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Designforschung in Deutschland: Im Design knistert es

Alle suchen nach Orientierung. Warum nicht beim Design schauen, ob dort neue Ideen entstehen?

An der Werkbank sitzt eine junge Frau. Sie trägt eine Schweißerbrille und lötet winzige Metallfäden auf eine Platine. Ihre Professorin Gesche Joost ist entzückt: „Das sieht ja total nach Forschung aus, hast du die extra für uns aufgesetzt?“ Die Studentin schaut etwas verzweifelt. Eigentlich lernt sie Textildesign an der Kunsthochschule Weißensee – löten steht da nicht auf dem Stundenplan. Die Doktorandin Katharina Bredies erklärt: „Das ist der interdisziplinäre Bereich zwischen Elektronik und Textildesign.“ Später sollen die Platinen in Stoff eingearbeitet werden, statt Kabeln werden leitende Metallfäden verwendet. So ist zum Beispiel eine Notfallstrickjacke entstanden. Zieht man am Armbündchen, wird ein Notruf ausgelöst, ebenso, wenn man sich mit der Hand auf die Brust schlägt, dort wo das Herz sitzt. Dass man mit einer intuitiven Bewegung einen Notruf senden kann und nicht auf sperrige Apparaturen angewiesen ist, hat etwas Beruhigendes. „Der Technik ist es egal, wie sie funktioniert, aber dem Menschen nicht“, sagt Katharina Bredies. Ihr geht es darum, herauszufinden, was Textil kann und ein Handy nicht: Man braucht keine Schalter, um etwas an- und auszuschalten, wir haben uns nur daran gewöhnt.

Es geht den Designforschern nicht darum, marktfähige Produkte zu entwickeln: „Erst kommt die Forschung.“ Die führt Katharina Bredies jetzt an einer etwas unförmigen Strickmütze vor. Die Mütze ist ein Radio, mit den Bommeln rechts und links regelt man die Lautstärke, mit dem Glöckchen oben drauf stellt man die Frequenz ein, der Sender lässt sich speichern, indem man den Knopf am Bündchen schließt, und wenn man die herunterbaumelnden Schalenden verknotet, geht das Radio an. Besonders schön sieht die Mütze nicht aus, und Testpersonen fanden die Idee, dass eine Mütze ein Radio ist, eher seltsam und vermuteten, dass damit eigentlich Gehirnströme gemessen werden sollten. Aber genau darum geht es: zu zeigen, wie willkürlich elektronische Geräte gebaut sind. Gesche Joost sagt: „Das ist eine Parodie auf ein Radio“.

Zu beobachten, was Anwender mit den von ihnen erfundenen Dingen machen, und sie zu fragen, was sie darin sehen, ist Teil der empirischen Forschungsarbeit. „Wir stellen den Prozess auf den Kopf, dass Designer bestimmen, wie Dinge zu sein haben.“ In Zeiten, in denen oberflächlich alles Design ist, wollen die Designforscher eine Gegenbewegung schaffen, die sich mehr damit beschäftigt, wie Menschen mit Dingen umgehen, was sie brauchen oder auch nicht.

In Deutschland ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit Design noch sehr jung – erst vor neun Jahren taten sich Designer zusammen und gründeten die Deutsche Gesellschaft für Designtheorie (DGFT). In Berlin gibt es eine Professur für Designforschung seit 2010 – Gesche Joost hat an der Universität der Künste den Lehrstuhl eingeführt. Hier hat sie das Designlab eingerichtet. Gleich nebenan arbeitet Bianca Herlo, die Leiterin der DGFT, daran, das Nachdenken über Design zu einem gesellschaftlichen Thema zu machen.

Deshalb geht es auch Gesche Joost nicht um eine möglichst reibungsfreie Optik: „Wir machen keine Artefakte für die Vitrine. Uns ist erst mal egal, wie etwas aussieht.“ Gesche Joost benutzt das Beispiel der Zitronenpresse. „Wenn ich sage, dass ich Designer bin, kommt oft: Ah, du machst Dinge hübsch.“

Aber warum nur hat es in Deutschland so lange gedauert von der Entwicklung einer noch schöneren Zitronenpresse hin zur Beschäftigung mit den Gegenständen, bevor sie marktreif sind? Immerhin gab es schon einmal eine theoretische Auseinandersetzung: In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte man am Bauhaus angefangen, sich auch wissenschaftlich mit Design zu beschäftigten. Nach dem Krieg ging die Entwicklung an der Ulmer Hochschule weiter – dann brach sie ab. Gesche Joost hat dazu eine Theorie: „Vielleicht, weil das Design in den Achtzigern so erfolgreich war. Die Designer hatten keine Zeit zu theoretisieren, die haben einfach gestaltet wie doof. Dann gab es Erschütterungen, auch ausgelöst durchs Internet. Plötzlich musste man überlegen: Was machen wir hier eigentlich? Wir versuchen, gesellschaftliche Fragen mitzudenken.“

Gerade arbeiten sie an einem Projekt zur Nachbarschaft. Welche Rolle spielt Design da? „Wir fragen die Leute zum Beispiel, ob es Sinn macht, eine Plattform zu schaffen, wo man Gartengeräte austauschen kann. Und wenn die dann sagen, ne, es ist viel cooler beim Nachbar zu klingeln und sich einen Rasenmäher auszuleihen, dann brauchen wir hier halt keine neue Technologie. Dann sind wir auch mal Produktverhinderer.“ Das passt zu dem, was moderne Designer tun sollten: übersetzen zwischen Politik, Verwaltung und Industrie. Dafür müssen sie ganz am Anfang des Prozesses mit dabei sein. Die Professorin drückt das so aus: „Ich sage dir nicht, was gut für dich ist, sondern frage dich danach.“

Gesche Joost war gerade in Dänemark, dort gibt es ein staatliches Design Council. Es erwartet, dass die Designforschung die Designerausbildung im Jahr 2020 so stark verändert haben wird, dass sie wichtigen Input für den öffentlichen und privaten Sektor geben wird.

„Das muss man sich mal vorstellen“, ruft Gesche Joost. Und tatsächlich werden nicht nur in Dänemark hohe Erwartungen in Designer gesetzt, auch hierzulande glauben viele Fachleute, dass die Designer bald nicht nur Gegenstände, sondern auch unser gesellschaftliches Miteinander verändern werden. Bianca Herlo spürt die Aufbruchstimmung: „Es knistert richtig.“ Auch sie glaubt, dass die Rolle der Gestalter schon immer unterschätzt wurde – immerhin wird unser ganzer Alltag von ihnen geprägt. Sie können Katalysatoren sein und Prozesse ermöglichen. Gut, dass die Designforscher in ihrem Labor schon mal damit angefangen haben, an der Zukunft der Designer zu arbeiten.

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