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Beige funktioniert immer – hier bei der Boss-Schau in New York.

© Hugo Boss

Die Modefarbe des Jahres: Beige ist die gepflegte Langeweile

Es könnte die Farbe des Jahres werden – in all ihren Schattierungen von Crème bis Camel. Warum nicht mehr nur Senioren unauffällig sein wollen und das Ganze eine politische Dimension hat.

Eigentlich ist Beige die perfekte Farbe für unsere Zeit. Es ist ja gerade alles so durcheinander, ob das nun das Klima, die Politik oder die Wirtschaft ist. Da braucht man nicht auch noch in der Mode Aufregung. Die gab es in den vergangenen Saisons schon genug. All der Mustermix à la Gucci und die Sportswear, gerne oversized und unisex, als hätten wir nicht genug Probleme!

Innerhalb der Modeszene kann man ohnehin niemanden mehr in Ekstase versetzen. Warum dann nicht offensiv langweilen mit Kleidung in Crème, Camel, Karamell und wie all die Abstufungen von Beige heißen? Den Anfang machte der neue Chefdesigner von Burberry, Riccardo Tisci, für die aktuelle Frühjahrskollektion. Er findet, dass Beige dank Trenchcoats und Karomuster sowieso eine Burberryfarbe sei. Und auch für den nächsten Herbst wird es nicht bunter: Bei seiner Präsentation in New York verließ sich das deutsche Unternehmen Boss auf den Charme des Beige.

Denn nicht nur lässt sich dieses Farbenspektrum gefahrlos zu allem anderen kombinieren, es passt auch zu all den Klassikern, die unter dem Stichwort „Tailoring“ zum weiteren modischen Thema dieses Jahres avancieren könnten. Das bedeutet: Blazer, Hosenanzüge, lange Röcke, Blusen, und da das Ganze auch im nächsten Winter weitergeht, Wollmäntel, Strickponchos und Pullover in naturfarbener Wolle, denn genau das bezeichnet das französische Wort Beige.

In den USA konnte sich die Bezeichnung Beige nicht Dauer durchsetzen

Wenn Beige ursprünglich der Farbe von ungefärbter europäischer Wolle entsprach, dann darf es vielleicht nicht verwundern, dass sich diese Bezeichnung in den USA, dem Land der blütenweißen Baumwolle, nicht auf Dauer durchsetzen konnte. Hier bevorzugt man den Begriff „Nude“, was weniger „nackt“ bedeutet, sondern den künstlerischen Akt bezeichnet. Beige wird als eine Schattierung von Nude behandelt. Dabei ist eher an eine etwas blutleere 5th-Avenue-Lady zu denken als an die 0815-Rentnerin, denn die Nudetöne gehen hier mit eleganten, leichten Stoffen zusammen, einer idealen zweiten Haut.

Als Michelle Obama 2009 bei einem Staatsdinner ein elegantes schulterloses Kleid trug, wurde dieses in der offiziellen Meldung des Modehauses als nude-farben beschrieben. Die Presseagentur Associated Press beschrieb den Farbton mit „flesh“. „Wessen Fleisch? Jedenfalls nicht das von Michelle Obama“, ätzten die Kollegen. Die offizielle Beschreibung des Kleides wurde in „Champagne“ geändert. Warum nicht gleich so? Lag der PR-Gau nicht auf der Hand? Doch Diversität war vor zehn Jahren in Modeanzeigen und auf Laufstegen noch nicht angekommen, auch wenn das somalische Supermodel Iman bereits 1994 öffentlich darüber geklagt hatte, dass die Visagisten keine passenden Pigmente für ihren dunklen Hautton zur Verfügung hatten, und ihre eigene Kosmetiklinie gründete.

Die Bezeichnung „Nude“ scheint in den Sechzigern populär geworden zu sein. 1962 hauchte Marilyn Monroe ihr „Happy Birthday, Mr. President“ in dem vielleicht berühmtesten „Nude“-Dress der Geschichte ins Mikrofon. Diesen Effekt hatte der Kostümdesigner Jean Louis bereits an Marlene Dietrichs Bühnenoutfit für ihre One-Woman-Show erprobt. Ihren legendären Schwanenpelzmantel hatte er bei Marilyn durch eine Hermelinstola ersetzt. Diese Kreation war nicht einfach beige, sondern nahezu durchsichtig und so eng, dass an Unterwäsche nicht zu denken war. 1962 war auch das Jahr, in dem die Wachsmalstifte von Crayola den Farbton „Flesh“ in „Peach“ änderten, ihrer Firmengeschichte zufolge unter dem Eindruck der Menschenrechtsbewegung. Ein Einzelfall, der zunächst folgenlos bleiben sollte.

Michelle Obama und ihr Gatte 2009 bei einem Empfang im Weißen Haus.
Michelle Obama und ihr Gatte 2009 bei einem Empfang im Weißen Haus.

