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Der Voo Store in Kreuzberg: Keine Marke ohne Community

Der Voo Store ist ungewöhnlich, weil er in einem Hinterhof in der Oranienstraße Luxusmarken wie Prada und Jil Sander verkauft. Ein Besuch in Kreuzberg.

Eine Geburtstagsfeier ist eine hervorragende Gelegenheit, seine Freunde einzuladen. Und wenn eines der besten Modegeschäfte Berlins feiert, machen sich die Gäste so richtig schick. Das genauer anzuschauen, ist interessant, denn der Besitzer Yasin Müjdeci sagt, dass der Voo Store zwar Luxusprodukte verkauft, aber auf keinen Fall eine Luxusboutique sein will.

Also gibt es zur Feier kein VIP-Shopping mit Champagner, sondern DJs und Flaschenbier für Berliner, die zwar Luxus tragen, aber nicht zu sehr danach aussehen wollen. Neonfarbene Daunenjacke zum Pradatäschchen, Jackett zum Nike-Trikot, Jil-Sander-Mantel zu Turnschuhen: Die Kleiderordnung des Abends hätte genauso gut die Sortimentsbeschreibung des Voo Stores sein können.

Yasin Müjdeci, 35, lebt nur ein paar Straßen von seinem Laden entfernt. Als er vor 15 Jahren aus Ankara nach Berlin kam, war das anders, da wollte er lieber in Mitte wohnen. Er war ja nicht aus der Türkei weggangen, um in einem türkischen Bezirk zu leben. Eigentlich wollte er nur seinen Bruder besuchen, er hatte keine Pläne, hier einen Modeladen zu eröffnen. Er dachte: zu viele Lederhosen in Deutschland. Sein Ziel war eigentlich Paris. Dort verbringt er heute während der Prêt-à-porter-Schauen viel Zeit, um für Berlin neue Kleider auszusuchen. Dafür ist seit diesem Herbst Thibaud Guyonnet zuständig, er ist der neue Einkäufer des Voo Stores. Der 24-jährige Franzose ist der perfekte Coverboy für das Geschäft, jung und zuckersüß auf Instagram als Collegeboy, im Granddad-Outfit mit Cordhose und senffarbenem Wollpulli, in weißem Hemd mit Pradakrawatte.

Luxus ironisch brechen

„Was uns wirklich von einer Luxusboutique unterscheidet, ist, dass die Produkte erreichbar sind“, sagt Guyonnet. Jeder hier trägt im Büro Highfashion, aber eben auch Turnschuhe und eine Nike-Kappe. Das trifft auch auf die Kunden zu. Wir haben das nicht mit Vorsatz und von Anfang an so geplant, für uns ist das ganz natürlich, wir sind so aufgewachsen, und deshalb ist es nicht wirklich ein Konzept.“

Dazu gehört auch, dass der Voo-Store jetzt Prada anbietet. Es ist das erste Mal, dass die italienische Kultmarke in einer Umgebung wie Kreuzberg 36 verkauft. „Die Idee war, die Marke außerhalb des Luxusumfeldes zu zeigen. Wir dachten, dass eine Menge Kunden geschockt sein würden, aber sie waren glücklich – weil sie gerne Prada kaufen würden, aber sich in der Boutique am Kurfürstendamm unwohl fühlen. Das habe ich auch bei unserem ersten Treffen in Mailand gesagt: Ich liebe Prada, aber ich würde nie in den Prada-Shop gehen.“ Guyonnet freut sich, dass er den Nerv getroffen hat.

Am Voo Store kann man gut ablesen, was die Generation der 20- bis 35-Jährigen umtreibt. Wenn auch die Auswahl breit gestreut ist – von Jil Sander bis Nike, von Converse bis Dries van Noten –, ist sie doch zugeschnitten auf eine ziemlich genau umrissene Zielgruppe, die Luxus zwar mag, ihn aber nicht elitär mit Pelz und Kaschmir ausleben, sondern mit Sportswear und alltäglichsten Kleidungsstücken mischen und ironisch brechen will. „Du kannst bei allen Marken sehen: Sports- und Streetwear ist so sehr Bestandteil des Designs geworden, dass es schwer wäre, es zu entfernen“, sagt Guyonnet.

