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Schöne Bescherung: Weihnachtsmänner nach Ost-Berlin

Tagesspiegel-Leser Michael Schröter koordinierte 1989 die Weihnachtsmann-Einsätze der Tusma. Dabei gab es jetzt jenseits der inzwischen durchlässigen Mauer ganz neue Erfahrungen.

Seit der kurzzeitigen Grenzöffnung in Ungarn und der Botschaftsbesetzungen diskutierte ich mit meinen Freunden über die Zukunft der DDR. Einhellig meinten meine Freunde und ich, dass man E.H. noch das 40. Jubiläum gönnen, er aber danach in den Ruhestand geschickt werden würde. Nur ich wollte damals fast schon eine Wette mit meinen Freunden aufmachen, dass die Mauer in einem Jahr nicht bestehen würde; traute mich letztlich aber doch nicht. Noch nie hatte ich die Nachrichten im DDR-Staatsfernsehen damals so intensiv gesehen. Trotz der Informationen über die Montags-Demos und die Veranstaltung am Alexanderplatz am 4.November kamen die Ereignisse des 9. November  doch überraschend:

9. November 1989

Abends war ich bei meinen Eltern zum Abendessen zu Besuch. Danach sahen wir (traditionell) die „Berliner Abendschau“, bei der auch die berühmte Pressekonferenz mit Günter Schabowski gesendet wurde. Na ja, dachten wir; dann könnten also die DDR-Bürger mit den uns als West-Berlinern bekannten bürokratischen Hürden auch mal offiziell Reisen in den Westen beantragen und unternehmen. Schön für diese, nach den Botschaftsbesetzungen könne das ja nun in geordneten Bahnen verlaufen. Also fuhr ich nach der „Tagesschau“ zu mir nach Hause, ohne Außergewöhnliches zu erwarten. Zu Hause schaltete ich meinen Fernseher ein und sah mir im SFB eine Talkshow an, bei der auch Walter Momper dabei war. Gegen 22 Uhr stand er auf einmal auf und meinte, dass sein Platz jetzt ja wohl woanders sei.

Daraufhin zappte ich durch die Fernsehkanäle und stellte verblüfft fest, dass überall Sondersendungen waren, bei denen die Korrespondenten (hauptsächlich am Übergang Invalidenstr.) auf die ersten DDR-Bürger warten würden! So etwas hatte ich nicht erwartet! Erst mal weiter Nachrichten mit Tränen in den Augen geschaut, dann musste ich raus! Gegen 23Uhr traute ich mich nicht mehr, meine Eltern anzurufen, auch meine Freunde erreichte ich nicht. Also allein mit einem bei mir vorhandenen Kasten Bier ins Auto, ab zum Washingtonplatz, wo ich den Wagen abstellte und zur Invalidenstr.. Da war mittlerweile schon richtig was los! Menschenmassen und Trabi-Kolonnen aus dem Osten mit Umarmungen wildfremder Menschen, Trabi-Klopfen – einfach Wahnsinn! Das war auch das bestimmende Wort des Abends! Meinen Bierkasten drückte ich ziemlich schnell einem DDR-Bürger mit Umarmungen und Tränen in die Hand (und wurde dabei gefilmt).

