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Große Tafelrunde: Die Freunde bewirten

Eigentlich wollte sich Tagesspiegel-Leser Manfred Hoffmann am Freitag, den 10. November, zur Mauer aufmachen. Er überlegte es sich aber doch anders und ging erst einmal einkaufen. Und das war gut. Denn einige Stunden später standen die ersten Gäste vor der Tür.

Erfahren von der Maueröffnung habe ich durch einen sehr emotionalen Anruf meiner Verwandten aus Arizona/USA. Als am 9.11.1989 die ersten Grenzkontrollstellen geöffnet wurden, saßen die beim Kaffee vor ihrem Fernseher und wir hatten unsere Kiste nicht angeschaltet. Dann sahen wir die Berichte im Fernsehen und wollten eigentlich gleich los und mitten drin dabei sein. Beim genauen Hinsehen schien es uns geraten, wegen des unbeschreiblichen Gedränges und der verstopften Straßen unsere Begegnung mit der offenen Mauer auf den nächsten Morgen zu verschieben.

Beim Schuhe zubinden am nächsten Tag hatten wir plötzlich die Erleuchtung, dass wir noch am Vormittag Besuch von vielen Freunden aus dem Osten bekommen würden, die uns dann nicht antreffen könnten. Statt eines Mauerbesuchs wendeten wir uns dem nächsten Supermarkt zu, um etwas zum Mittagessen für eine ausgedehnte Tischrunde einzukaufen. Um 10Uhr bog der erste Trabi in unsere Straße ein. Noch nicht für uns! Aber um 10.30 Uhr hielt die erste Rennpappe vor unserer Tür. Es war herrlich, rührend und herzlich. Mein Freund aus Dresden fuhr mit dem Taxi vor. Er war im Ostteil Berlins mit seinem Auto im Gedränge gestrandet, versuchte es mit der U-Bahn vom gerade geöffneten Bahnhof Jannowitzbrücke, erkannte auf dem Bahnhof schnell die Hoffnungslosigkeit seines Plans und fing ein Taxi ein. Seine Kinder konnten nur schwer beruhigt werden, weil das schöne, gerade erworbene, Westgeld für so eine profane Taxifahrt eingesetzt werden sollte.

Da waren sie dann alle, die Köpenicker, die Dresdener, die Friedrichshagener.  Am Tisch waren 12, die sich immer wieder ungläubig ansahen und sich ab und zu mal in den Arm kniffen, um sicher zu gehen, dass sie nicht träumten. Es wurde ein ausgelassenes Mittagessen, entspannt und fröhlich. Und das Schönste war, dass wir das morgen wieder haben konnten und übermorgen auch, wenn uns danach war.  Am darauf folgenden Sonntag hatten wir wieder eine so große Tischrunde und 14 Tage später reisten wir auch mal in die andere Richtung. Es war noch nicht „normal“. Die Baracken der Grenzkontrolle standen noch, unter der Oberbaumbrücke waren die Sperranlagen in der Spree zu sehen, ab und zu standen noch ein paar „Kontrollorgane“ rum, die Begeisterung der Menschen hielt an und es gab keinen Zwangsumtausch mehr.

Es war ein Wunder und für uns und unsere Freunde ist es bis heute so geblieben!

Manfred Hoffmann

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