Es geht darum, eine klar umrissene Welt aufzubauen

Diese Mischung ist keine typisch Berlinerische, aber Yasin Müjdeci findet, dass sie schon einiges mit Berlin zu tun hat. Für ihn gibt es defintiv einen Berliner Stil. Den findet er allerdings nicht auf der hiesigen Fashion Week, die er nicht besucht, sondern bei Labels, die außerhalb der Stadt erfolgreich sind. „Beim Chefdesigner von Balenciaga, Demna Gvasalia, hat man das Gefühl, der sitzt hier einfach nur am Alexanderplatz in der U-Bahn und zeichnet die Leute. Die sieht man später in seinen Shows in Paris.“

Am Beispiel des Berliner Labels GmbH, das sich bei Voo sehr gut verkauft, erklärt Guyonnet, warum es heute eben nicht mehr reicht, einfach nur Kleider zu entwerfen. Es ist wichtig, drum herum eine klar umrissene Welt aufzubauen. „GmbH ist wirklich sehr eigen. Das ganze Team kommt aus der Gay-Clubszene, und die Entwürfe sprechen genau dieses Publikum an. Sie haben eine echte Community um ihre Marke geschaffen, und das ist es, was erfolgreiche Marken heute ausmacht. Dann verstehst du als Einkäufer oder Journalist sofort, wofür eine Marke steht.“

Das trifft auch auf den Voo-Store zu, der längst selbst zu einer Marke geworden ist. Inzwischen wird er in jedem Reiseführer als der besondere Einkaufstipp angepriesen. Als Yasin Müjdeci im vorderen Teil seines Ladens ein Café einrichtete, war er einer der Ersten, die dafür sorgten, dass die Kundschaft nicht nur zum Shoppen vorbeikommt. Das reicht heute aber nicht mehr, um sich abzuheben: „Mittlerweile steht Lifestyle nicht nur für Schnitte und Stoffe. Es geht auch darum, wie du dich verhälst, wie du redest, wie deine Homepage aussieht und dein Hintergrundbild auf dem Handy. Wir müssen darauf achten, dass alles perfekt zusammenpasst“, sagt Müjdeci.

Widerständig gegen schnelle Veränderungen

Dazu gehörten in der Vergangenheit natürlich auch jede Menge Kooperationen, gerne mit großen Sportmarken, verbunden mit Events im Laden. Davon gibt es nicht nur bei Voo inzwischen so viele, dass die beiden ein wenig müde und vorsichtig geworden sind, „Wir wollen nicht jeden neuen bunten Schnürsenkel feiern, das hat dann kein Ende“, sagt Guyonnet.

Auf jeden Fall sieht Yasin Müjdeci seinen Standort in Kreuzberg als Glücksfall, auch weil der Laden in einem Hinterhof liegt. Das macht ihn widerständiger gegen zu schnelle Veränderungen. „Die Filterfunktion funktioniert sehr gut, wenn ich das mit der Entwicklung in Mitte vergleiche. Das Voo ist hier, weil es eine Gegenreaktion auf Mitte ist, für Leute wie mich, die nicht die dortigen Läden besuchen wollen.“

Nur noch wenige Berliner Labels

Gleichzeitig findet Müjdeci, dass sich die Oranienstraße nicht immer in die richtige Richtung entwickelt: „Wenn eine Spielothek aufmacht oder ein Shisha-Laden, sagt keiner was, das ist halt Kreuzberg. Aber wenn jemand etwas Neues ausprobiert, egal ob er aus München oder Berlin ist, kommen krasse Reaktionen, ohne dass genau hingeschaut wird.

Am Anfang war der Voo Store noch sehr viel mehr ein Abbild der Berliner Modeszene, inzwischen werden hier nur noch wenige Berliner Labels verkauft. Die beiden suchen lieber in Paris, London und Mailand nach unentdeckten Talenten. Aber Berlin diktiert schon das Sortiment. Thibaud Guyoment: „In den Showrooms der Designer sind wir immer sehr ehrlich, wenn sie uns verrückte Entwürfe zeigen, die wir nicht verkaufen würden, weil die Leute in Berlin mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Kleidung muss sehr praktisch sein, das ist so ein deutsches Ding – und in Berlin umso mehr.“

Voo Store, Oranienstr. 24 in Kreuzberg, geöffnet Mo bis Sa, 10 bis 20 Uhr

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