Gegen 24 Uhr tauchte dann Walter Momper auf, stellte sich auf die Mauer auf der Grenzabfertigung und mahnte insbesondere Besonnenheit aller an, derweil schon West-Berliner Polizisten und Vopos zusammen versuchten, den Verkehr zu regeln. Irgendwann im Freudestaumel; es muss schon gegen 1 Uhr gewesen sein, beschlossen spontan ca. 500 West-Berliner (incl. mir), in die Gegenrichtung zu gehen: wenn die DDRler alle in den Westen gehen, so wollten wir genauso nach Ost-Berlin! In der Invalidenstraße war die Grenze nun komplett offen, so dass alle keine Probleme hatten, nach Ost-Berlin zu gelangen. Über die Friedrichstraße bis Unter den Linden gemeinsam gelaufen, danach entschied sich ein Großteil, zum Alexanderplatz zu gehen, um dort zu feiern; der klei-nere Teil (mit mir) wollte unbedingt durchs Brandenburger Tor gehen! Das muss zu dem Zeitpunkt gewesen sein, wo die DDR-Staatsmacht total verunsichert war und den Durchgang durchs Tor vorübergehend nicht sicherte, denn wir konnten ohne Probleme über die Absperrgitter am Pariser Platz steigen und durch das Tor laufen. Da konnte ich mich nicht zurückhalten und ritzte meine Initialen an einen der Pfeiler! Heute nach Restaurierung natürlich nicht mehr vorhanden.  Die Mauer vor dem Tor war da schon komplett besetzt von West-Berlinern, die uns halfen, da hoch zu kommen. Ich war mittlerweile total geschafft und emotional total überlastet, also „taumelte“ ich glücksschwanger zu meinem Auto zurück und war um 5 Uhr zu Hause.

10. November 1989

Hatte ich glücklicherweise erst nachmittags Dienst als Arbeitsvermittler in der damals größten studentischen Arbeitsvermittlung Deutschlands, der TUSMA (für: Telefoniere Und Studenten Machen Alles). Da hatte ich natürlich Schwierigkeiten, in der Harden-bergstr. einen Parkplatz zu bekommen, da alles mit Trabis zugeparkt war! Sofort hatten einige geschäftstüchtige Arbeitgeber auf die Grenzöffnung reagiert: Es wurden stapelweise Studenten gesucht, die Obst (insbesondere Bananen) an den Grenzübergängen verteilen/verkaufen sollten; zu einem Stundenlohn von bis zu 20 DM! Meine Mutter und meine Schwester hatten nun auch die Grenzöffnung mitbekommen, fuhren zur Invalidenstr. und verteilten dort 10-DM-Scheine.

11.November 1989

Für die TUSMA organisierte ich (wie schon seit einigen Jahren) die sog. „Weihnachtsmann-Aktion“ zur Bescherung von ca. 4000 Berliner Familien am Heiligabend, bei der ich ca. 10 Mitarbeiter; sog. Vorweihnachtsmänner und -engel hatte, die unter anderem  die Auftragsannahme durchführten.  Für diesen Samstag war eine Besprechung über die weitere Organisation angesagt, bei der auch herauskam, dass einer der „VWMs“, Frank, am 9. November  an der Bornholmer Str. gewesen war und dort einen Vopo-Oberleutnant gut kennengelernt habe. Gleichzeitig ist auch eine alte Freundin von mir, die spastisch gelähmt ist und im Rollstuhl sitzt, mit einem Freund nach ihrem Umzug nach Nürnberg wieder zu Besuch in Berlin. Spontan beschließen wir alle: Wenn alle DDRler jetzt nach West-Berlin kommen, gehen wir nach Ost-Berlin! Da die Plätze in den vorhandenen Autos nicht ausreichen, fahren mein Mit-OWM (Oberweihnachtsmann) Kugi und ich per U-Bahn. Treff an der Bornholmer Str. vereinbart. Für Kugi und mich war die Fahrt mit der U-Bahn reinstes „Konservenbüchsen-Training“, auch da just an diesem Tag als neuer Übergang der U-Bhf. Jannowitzbrücke eröffnet worden war! Zwischendurch zum Lachen: In der U-Bahn fragten uns zwei „Ossis“, wo sie denn am Besten ihr Begrüßungsgeld abholen könnten, weil es am Zoo so voll sei… Wir empfahlen ihnen den Umstieg am Kottbusser Tor und Ausstieg am U-Bhf. Karl-Marx-Str. und die dortige Sparkasse. Antwort: „Ich denke, wir sind hier im Westen!“.

