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Heimweh nach Berlin: Die Maueröffnung verschlafen

Nahe der Mauer in Neukölln aufgewachsen, hatte es die Tagesspiegel-Leser Andrea und Andreas Klose aus beruflichen Gründen nach Frankfurt am Mai verschlagen. Am Abend des 9. November hatten sie Gäste zum Essen eingeladen. Von den Ereignissen in Berlin erfuhren die Beiden erst am nächsten Morgen.

Unsere gesamte Kindheit und Jugend hatten mein Mann und ich, beide vor dem Mauerbau geboren, im Westen der geteilten Stadt, genauer gesagt in Neukölln immer „Mauer-nah“ verbracht.

Als es uns im Jahr 1986 aus beruflichen Gründen nach Frankfurt am Main verschlug, war das Heimweh nach unserer geteilten Stadt größer als wir dachten. Unsere Familien und Freunde hatten wir zurück gelassen, neue Kontakte zu Nachbarn oder Kollegen wurden langsam aufgebaut. Die für uns noch ungewohnte Tatsache, ohne Ausweiskontrolle von einem Ort zum anderen zu gelangen, machte es uns nicht unbedingt leichter in unserem neuen Umfeld, so paradox das auch klingen mag, aber wir kannten es jahrzehntelang nicht anders.

Das erste, unser Leben völlig auf den Kopf stellende wichtige Ereignis im Jahr 1989 war die Geburt unseres lang ersehnten ersten Kindes im April. Die Besuche aus Berlin wurden besonders von familiärer Seite wieder häufiger, unser Sohn lernte schon früh die deutsche Reichsbahn und die PanAm kennen. Einige Paare aus unserem Freundes-und Kollegenkreis waren inzwischen auch Eltern geworden, und so hatten wir über die Kinder viele Kontakte hinzu gewonnen.

Die Entwicklungen in der DDR, besonders die Montagsdemonstrationen in Leipzig verfolgten wir in den folgenden Wochen und Monaten sehr intensiv, zumal wir beide auch Verwandtschaft im Ostteil der Stadt und in der DDR hatten.

Hans-Dietrich Genschers Worte in Prag erlebten wir vor dem Fernseher während eines gemeinsamen Urlaubs mit meinen Eltern in Österreich. Meine Eltern waren 1958 von Ost- (Oberschöneweide) nach West -Berlin (Schöneberg) „geflüchtet“ und sahen fast ungläubig, mit großer Freude und Rührung die Szene, die sich in der Prager Botschaft abspielte.

Zum Abendessen am 9.November 1989 hatten wir einen Kollegen meines Mannes mit Frau und Kind eingeladen. Wir waren bei den Vorbereitungen zum gemeinsamen Raclette-Essen, als mein Mann die „heute-Nachrichten“ um 19 Uhr verfolgte, aufgeregt in die Küche stürzte und mir Schabowskis Worte von mitteilte.

Ich konnte die Aussage so nicht glauben und unterstellte meinem Mann, das falsch verstanden zu haben, und als es gleich darauf klingelte, waren der Besuch und das gemeinsame Essen vorrangig. Obwohl wir während des Abends viel über die politische Lage diskutierten, kam niemand von uns auf die Idee, den Fernseher oder das Radio einzuschalten. Kurz nach 23 Uhr verließen uns unsere Gäste und in der Annahme, dass die „Tagesthemen“ nun auch vorbei waren und unser Sohn noch keine Nacht durchgeschlafen hatte, gingen wir müde ohne weitere Informationen zu Bett.Wir wussten nicht, dass aufgrund der Übertragung eines Europacup-Spieles die Tagesthemen verspätet begonnen hatten.

Das war- historisch gesehen- ein unverzeihlicher Fehler! Wir hatten die Wende regelrecht verpennt!

Am nächsten Morgen weckte mich mein Mann telefonisch vom Dienst aus, nachdem er die Nachrichten und Geschehnisse der letzten Nacht über „Reuters“ erfahren hatte, wir konnten nicht glauben, was geschehen war. Nur kurze Zeit später riefen sämtliche Verwandte aus Berlin (West) an, um uns lachend und weinend und sehr aufgeregt über die von ihnen erlebte letzte Nacht zu berichten. Den ganzen Tag verbrachte ich mit meinem Sohn im Arm nun vor dem Fernseher. Da saßen wir nun in Frankfurt am Main, und in Berlin geschahen ganz neue, geschichtlich kaum fassbare Veränderungen.  Das erste Weihnachtsfest in jenem Jahr erlebten wir als große vereinte Familie bei meinen Eltern in Berlin-Lichtenrade und mussten uns diesmal nicht, wie sonst all die vielen Jahre vorher, am zweiten Weihnachtsfeiertag durch die Enge und den Andrang am Grenzübergang Sonnenallee bzw. Friedrichstraße quälen, um in Treptow zu feiern. Als jemand am späten Nachmittag nach der weihnachtlichen Bescherung vorschlug, doch jetzt schon mal die Zollscheine für die „Rückreise“ auszufüllen, löste das eine regelrechte Lachsalve aus. Wir machten einige Tage später unseren ersten Spaziergang durch das Brandenburger Tor und waren sehr überwältigt von der neu gewonnenen Freiheit.

Die Wende brachte uns glücklicherweise 1991, inzwischen mit zwei kleinen Kindern, endgültig nach Berlin zurück. 

Wir sind sehr froh darüber, dass unsere mittlerweile drei Kinder diesen Staat und unsere Heimatstadt Berlin ungeteilt erleben können. Die Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern über die geschichtlichen Veränderungen und auch der in der Schule erteilte Geschichtsunterricht vermitteln ihnen, so hoffen wir, wie wichtig und im Ergebnis erfolgreich diese friedliche Demonstration von unterdrückten Menschen gegen eine diktatorische Regierung war.  

Andrea, Andreas Klose

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