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Im Inneren der runden Treppe im Direktorenhaus leuchtet die Lampe von Cordula Kafka besonders schön. Die Porzellanscheiben sehen aus wie in der Luft erstarrte Papierbögen.

© Direktorenhaus

Design und Kunsthandwerk: Radikale Kraft

Die Jahresausstellung „Radical Craft“ zeigt, warum Design und Kunsthandwerk für die Gestaltung unsere Zukunft wichtig sind.

Stefan Hunold steht auf einem Gerüst und verspachtelt eine Wand mit grauem Kalkputz. Der ist, fertig aufgetragen, Teil der Ausstellung „Radical Craft 3“ im Direktorenhaus. Gezeigt wird hier neues Kunsthandwerk und Design aus ganz Europa. Und das hängt eben nicht nur an der Wand, sondern kann auch sie selbst sein.

Wie anders ein Raum wirken kann, wenn auf einer buntschimmernden Tapete große Fische schwimmen, sieht man in der Bar des Direktorenhauses, das Teil des einzigen Münzprägewerks der DDR war. Heute wird hier regelmäßig Design und Kunst gezeigt. Manches auch dauerhaft wie die Lampe, die von Cordula Kafka für das runde Treppenhaus angefertigt hat. Wie herunterflatternde Papierbögen hängen durchscheinende Porzellanscheiben an langen Schnüren in der Mitte des Raumes, von oben angeleuchtet.

Der Schmuck von Silke Spitzer funktioniert am Körper und an der Wand.
Der Schmuck von Silke Spitzer funktioniert am Körper und an der Wand.

© Silke Spitzer

Die Jahresausstellung im Direktorenhaus will darauf aufmerksam machen, was im modernen Kunsthandwerk möglich ist. Zum Beispiel die Scherenschnitte von Marc Schweitzer aus der Schweiz, die so präzise und fein gearbeitet sind, dass man eine hochspezialisierte Lasermaschine dahinter vermutet und keine Handarbeit. Man muss mehrmals hinschauen, bevor man realisiert, dass die Blockhütte im Wald aus geschnittenem Papier besteht und nicht gedruckt ist.
Kurator Pascal Johanssen ist sichtbar stolz, einen von vielleicht weltweit vier Scherenschnittkünstlern dabei zu haben, die auf diesem Niveau arbeiten. An Marc Schweitzer wird deutlich, dass es schwer ist, eine klare Trennung von Kunsthandwerk und freier Kunst vorzunehmen, die vor allem in Deutschland immer noch eingefordert wird.

Vielleicht fühlen sich viele der Ausstellenden eher dem Handwerk zugewandt, weil es hier eben auch um exzellente Ausführung geht. Mit Scherenschnitten wird gerade in der Kunst viel gearbeitet. Die von Marc Schweitzer sind also nicht einmalig – die Ausführung aber schon.

Viele hier haben ein Handwerk gelernt und stellen heute Kunstwerke her. Einige haben Kunst studiert, um sich dann eine seltene Handwerkstechnik anzueignen, zum Beispiel der belgische Bildhauer Julien Feller. Er schnitzt aus Holz feinste Muster, die aussehen wie erstarrte Spitze. Feller verwendet dafür eine Technik aus dem 14. Jahrhundert, ausgeführt mit traditionellem Werkzeug, mit der er eine sehr moderne Form schafft.

Der Scherenschnittkünstler Marc Künstler schneidet seine Bilder mit einem Messer.
Der Scherenschnittkünstler Marc Künstler schneidet seine Bilder mit einem Messer.

© Marc Schweitzer

Es kann leicht passieren, dass die bis in die letzten Winkel ausgefeilte Kunstfertigkeit dem Werk keinen Gefallen tut. Das Staunen über das handwerkliche Können kann bewirken, dass man das Objekt als solches vergisst. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben dieser Ausstellung, die Balance zu halten oder sie bewusst kippen zu lassen, sodass sich die Frage nach Design oder Kunst nicht mehr stellt.

Das ist sehr schön an den zarten Blättern der Dresdner Glaskünstlerin Anne Petters zu sehen. Die scheinen aus gestoßenem Glas zu bestehen, das nur durch die feinen Adern des nach oben gebogenen Blattes zusammengehalten wird. Wie sie ihre kleinen Kunstwerke herstellt, hält Petters bewusst geheim, um den Zauber nicht zu zerstören.

Eine Urne aus Holz von Christian Masche.
Eine Urne aus Holz von Christian Masche.

© Christian Masche

Ebenso ist es mit den schwarz angelaufenen Löffeln der Silberschmiedin Gabi Veit. Sie sehen aus wie seltsame Blumen und Pflanzen, die aus Lichtmangel hart und dunkel geworden sind. Mit diesen Löffeln könnte man seine Suppe löffeln. Doch wie sie nebeneinander in der Vitrine liegen, mit Dornen am Stil, die Löffelschale in Form einer Blüte, sind sie als Objekt genug und müssen nicht zum Gebrauchsgegenstand werden.

Das ist bei der Urne des Tischlers Christian Masche umgekehrt. Wie zwei aufeinander gestapelte und grob behauene Holzklötze steht sie da, eine Skulptur. Oben liegen zwei goldene Verschlüsse auf, mit denen sich die beiden Blöcke zusammenschrauben lassen. In seiner Arbeit beschäftigt sich Masche mit der heutigen Begräbniskultur. Weil wir uns am liebsten gar nicht mit dem Tod auseinandersetzen würden, kommen am Ende des Lebens immer nur die gleichen Rituale zum Einsatz, die der jeweiligen Person oft nicht gerecht werden können.

So ist es mit vielen Gegenständen. Wir glauben, dass es davon für jeden die richtige Ausführung gibt. Wenn man aber danach sucht, stellt man fest, wie wenig Gedanken sich darüber gemacht wurde. Da kommt das moderne Kunsthandwerk ins Spiel, das sich eben ganz handfest mit unserer Umwelt auseinandersetzt. Zum Beispiel damit, wie unser letzter Gegenstand aussehen könnte.

Radical Craft 3, Am Krögel 2 in Mitte, bis zum 1. April 2022, Besichtigung Di–Fr von 11–19 Uhr nach Voranmeldung möglich. Infos: direktorenhaus.com

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