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Ein Model trägt ein Kleid von Benu Berlin

© Ryuichiro Louis Iijima

Berliner Design: Benu Berlin macht unfassbar schöne Kleider

Benu Berlin stellt die Gesetze der Modeindustrie auf den Kopf. Ihre unfassbar aufwendigen Kleider sind noch nicht mal zum Tragen gedacht.

Dieses Kleid ist der Irrsinn. Es ist aus den Säumen zertrennter Jeans zusammengenäht und verflochten. Mit seinen Blauschattierungen sieht das Kleid aus wie ein dreidimensionales Mosaik. Über eine Puppe gezogen, steht es auf Baupaletten, die wie zu einer Bühne aufeinandergestapelt sind. 22 Hosen, 180 Arbeitsstunden und 7,6 Kilometer Garn stecken in diesem Kleid.

Karen Jessen dreht damit den Mechanismen der Modeindustrie eine lange Nase. Die lauten: mehr für weniger Geld in kürzerer Zeit. Sie stellt Produkte in die Welt, die sie gar nicht verkaufen will – sie sollen einfach da sein, schön sein, wirken. „Wenn ich eine Idee habe, setze ich alles daran, sie umzusetzen“, sagt sie. Die Kleider, die sie macht, sind unwiderstehlich. In ihnen steckt so unfassbar viel Arbeit, so viel gesammeltes, getrenntes und wieder zusammengesetztes Material ... Eigentlich können solche Kleider gar nicht existieren. Sie sind unbezahlbar.

Für Luis C. Zuniga war es Liebe auf den ersten Blick: „Wenn man so etwas aus T-Shirts machen kann, dann will ich mitmachen“, dachte sich der junge Amerikaner. Er kam letzten Sommer nur mal vorbei, um sich die Kleider anzuschauen, hängte umgehend seinen trockenen Ingenieursjob an den Nagel und blieb. Jetzt wohnt er im rosa angestrichenen Gartenhäuschen hinter der ehemaligen Käserei in Neukölln, in der das Atelier ist.

Als der 33-Jährige das erste Mal ins Atelier kam, sagte er, ganz Ingenieur: „Das muss doch schneller, effizienter gehen“. Inzwischen ist er der Schönheit der Kleider erlegen. Auf einer großen Tafel hat er eine Art Organigramm aufgezeichnet. Mit gelben Klebezetteln hält er fest, wer gerade was tut. Es erfüllt Luis mit sichtbarer Befriedigung, dass er für Ordnung sorgt und so eine wichtige Aufgabe gefunden hat.

Die Jeans bekommen sie von Freunden zugeschickt

In der alten Käserei hat sich Karen Jessen,29, vor einem Jahr zusammen mit Anna Bach, 31, eingemietet. Hier ist genug Platz für kiloweise Jeans und Garnrollen in allen Farben, die eine ganze Wand zieren; die alten Eisentüren und das Werksleiterkabuff der Käserei sind auch noch da. Die beiden haben sich bei ihrer Ausbildung zur Schneiderin in Berlin kennengelernt, studierten dann zusammen an der privaten Kunsthochschule Esmod und gründeten kurze Zeit nach dem Abschluss 2012 ihr Label Benu Berlin.

An der Wand steht in großen Lettern „Make love not fashion“. Das ist das Motto von Benu Berlin. Über den Nähmaschinen ist eine Leine gespannt, daran hängen Jeans, nach Waschung sortiert. Die bekommen sie inzwischen zugeschickt von Freunden und Anhängern, die ihnen auf Facebook folgen. Jeder darf vorbeikommen. „Wir verstecken nichts, keine Skizze, keinen Entwurf."

An der Eingangstür steht ein weiteres Prachtstück: ein Umhang aus fein geschnittenen und gerissenen T-Shirtstreifen, verflochten, gewickelt, Kaskaden von langen Fransen in Gelb über Orange bis Bordeauxrot. 69 T-Shirts und 350 Stunden brauchte es, bis aus alten Kleidern dieses Kunstwerk wurde. „Das ist unser Phönix aus der Asche“, sagt Karen Jessen. Danach haben Anna Bach und sie ihr Label benannt. Benu ist die altägyptische Bezeichnung für den Gott, der aus der Asche wiederaufersteht.