Endlich Osloer Str. angekommen und Treff mit den anderen an der Bösebrücke. Doch da ist ein anderes Problem: wir haben keine DDR-Mark! Für Rudi, einen meiner VWMs, ist das Keines! Hält 20-DM-Schein in die Luft und verkündet: „Tausche gegen 60 Mark“! Ganz schnell kommen für uns 300 Mark zusammen.  Außerdem macht sich ein DDR-Bürger mit uns bekannt, der uns bis zur U-Bahn Vinetastr. begleitet und uns die Bewohner des Diplomatenviertels schildert. Dann mit der U-Bahn (Altbauzüge sind leider nicht mehr unterwegs) zum Alexanderplatz. In der U-Bahn konnte Frank es nicht lassen, DDR-Witze lauthals preiszugeben. Die am lautesten Lachenden erwiesen sich als Westdeutsche; die wir gleich nach ihren Visa fragten. Als sie diese vorzeigten, konfiszierten wir sie kurzfristig unter großem Gelächter! Am Alexanderplatz angekommen, waren Kugi und auch meine Freundin Claudia aus Nürnberg total fassungslos: Obwohl beide eingeborene Berliner, waren sie noch nie in Ost-Berlin gewesen! Es war ja nun mittlerweile Abend; also wollten wir etwas essen, auch um die DDR-Mark loszuwerden… Da bot sich das Restaurant „Praha“ in den Rathaus-Passagen an. „Natürlich“ mussten wir auf das „Platzieren“ circa eine Stunde warten, aber dafür konnten wir anschließend aus dem Vollen schöpfen! Frank kauft auch eine Vitrine mit H0-Lkw-Modellen fast leer.  Bei der Rückfahrt zur Bornholmer Str. wird es schon etwas stiller, da wir nur die aus dem Westen Rückkommenden sehen, aber keine in unserer Richtung. Am Grenzübergang treffen wir Franks bekannten Oberleutnant, der uns steckt, dass es keine Probleme geben würde. Allerdings muss Claudia mit ihrem Rollstuhl in Begleitung von Rudi über die Pkw-Abfertigungsspur! Rudi hat aber keinen Personalausweis dabei, nur seinen TUSMA-Ausweis unserer Studenten-Arbeitsvermittlung, kommt aber damit durch! Seitdem gilt dieser wohl als internationaler Reiseausweis! Der Rest geht über die „normale“ Abfertigung mit Ermahnungen des Offiziers, dass wir ja keine Einreisegenehmigung gehabt hätten. Ich war da aufgrund der Ereignisse renitent: der RIAS (für die DDR „Propaganda-Sender“!) hätte gesendet, dass man in jede Richtung die Grenze ohne Genehmigung passieren dürfe. Dies wiederholte ich mehrfach, so dass meine Mitreisenden schon richtig Angst bekamen. Ich war mir aber sicher, dass nichts passieren würde, und auch wir kamen durch.

Für die Weihnachtsmann-Aktion der TUSMA gab es (da e. V.) so gut wie keinen Werbe-Etat, so dass ich mir jedes Jahr etwas einfallen musste, um für die Presse etwas Interessantes zu präsentieren. Die Wende war da total passend: Gründungsgrund der TUSMA war 1949 die Einführung der West-Mark  mit der Benachteiligung der in Ost-Berlin wohnenden TU-Studenten, die ihre Unterstützung (später BAFÖG) nur in Ost-Mark ausbezahlt bekamen. Also organisierte ich mit diesem Motto zur Öffnung des Überganges Potsdamer Platz am 30.November eine größere Aktion.

30.November 1989

Presseaktion am Potsdamer Platz: Von meinen Mitarbeitern waren 5 Trabis organisiert worden, so dass eine Fahrzeugkolonne incl. dem TUSMA-Werbe-VW-Bus und Weihnachtsengel Laila als Kühlerfigur am Potsdamer Platz  ankamen. Schön für uns war, dass wieder viele Pressefotografen anwesend waren und am Folgetag zahlreiche Artikel in den Berliner Zeitungen darüber erschienen. Dort wurden dann Süßigkeiten an die Kinder verteilt, dabei Unterstützung durch die DDR-Grenztruppen. Ich selber musste wegen meines 10-jährigen Jubiläums in der TUSMA verbleiben.