© Nicholas Kamm/AFP

Unterwäsche wird an "farblich abgestimmten" Models gezeigt

2013 war Christian Louboutin mit seiner „Les Nudes“-Kollektion in fünf Hauttönen das erste große Modehaus, das die Definition änderte und andere Hauttöne als weiße berücksichtigte. Das Hauptziel der „Nude“-Pumps, das Bein optisch zu verlängern, zeigt, dass dieser Coup nicht frei war von Schönheitsstereotypen. Dennoch, ein großer Erfolg, der Louboutins „Fifi-Pumps“ einen Ehrenplatz im Londoner V&A-Museum einbrachte. Das Museum meint darin weiterhin zu erkennen, dass die Kollektion auch die sich verändernde globale Wirtschaft reflektiere, in der Konsumentinnen unterschiedlicher Ethnien und Erdteile sich Schuhe für 400 bis 600 Dollar leisten können.

Für diese nicht mehr zu ignorierenden Märkte ist das Angebot parallel zur positiven Entwicklung Diversitätsdebatte in der Werbe- und Modewelt stetig gewachsen. Der politisch korrekte Standard in den Kosmetik-Kollektionen liegt bei 40 Make-Up Tönen, Unterwäsche in unterschiedlichen Hautfarben werden als solche an „farblich abgestimmten“ Models auch von großen Marken wie American Apparel oder Tom Ford gezeigt.

Diversitätsbewusstsein ist zum Verkaufsargument geworden oder gehört zur Markenidentität insbesondere an der Schnittstelle zwischen Mode und Musik wie Kanye Wests „Yeezy“-Kollektionen oder Rihannas gefeierte integrative „Fenty“-Mode- und Kosmetiklinien. Wie erstaunlich hart dieser Weg zu gehen ist, lässt sich ganz gut an der Entwicklung der Sängerin und Modeikone aus Barbados ablesen. Noch 2012 waren Verpackung und Flakon ihres Parfüms „Nude by Rihanna“ in einem zarten Pfirsischton gehalten. Oder war da Ironie im Spiel? Rihanna zeigte sich in der Werbekampagne in blonder Perücke und Unterwäsche, die einen schreienden Kontrast zu ihrem dunkleren Hautton bildete, den Nude-Effekt also ad absurdum führte. Die negativen Kommentare im Netz jedoch zeigen, dass die Zeit damals noch nicht reif für Ironie war. Und die Google-Bildersuche beweist, dass das diskriminierende weiße Nude heute noch immer lebt.

Gute Grundlage. Mit kräftigen Farben sieht Beige gut aus, wie hier bei Aspesi.
Gute Grundlage. Mit kräftigen Farben sieht Beige gut aus, wie hier bei Aspesi.

© Aspesi

Das Spiel mit Provokation und Political Correctness funktioniert also noch. Gerade promotet der weiße Popsänger Justin Bieber seine Streetware-Kollektion „Drew House“ als „Camel“-farben, um „Nude“ zu vermeiden. Aber was spricht eigentlich gegen die Verwendung unseres langweiligen, aber friedlich-neutralen Beige?

Vielleicht, weil Beige eben auch die Metapher für konventionell, blass und unauffällig ist. Wenn man es positiv wendet, heißt das: edel, elegant und erwachsen. Obwohl, zu erwachsen darf es auch wieder nicht werden. Wenn man den einschlägigen Modemagazinen glaubt, muss man sich vor einem kamelhaarfarbenen Mantel in Acht nehmen, wenn man die Fünfzig überschritten hat, das mache einfach zu alt. Das wiederum könnte daran liegen, dass Seniorenmode bis heute vor allem eine Farbe hat: Beige. Pflegeleichte Windblousons, die im Anzeigenteil von Fernsehprogrammzeitschrift und Einlegern in der Apothekenrundschau beworben werden, finden immer noch erstaunlich viel Absatz, obwohl gerade eine neue, bunte Rentnergeneration nachwächst, die nicht im Traum daran denkt, sich dem Dikat der Unauffälligkeit zu ergeben.

Unser Universum ist gar nicht Dunkelblau oder Schwarz

Das macht Beige für eine sehr viel jüngere Zielgruppe wieder interessant, quasi als Gegenbewegung. Was die neuen flippigen Alten scheuen, ist für die Jungen gerade gut. Dazu passt, dass sich neuerdings Gesundheitsschuhe von Mephisto nicht nur an Menschen mit geschundenen Füßen verkaufen, sondern als besonders hippe Variante des Turnschuhs.

Und jetzt kam auch noch raus: Unser Universum ist gar nicht Dunkelblau oder Schwarz. Wenn 200 000 Galaxien zu einem Farbton verschmelzen, kommt dabei, ja genau! Beige heraus. Den Farbton nannten die Wissenschaftler „Cosmic Latte“. Wahrscheinlich waren sie gerade in der Kaffeepause.

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