Wenn Karen Jessen an einem Wettbewerb teilnimmt, gewinnt sie ihn auch

Das kleine Kollektiv wird getragen von Karen Jessen. Ihre rotblonden Haare trägt sie wie eine wilde Krone in vielen kleinen Zöpfen auf dem Kopf zusammengebunden. Sie gestaltet ihre Welt. Dazu gehören viele starke Maschinen, die auch durch die dicksten Säume von Jeans, den Bezügen alter Ledersofas nähen.

Die drei nehmen alles auseinander, alles wird wiederverwertet: Gürtelschlaufen, Knöpfe, Reißverschlüsse, Nieten, Säume, sogar die Fäden, die von den Jeans übrig bleiben. Ihnen ist wichtig, keine Ressourcen zu verschwenden, aber am Ende darf man das nicht mehr sehen. Dass ein hautenges Kleid einmal ein Ledersofa war, spielt keine Rolle mehr. Die vielen schmalen, mit Nieten besetzten Streifen geben dem Kleid Kontur, das braune Leder schimmert – es wirkt einfach nur kostbar.

Schon für ihre Abschlusskollektion bekam Karen Jessen, den ersten Preis. Wenn sie an einem Wettbewerb teilnimmt, können die Juroren gar nicht anders, als sie zur Siegerin zu küren. Gerade hat sie den Eco-chic-Award in Hongkong gewonnen, eine der wichtigsten internationalen Auszeichnungen für ökologisch korrekte Mode. Dafür darf sie eine Kollektion für den Modekonzern Esprit entwerfen. Was ein bisschen absurd ist, weil es ihr ja gerade nicht um Reproduzierbarkeit geht. Sie will keine Karriere in der Mode machen.

Der Grat zum Fantasiekostüm wird nie überschritten

„Ich mag nicht das große Teil, ich mag die vielen kleinen,“ sagt Jessen. Modische Relevanz oder eine gewollte aktuelle Aussage gibt es hier nicht. Der schmale Grat zum Fantasiekostüm wird trotzdem nicht überschritten, das ist das nächste Wunder. Karen Jessen wirkt mit ihren hellen Augen und der aufrechten Haltung sehr präsent und kein bisschen weltfremd.

Dieser Eindruck wird durch Anna Bach verstärkt, die sachlich über alle Aspekte von Benu Auskunft erteilt. Sie waren mal kurz davor, ihre Kleider so zu vereinfachen, dass man sie produzieren kann. „Aber wozu?“ Es gibt doch schon jetzt viel zu viele Kleider und genug Designer, die sich abmühen, jede Saison etwas Neues zu entwerfen. Das wollen sie nicht, dafür arbeiten sie lieber tagsüber woanders und treffen sich abends, um über Entwürfe zu reden.

Das Wort „Nachhaltigkeit“ fällt. Wer es sagt, muss fünf Euro in eine Kasse zahlen. Auch da sind sie noch auf der Suche nach einem neuen Wort, das besser beschreibt, was sie machen. „Nachhaltigkeit raubt den Dingen jede Schönheit“, sagt Anna Bach. Letztlich wollen sie mit ihren Kleidern das Bewusstsein schärfen für die Dinge, die uns umgeben.

Wie genau ihr Label funktionieren soll, wissen die drei von Benu Berlin noch nicht. Karen Jessen lehnt sich zurück und hört zu. Was sie macht, hat andere angesteckt, das gibt ihr Sicherheit. Vielleicht finden sie Spender oder Sponsoren; ihre Kleider verkaufen wollen sie nicht unbedingt. Aber das ist auch nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass die Kleider da sind. Man muss sie noch nicht mal tragen – es reicht, dass sie schön sind.

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