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Ein Mantel, Mitte der 80er Jahre von Roger Melis fotografiert für das Magazin Sibylle.

© Roger Melis

Die Mode und der Mauerfall: Ute Lindner: Der Einschnitt

In der DDR sollte Ute Lindner als eine der besten Designerinnen für schöne Kleidung aus eigener Produktion sorgen. Doch dann kam die Wende.

Für Ute Lindner war alles genau geplant. Als sie ihr Studium 1982 an der Kunsthochschule Weißensee begann, wusste sie, wie ihr Leben aussehen würde. In ihrem Semester studierten fünf Frauen Modedesign. Es wurde streng nach Bedarf ausgebildet, Hunderte bewarben sich, ein Studienplatz kam einem Lottogewinn gleich. Der schmalen Frau mit dem streng gescheitelten, dunklen Haar, die in ihrem selbstentworfenen Mantel eine elegante Erscheinung ist, merkt man die Dringlichkeit an, mit der sie von damals erzählen will. Die DDR hat ihr restliches Leben geprägt. Außer in Weißensee konnte man in der DDR nur noch in an einer Fachschule in Schneeberg Modedesign studieren, deshalb kannten sich alle Designer des Landes, jeder wusste, was der andere konnte. Ute Lindner war für eine Führungsrolle bei „Exquisit“ vorgesehen, das hatte Arthur Winter bestimmt. Er war nicht nur ihr Professor, sondern auch Leiter der einzigen Modemarke der DDR, die den Versuch unternahm, in Qualität und gestalterischem Anspruch mit dem Westen mitzuhalten. In den späten sechziger Jahren hatte auch die DDR-Führung erkannt, dass sie der Sehnsucht ihrer Bürger etwas entgegensetzen musste, das ein wenig mehr funkelte als die Bedarfskleidung aus den Kombinaten.

Solange die Mauer stand, war sich Ute Lindner sicher: Sie war so gut ausgebildet und informiert, dass sie locker mit jedem mithalten konnte. Sie sagt: „Wir hätten ad hoc in Paris anfangen können.“ Was sie sogar tat. Sie war als Meisterschülerin nach Paris geschickt worden, das Kulturministerium der DDR hatte ihr den Austausch ermöglicht. Ute Lindner fuhr hin und arbeitete unter anderem bei Daniel Hechter, damit sie sich für ihre Aufgaben vorbereiten konnte.

Eine Mantelskizze von Ute Lindner.
Eine Mantelskizze von Ute Lindner.

© Ute Lindner

Dort fühlte sie sich nicht fremd, sie war ja gut vorbereitet. Sie kannte jede Modezeitschrift, wusste, was auf den Laufstegen in Paris und Mailand zu sehen war. Sie hatte exportierte Stoffe in der Hand gehabt und konnte in einer Skizze einem Kleidungsstück Eigenleben einhauchen. Was sie nicht gelernt hatte, war, ihre eigene Designerpersönlichkeit nach außen zu tragen und damit ein Argument dafür zu liefern, warum ausgerechnet ihre Sachen einzigartig sein sollten. Sie ahnte nicht, dass sie das schon bald brauchen würde. In der Planwirtschaft der DDR war zu viel Eigensinn nicht vorgesehen. Weder am Modeinstitut noch bei „Exquisit“ traten einzelne Designer hervor, es ging nicht um die individuelle Handschrift. Auch Ute Lindner wusste, sie würde im Kollektiv arbeiten und ein Produkt entwerfen, bei dem Qualität und Schnitt stimmen mussten, so dass es möglichst lange getragen werden konnte. Denn wer hätte sich schon einmal im Jahr einen Mantel für 500 Ostmark leisten können? Für viele DDR-Bürger war das unerreichbar.

Wer für Exquisit ausgewählt wurde, hatte Glück. Hier konnten die Designer miterleben, wie aus ihrer ersten Skizze ein fertiges Kleidungsstück wurde. Wer im Modeinstitut der DDR arbeitete, hatte es damit viel größeren Widerständen zu tun. "Die modischen Vorschläge für die nächsten Saisons gingen durch so viele Instanzen, bis von der ersten Idee alles wegrationalisiert war", erinnert sie sich mit einem mitleidigen Blick. Als Ute Lindner im April 1988 aus Paris zurückkam, merkte sie sofort, dass sich etwas verändert hatte. Sie unterschrieb zwar einen Vorvertrag, aber bei „Exquisit“ war Stillstand. „Ich habe gespürt, dass es hier nicht mehr weitergeht“, sagt sie. Auch die Atmosphäre an der Kunsthochschule Weißensee war angespannt. Kommilitonen stürmten das Sekretariat und verlangten, Einblick in die Gehälter ihrer Professoren zu bekommen.

Die Designerin Ute Lindner.
Die Designerin Ute Lindner.

© promo

Auch als nach dem 9. November 1989 nichts mehr sicher war, wusste Ute Lindner, dass sie als Modedesignerin arbeiten wollte. Das alte System gab es nicht mehr, das neue wollte sie, die Designerin aus dem Osten, nicht, zu sehr hatte sie vom alten profitiert. Sie war 31 Jahre alt. Aber hatte sie nicht endlich alle Möglichkeiten, konnte sie nicht einfach anfangen, wie die Modedesigner im Westen?

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„Also sprang ich ins kalte Wasser“, sagt sie. Sie wollte ihre eigene Marke aufbauen, ganz groß mit eigenem Vertrieb. Schnell hatten sich Außenstände bei den von ihr belieferten Boutiquen angesammelt, die ihre Schulden nicht bezahlten. 1996 verkaufte Ute Lindner nur noch in ihrem Laden in Berlin-Mitte, später in Potsdam, bis auch das zu teuer wurde. Seitdem kommen ihre Stammkundinnen in ihr Atelier in Panketal.

Es war nicht leicht, aber jetzt ist sie an den Beginn ihrer Karriere zurückgegangen, um den Bogen zu schließen. Anfang dieses Jahres organisierte sie die Ausstellung „Zwischen Schein und Sein“ mit Modegrafiken von ihren ehemaligen DDR-Kolleginnen. Ute Lindner schaffte es, einen unglaublichen Fundus an kreativen Arbeiten ans Licht zu bringen, der für Jahrzehnte auf Dachböden und Kellern verborgen war. Jetzt bereitet sie die Veröffentlichung eines Bildbandes mit einer Crowdfunding-Kampagne (www.visionbakery.com/ModegrafikDDR) vor, damit die Modedesignerinnen der DDR nicht noch einmal in der Dunkelheit verschwinden.

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