Zwischendurch bei der Weihnachtsmann-Aktion bekam ich einen Anruf aus einer Kneipe am Ostseeplatz im Prenzlauer Berg: Sie wollten unbedingt einen Weihnachtsmann, hatten bei der Staatsoper aber kein Kostüm mehr bekommen; daraufhin Anruf in West-Berlin bei der „Bild“-Zeitung, die sie an uns verwiesen.  Vorschlag von mir: Ich organisiere einen Weihnachtsmann zum Wunschtermin für sie; da sie ja aber nicht mit West-Geld bezahlen können, schlage ich vor, dass sie mich und meine Leute im Januar zu einem Freibier einladen. Daraus wurde dann nicht nur der erste Weihnachtsmann-Einsatz der TUSMA in Ost-Berlin, sondern auch Einiges mehr.  Mein mit allen Wassern gewaschene VWM Frank H. erledigte das souverän; nach einem Einsatz im Märkischen Viertel versteckte er sein Kostüm im Kofferraum  und passierte so die Bornholmer Brücke (noch mit Mehrfachberechtigungsschein) ohne Probleme. Die Bescherung des Stammpublikums am Ostseeplatz war ein voller Erfolg!

24./25.12.89:

Nach den Einsätzen am Heiligabend treffen sich traditionell etliche Weihnachts-männer und –engel sowie Freunde mit mir, der den Notdienst macht, in der TUSMA in der Hardenbergstr.. Nach Anstoßen auf die Ereignisse beschließt der „harte Kern“, den Potsdamer Platz zu besuchen, um sich bei der Mithilfe vom 30 November zu bedanken.; der da unterstützende Grenzpolizist hätte auch am Heiligabend Dienst. Also von Familien geschenkte Sektflaschen eingepackt und mit mehreren Fahrzeugen (auch einem VW-Bus), teilweise noch in Kostümen, zum Potsdamer Platz! Dort war dann zwar das Personal vom 30.11. nicht da; wir wurden aber freundlich empfangen und der mitgebrachte Sekt gerne entgegengenommen. Das erste und auch einzige Mal, dass ich eine „Vopeuse“ knutschte! Unser Unternehmensdrang war da aber noch nicht gestillt: Ohne Visa durchgelassen bestiegen wir an der Leipziger Str. einen „Schlenki“ der BVB, wobei uns der Fahrer kostenlos fuhr; am Spittelmarkt stiegen wir in die U-Bahn um. Unten am Bahnsteig bekamen wir mit, dass wohl schon die Betriebsruhe eingetreten war; jedoch kam dann eine Betriebsfahrt vorbei. Da standen wir dann als richtige Anhalter mit erhobenem Daumen, ein einmaliges Bild von ca. 12 Leuten mit erhobenem Daumen, wobei mehr als die Hälfte noch als Weihnachtsmänner und –engel verkleidet waren! Tatsächlich, der U-Bahn-Fahrer hielt an und ließ uns sogar im Führerstand bis zum Alexanderplatz mitfahren! Dort ausgestiegen, mussten sich die Frauen in den Büschen am Fernsehturm erst einmal erleichtern, was auch noch später ein schönes Geburtstagsgeschenk ergab…

