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Fashion Week in Berlin: Aufmarsch der Lamettatruppe

Die neue Mode zeigt sich zart und hart zugleich. Es gibt Tarnmuster, glitzernde Lurexfäden, exakt geschnittene Anzüge und weiche Teddyfelle. Man sieht auch auf dem Laufsteg: Wir leben in keiner sehr friedlichen Zeit.

Day Disco

Auf den ersten Blick ist die neue Saison voller Gegensätze: Wo es auf der einen Seite hart und martialisch zugeht, ist die andere glamourös und verspielt. Die Designer schwelgten in Pailletten, Federn, Fransen und Metallicfarben. Und zwar nicht nur bei Abendlooks, sondern auch bei Kleidungsstücken, die tagsüber getragen werden sollen wie Pullunder. Das Disco-Feeling wird in den Alltag geholt, das Nachtleben in den Tag.

Die Materialien sind glänzendes Satin, Samt und schimmernde Lurexstoffe wie bei der Show von Damir Doma, die er in der dunklen Halle des Berghain präsentierte. An seiner Kollektion zeigt sich besonders gut, dass die Entwicklungen so gegensätzlich dann doch nicht sind. Denn die Glamourstücke kommen jetzt in giftigen Farben daher oder werden mit rauen Gegenstücken wie Bomberjacken getragen. Der neue Glamour hat einen apokalyptischen Unterton. Damit ist man bestens gerüstet für einen Tanz auf dem Vulkan.

Im Anzug

Hohe Schneiderkunst lässt sich am exaktesten an Anzügen zeigen. