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Blick aus dem Odeehgeschäft auf die Gedächtniskirche.

© Christian Schwarzenberg

Fashion Week: Berlins Modebranche wächst weiter

Mit neuen Modebüros von Porsche Design, Otto und Zalando wächst die Branche in der Stadt. Denn die Hauptstadt hat einen Vorteil: Hier gibt es jede Menge gute Mitarbeiter.

Mode in Berlin, das ist spannend für die Medien, wirtschaftlich ohne Relevanz – so lautet das Vorurteil. Also kann die Modewoche auch an der Peripherie stattfinden, meinen manche Politiker.

Szene, Streetstyles, Schauen

Mode wird nicht nur in Berlin gelebt, sie wird hier auch wirtschaftlich relevant. Über die Jahre haben die Designer, die Modewoche und eine ganze Reihe von Unternehmen, die hier seit langem Geld verdienen, mit Mode (Evelin Brandt, Blacky Dress, Harald Glööckler, Jackenlabel IQ), Accessoires (Mykita, IC! Berlin, Liebeskind) oder Schuhen (Trippen) ein beachtliches professionelles Netzwerk aufgebaut. Mit Schnittmachern, Produktionsgesellschaften, Fotografen, Agenturen und Studios entstanden die entscheidenden Zuliefererstrukturen. Wählten früher deutsche Modeunternehmen eine Münchner oder Hamburger Agentur für ihre Öffentlichkeitsarbeit, wird heute immer öfter eine Berliner PR-Agentur beauftragt. Hinzu kommen die vielen Showrooms internationaler Luxus-Modemarken und vor allem Läden. Früher wurden neue Ladenkonzepte meist in Düsseldorf eröffnet, nun streben alle nach Berlin.

Vorbild: Mailänder V-Modell

Damit etablieren sich hier langsam Strukturen, wie sie in Paris, Mailand, London oder New York schon lange vorhanden sind: Design und Kommunikation sitzen in der Metropole, die Produktion ist im Land oder irgendwo auf der Welt. Auch Messechef Karl-Heinz Müller war sich schon vor Jahren sicher: „Wenn die Modeunternehmen begriffen haben, dass die Bread & Butter, die Premium und die Mercedes-Benz Fashion Week bleiben, wird es hier bald die ersten Firmenzentralen geben.“

Designer, Hersteller und Händler zugleich

Die Otto Group, Porsche Design oder Zalando haben hier Designbüros aufgebaut, bislang weitgehend unbeachtet von Modeszene und Medien. Konkrete Zahlen gibt es noch nicht, auch weil die Dynamik der Mode nur schwer mit Statistiken zu fassen ist. Denn die neuen Geschäftsmodelle sind zumeist vertikal organisiert, machen also von der Produktentwicklung über die Steuerung der Produktion bis zum Vertrieb alles selber. Doch der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) interpretiert die Zahlen des Senats so, dass Berlin mittlerweile die höchste Dichte an Modeunternehmen in Deutschland hat. Er plant daher mit dem Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG einen Arbeitskreis Mode.

Wir sind der erste große Anker

Porsche Design kam wegen des guten Images von Berlin, der Anziehungskraft für Mitarbeiter und dem professionellen Netzwerk. Die Otto-Group ist mit der neuen Eigenmarke Edited in Berlin vertreten, die wiederum zum Start-up Collins mit 140 Mitarbeitern gehört. Unter der Leitung von Clarissa Labin arbeiten hier Design-, Produktmanagement- und Produktionsspezialisten. „Wir glauben, dass es wichtig ist, Experten und Kreative in dem für sie besten Umfeld einzusetzen“, begründet Co-Geschäftsführer Tarek Müller die „strategische Entscheidung“.

Für Zalando entwickelt das Tochterunternehmen Z-Labels zwölf eigene Schuh-, Mode- und Accessoire-Kollektionen. Der Bedarf ist groß: Seit letztem Jahr verkauft der Onlinehändler mehr Mode als Schuhe. Am Ostkreuz sitzen in einem 20 000 Quadratmeter großen Neubau über 200 Mitarbeiter aus Design und Produktmanagement, Produktentwickler oder Einkäufer. Mehr als weitere 50 Stellen sind derzeit ausgeschrieben. Für das Team wurden seit Ende 2010 Mitarbeiter aus London, Spanien, Schweden, Italien und Frankreich gewonnen. Sie arbeiteten zuvor bei großen Anbietern wie Zara, Mango, H&M oder Topshop. Sie bringen nicht nur Erfahrungen mit, sondern auch professionelle Netzwerke wie Lieferanten und andere Arbeitsprozesse.

Mit ihnen steigen auch die Gehälter in Berlin: „Wir wollen kein Lohndumping, sondern die besten Leute für ein langfristig erfolgreiches Geschäft“, sagt Geschäftsführer Jan Wilmking zu Dumping-Tagessätzen von 150 Euro, die Z-Labels frei arbeitenden Modedesignern zahlen soll, wie in der Szene erzählt wird.

Know-how aus aller Welt

Mit den neuen Designbüros erlebt die Mode in Berlin ein strukturelles Wachstum. Eine neue Qualität entsteht jenseits der Frage, welches Unternehmen hier eine Modenschau zeigt oder nicht. Denn mit den neuen Modebüros kommt wieder Know-how aus aller Welt in die Stadt – so, wie einst Juden und Hugenotten kamen und hier die Modekonfektion erfanden. Von diesem Know-how profitieren auch kleinere Labels. Die Mode in Berlin nimmt weiter Fahrt auf.

Joachim Schirrmacher ist Creativ Consultant in den Bereichen Mode und Design. Er verantwortet den Nachwuchspreis European Fashion Award FASH der Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie.

Joachim Schirrmacher

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