Dort, auf dem Rückweg zum Brandenburger Tor trafen wir dann auf eine Gruppe von „Neu“-Skinheads, die uns zunächst umtanzten und -grölten, wir aber dann mit denen ins Gespräch kamen. Diese wollten uns nach West-Berlin begleiten und dort noch in eine Diskothek, hatten aber natürlich keine D-Mark.  O.K., sagte ich; das können wir organisieren, da ich schon einen kleinen Kulturschock für Diese im Hinterkopf hatte! Also mit denen zurück über den schon eröffneten Grenzübergang Brandenburger Tor und zu unseren Autos. Ein Teil unserer Leute seilte sich dann ab, während der Rest mit den „Skinheads“ im VW-Bus nach Kreuzberg in die Wiener Str. fuhr; zur Diskothek „Bronx“, die ja eigentlich für ihr linksalternatives Publikum bekannt war! Soweit zu den zuvor großmäuligen „Skinheads“, die auf einmal ganz kleinlaut wurden. Genau das hatte ich beabsichtigt und ichmuss ehrlich sagen,  ich genoss es, zumal einer der „Skins“ sich zuerst nicht traute, in die Disko zu gehen. Erst nachdem er von seinem frisch besorgten Bundeswehr-Parka den Aufnäher mit der Deutschland-Flagge entfernt hatte, traute er sich.  Währenddessen hatte unsere in dieser Szene erfahrene Begleiterin Anke mit den Verantwortlichen der Disko schon ausgehandelt, dass die Ossis keinen Eintritt bezahlen müssten und sie ihre Getränke zum halben Preis in Ost-Mark begleichen könnten! Dann also noch eine schöne Rest-Nacht; dazu noch, dass sich einer der „Skins“ in ein Mädel verguckte, sich aber nicht traute, sie anzusprechen, da er befürchtete, von deren Begleitern verprügelt zu werden und mich um Rat fragte! Von den „Skins“ wurden wir noch als Dankeschön zu einer Fete im Rest. „Budapest“ in der Frankfurter Allee im Januar eingeladen; diese wurde allerdings wg. Polizeibedenken später abgeblasen. Es war schon hell, als ich zu Hause ankam.

Jahreswechsel

Einer meiner Vorweihnachtsmänner, Markus, war sehr geschäftstüchtig! Nachdem er bei einem Einsatz bei den „Thermen an der Heerstr.“ als Weihnachtsmann wg. ziemlicher Verspätung nach der Bescherung im Kostüm ins Eiswasserbecken geworfen worden war und deswegen auch kein Geld bekommen hatte, überlegte er sich, aus dem Mauerfall und der Silvesterfeier am Brandenburger Tor finanziell etwas zu machen. Also mietete er sich einen Transporter und fuhr nach Frankreich in die Champagne, wo er bei den Weinbauern echten Champagner einkaufte! Diesen wollte er zu Silvester am Potsdamer Platz verkaufen. Ich war mit meinen Freunden zum Jahreswechsel zunächst am Kreuzberg verabredet, wo wir das mitternächtliche Feuerwerk, gerade am Brandenburger Tor, genossen. Danach zum Potsdamer Platz, genauer gesagt Lenné-Dreieck, gefahren, wo Markus mit seinem Transporter und Verkaufsstand war. Das große Geschäft für Markus war das aber nicht geworden! Die meisten vorbeikommenden Leute waren DDR-Bürger, die natürlich keine D-Mark für Champagner hatten, sondern ihre Rotkäppchen-Flaschen schwenkten. So genossen wir den edlen Champagner und schenkten ihn auch den durch die Tür in der (noch vorhandenen) Mauer immer wieder patrouillierenden Vopos aus. Wir machten uns dann bei Lagerfeuer, dem Champagner und vielen Begegnungen noch eine aufregende Nacht, bei der es auch wieder hell war, ehe ich zuhause war.

27. Januar 1989

Nun war endlich die Einladung der Kneipe im Prenzlauer Berg nach dem erstmaligen Einsatz der TUSMA-Weihnachtsmänner in Ost-Berlin angesagt! Wir fuhren auf unterschiedlichen Wegen dorthin: Ein Teil über den Grenzübergang Sonnenallee, der größere Teil (mit mir) über die Bornholmer Str., wo ich auf der Westseite meinen Wagen abstellte. Nach Durchquerung des Übergangs wurden wir schon erwartet! Es stellte sich heraus, dass die Kneipe am Ostseeplatz der Stammtreff der „Neuen Zeit“ war, deren MitarbeiterInnen uns mitsamt Fotografen schon erwarteten! Auch war die Kneipe für diesen Treff komplett für Andere geschlossen und es wurden für uns alle für die DDR möglichen kulinarischen Kostbarkeiten hingestellt (dabei wollten wir doch nur ein/zwei Freibier…)! Es ergaben sich nicht nur spannende Gespräche mit den Redaktionsmitgliedern, sondern auch ein persönliches Kennenlernen von Gregor Gysi, der auch damals in dieser Szene involviert war! Dazu kam dann auch noch, dass einer meiner VWMs, Heinz, der aus Kölle stammte, an diesem Tag Geburtstag hatte. Also wurde er von allen genötigt, eine Karnevals-Tanz-Darbietung zu geben! Er bekam eine Kellnerin-Schürze und tanzte tatsächlich auf den Tischen! Leider sind die da gemachten Fotos bis heute verschwunden. Nach einer langen Nacht gestaltete sich die Rückfahrt auch abenteuerlich. Ich mit meinem Teil der Leute fuhren mit Ost-Taxi zur Bornholmer Str. zurück, um dort (tlw.) mit unseren Wagen weiterzufahren; aber VWM Rudi war mit seinem alten Mercedes dort, der bei den Minus-Graden nicht mehr ansprang! Ein herrliches Bild, als er von einem Trabi angeschleppt werden musste! Dann fiel ihm auch noch bei der Rückfahrt zur Sonnenallee (und weiter nach Marienfelde) der Auspuff ab, und er dröhnte dermaßen durch die Gegend, dass er meinte, dass man ihn wohl vom Prenzlauer Berg bis nach Köpenick gehört hätte. Auch kam leichte Panik auf, da sie sich zeitweise von einem Vopo-Auto verfolgt fühlten.

