staaten Osteuropas für Freiheit, Menschenrechte und Selbstbestimmung. Das folgende Jahr 1990 wird den Menschen in Ost und West die deutsche Einheit auf der Basis des Einigungsvertrages bringen.

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