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Klares Konzept. Makellose Schönheit ist nicht Steven Tais Thema.

© promo

Designerportät: Anders schön

Der Modedesigner Steven Tai ist ein echter Kosmopolit. Am Freitag zeigt er seine eigenwilligen Entwürfe auf der Fashion Week.

Es ist nicht ganz einfach, Steven Tai zu erreichen. „Wir wissen wirklich nicht, wo er im Moment ist“, sagt die Frau, die die Pressearbeit für seine Show auf der Mercedes-Benz Fashion Week koordiniert. Nicht einmal der Kontinent ist bekannt, auf dem sich der Designer gerade aufhält, der im Frühjahr einen Sonderpreis beim Modefestival im südfranzösischen Hyères gewonnen hat, dem wichtigsten Treffen junger Modetalente.

Schließlich findet sie ihn im ostchinesischen Macao. In seiner Geburtsstadt arbeitet er an seiner Kollektion – in einem Textilunternehmen, das seiner Familie gehört. Dort kann er sich am besten konzentrieren. „Ich bin in dieser Fabrik praktisch aufgewachsen“, erzählt Steven Tai. „Es ist lustig, jetzt heimzukehren und so etwas wie ein Kunde zu sein.“

Zwischendurch hat er viel von der Welt gesehen: Als er zehn Jahre alt war, zog seine Familie ins kanadische Vancouver, mit 22 ging er nach London, um am renommierten St. Martins College zu studieren. Seine Lebensgeschichte hat ihn geprägt: „Ich war immer der Neuling, stand überall am Rand. Dadurch habe ich Dinge, die anderen selbstverständlich erscheinen, aus der Perspektive des Außenseiters wahrgenommen. Das hat meine Denkweise beeinflusst“, sagt er.

Auch seine preisgekrönte Kollektion schert sich nicht um konventionelle Vorstellungen von makelloser Schönheit, stattdessen feiert sie das Außenseitertum. „Meine Freunde und ich galten immer als Sonderlinge, als Nerds“, sagt Tai – Leute also, die nach landläufigen Maßstäben nicht gerade als hübsch gelten, die ein wenig unbeholfen und verletzlich wirken. Der Designer sieht das anders: „Diese Menschen sind auf ihre Weise schön und stark.“

Das Konzept seiner Kollektion besteht darin, diese besondere Art der Schönheit zu feiern. Um das ganz deutlich zu machen, setzt er auf ungewöhnliche, aber einprägsame Bilder. Im Lookbook werden seine Entwürfe von Mädchen ohne Modelmaße, dafür aber mit merkwürdigen Brillen und Zahnspangen präsentiert, die verschreckt in die Kamera schauen. Diese extreme Ästhetik hat Steven Tai bewusst eingesetzt. Die Bilder sollten „so stark und eindeutig wie möglich sein“, um auch dem flüchtigen Betrachter sofort klarzumachen, worum es dem Designer geht: „Das Mädchen auf den Bildern steht für den Kern des Konzepts“, sagt er.

In der Realität muss seine ideale Kundin nicht so aussehen. Ginge es nach Steven Tai, wäre sie aber auch nicht die typische Käuferin von Designermode: „Es geht mir um intellektuelle, innere Werte. Die Frauen, die ich anziehen möchte, sollten die Ideen verstehen und schätzen. Ihre Beziehung zu den Kleidern sollte eine besondere Tiefe haben“, erklärt er. Das wäre der Idealfall. Was die Realität angeht, hat er keine Illusionen: „Wenn die Sachen im Laden hängen, kann ich natürlich nicht mehr kontrollieren, wer sie kauft.“

Das Konzept, das nach den Worten des Designers „die gesamte Kollektion diktiert“, ist in zweifacher Weise persönlich: Einerseits, indem es die besondere Kraft der Außenseiter durch klare, starke Silhouetten zum Ausdruck bringt, andererseits, indem es auf eine Leidenschaft ihres Schöpfers verweist: Bücher. „Ich habe immer viel gelesen, meist zwei oder drei Bücher gleichzeitig“, sagt Tai. Als er zum Studium nach London kam, freute er sich über „die besten Buchläden der Welt“.

Er begeistert sich auch für das Buch als materielles Objekt und für den Herstellungsprozess. In Zeiten fortschreitender Digitalisierung, in der immer mehr Menschen nur noch eBooks auf iPads konsumieren, ist das ein bewusst nostalgisches Thema. Das hat er für seine Kleider in abstrakte Motive übersetzt, stapelt lagenweise Stoffbahnen wie Buchseiten zu voluminösen Konstruktionen oder verwendet Füllerfedern als Applikationen.

Aber Tai ist dann doch zu sehr ein Nerd der Jetztzeit, um in eine kulturpessimistische Haltung zu verfallen. Denn technische Innovationen faszinieren ihn ebenfalls. Und so ist gerade sein Kleid mit den goldenen Metallfedern zu einer Kombination aus beidem geworden: Unter dem etwas sperrig wirkenden Oberteil verbergen sich hunderte Drähte, die altmodische Schreibutensilien mit kleinen Elektromotoren verbinden. So können sie individuell gedreht werden und lösen changierende, wellenartige Lichteffekte aus.

Allein konstruiert hat der Modedesigner das Kleid und sein Innenleben nicht, er arbeitete eng mit dem englischen Techniker John Nussey zusammen. „Wie ein Puzzle“ erschien ihm der Entwurfsprozess: „Es war schön zu sehen, wie unsere Ideen am Ende zusammenpassten.“ Aber obwohl das Federkleid für großes Aufsehen gesorgt hat, will er sich nicht darauf festlegen, künftig regelmäßig spektakuläre Erfindungen zu präsentieren: „Es passte eben in die Kollektion.“

Überhaupt will Steven Tai sich nicht festlegen, wie es weitergehen soll. „Ich langweile mich ziemlich schnell und brauche neue Herausforderungen“, sagt er. Daher sieht er auch keine Gefahr, aufgrund seiner ersten Kollektion vorschnell in die drohende Schublade des „Nerd-Designers“ gesteckt zu werden: „Ich will mich nicht auf das beschränken, was man schon gesehen hat.“

Doch noch ist gar nicht sicher, wie es mit ihm weitergeht. Der Preis in Hyères, die Einladung auf die Mercedes-Benz Fashion Week: „Es ging alles so schnell. Ich muss jetzt ein paar wichtige Entscheidungen treffen“, sagt er.

Erst einmal freut er sich auf Berlin: „Als ich darüber nachdachte, in welcher Stadt meine Kollektion einen Sinn ergeben würde, fiel mir spontan nur London ein. Aber als die Einladung nach Berlin kam, dachte ich sofort: Das passt perfekt.“ Schließlich sei Berlin eine junge Stadt, offen für Innovationen und Grenzüberschreitungen – die Qualitäten also, die seine Kollektion prägen.

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