Zwischendurch und auch später gab es noch etliche aufregende Ereignisse im Umkreis der Wende und Wiedervereinigung, die aber den Rahmen dieses Beitrages sprengen würden. Doch was ist für mich als ehem. West-Berliner daraus geworden?

– Die Freundschaften der Teilnehmer der Aktion vom 11.November 89 sind noch immer vorhanden; wir treffen uns mindestens einmal im Jahr. – Zwischen 1992 und 2002 war ich mit einer Krankenschwester aus Pasewalk, die in Friedrichshain wohnte, immer wieder in einer Beziehung zusammen: Nach dem berufsbedingten Umzug nach Südbaden endete zwar die Beziehung, aber die Freundschaft blieb. – 1995 bis 1998 arbeitete ich in Potsdam bei einer städtischen Gesellschaft (Entwicklungsträger Bornstedter Feld) und hatte dort intensive Kontakte mit MitarbeiterInnen, die aus der ehemaligen DDR stammten wie auch dort altansässigen Bürgern. Damals gewann ich auch intensivste Einblicke in die Ent-cheidungswege und –träger der Stadt Potsdam. Auch die Vorbereitungen zum BUGA-Wettbewerb wurden durch mich betreut. – 1998 bis 2000 leitete ich das Büro einer Fassadenmontage-Firma am Rosenthaler Platz mit zahllosen interessanten Bauvorhaben, z. B. das Sony-Center am Potsdamer Platz und die Bundestags-Bauten am Reichstag. Leider endete das Ganze mit einer betrügerischen Insolvenz. – Ich hatte aber das Glück, ohne Arbeitslosigkeit direkt nach Südbaden wechseln zu können, wo ich einen „Traumjob“ machen konnte, obwohl ich nie aus Berlin weggehen wollte! Als Disponent für Sonderzüge einer privaten Eisenbahn-Gesellschaft, jetzt neu in Mönchengladbach,  ist ein Gutteil des von mir eingesetzten Personals ursprünglich aus der ehemaligen DDR stammend; und wir arbeiten gut zusammen.

Mein Fazit: Die Vereinigung beider deutscher Staaten hat (sowohl in Ost und West) neue Chancen gebracht; auch mir. Leider gab es noch Jahre danach bei mir in Potsdam Fragen, ob ich Einheimischer oder Wessi sei! Darauf meine Standard-Antwort: „Ist ein Geburtsfehler; ich bin in West-Berlin geboren worden“… Meist daraufhin betretenes Schweigen… Ansonsten ist meine Einschätzung, dass diejenigen, die sich auf den „neuen“, zusammengefügten Staat einließen, ihre Chancen nutzen konnten und viele in der ehem. DDR, die den alten Verhältnissen hinterher trauerten und sich nicht umstellen wollten oder konnten, sich seitdem in den Sozial-systemen „bequem“ machten.  Aber genug mit Gesellschaftskritik.

Michael Schröter

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