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Unter der Glocke. So fühlen sich Depressionen echt an.

© Promo

Berlin Fashion Week: Feeling blue

Wie trägt man Schwermut? Drei UdK-Absolventinnen entwerfen deprimierende Accessoires.

Während eine ganze Modearmee in Berlin dabei ist, Umsatz zu generieren mit dem Versprechen, dass neue Designs cooler, schöner, glücklicher machen, arbeiten drei junge Frauen daran, dass wir uns schlecht fühlen. Genauer gesagt: Sie arbeiten daran, zu vermitteln, wie es sich anfühlt, wenn es jemandem wirklich schlecht geht. So richtig dreckig. Scheiße eben. Das ist ein schöner Kontrapunkt zur Berlin Fashionweek.

Johanna Dreyer (28), Luisa Weyrich (28) und Nele Groeger (30), Absolventinnen des Masterstudiengangs Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation der UdK, haben jeweils eine eigene Geschichte von Depressionen und Angststörungen und gehören damit zur wachsenden Gruppe von mittlerweile rund 8,7 Millionen depressiven Menschen in Deutschland. Was sie nicht daran hindert, optimistisch in ihre Zukunft zu schauen, auch wenn die Anforderungen der Leistungsgesellschaft die Tabuisierung von psychischen Störungen am Laufen halten. „The Shitshow – a show about shitty feelings“ heißt ihr Design-Projekt, für das sie das Stipendium „Creative Prototyping“ bekamen. Dessen Ergebnisse präsentieren sie in der Galerie Designtransfer.

The Veil, The Choker, The Cape, The Bender heißen die Emotions-Simulatoren, die alltägliche Bewegungen erschweren oder Druck auf den Körper ausüben. Diese Erfahrungen sollen vor allem bei einem jungen Publikum für Resonanz sorgen, Wissen vermitteln und Empathie mit psychisch Erkrankten wecken. Ein präventives Konzept, denn soziale Verbundenheit steigert die psychische Widerstandsfähigkeit.

Die persönlichere, expressive Rohheit der ersten Entwürfe von 2016 ist im Lauf des Stipendiums einer professionelleren Gestaltung gewichen. Der erste Auftraggeber war die psychologisch-psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studierendenwerks. Die strengere minimalistischere Ästhetik hat Anklänge von Avantgarde-Mode, Gummizelle, Reha und Sadomaso. Damit können die Shitshow-Produzentinnen gut leben. Als „einen fiesen Spielplatz, eine süße Folterkammer“ beschreibt Nele Groeger die Präsentation dieser Tools, die dem Fühlen eine Form geben. Die Emotionssimulatoren sind gerade so attraktiv, dass sie zum spielerischen Umgang verführen und dennoch ihre ernste Botschaft transportieren. Die Neuauflage in einem angenehm weichen Lederimitat ist in tiefes Marineblau getaucht. Der Begriff „Feeling blue“ stand dabei Pate.

Vermutlich möchte jeder sofort „The Veil“ (Foto) aufprobieren. Einfach, weil diese Taucherglocke so schön an „Darth Vader“ erinnert. Das Atmen fällt unmittelbar schwer, die Mitmenschen erscheinen nur noch schemenhaft und sind kaum zu hören. Die eindrucksvolle Metapher für eine depressive Episode, hallt lange nach. Wird die Ausstellungseröffnung heute Abend also Party oder Therapiesitzung? Ein schöner Emotions-Stimulator aus dem Kleiderschrank hilft bestimmt. Ingolf Patz

Designtransfer, UdK Berlin, Einsteinufer 43, Charlottenburg. Eröffnung: Donnerstag, 5.7., 18 Uhr, 6.7., 9.7., 10.7., 12-18 Uhr

Ingolf Patz

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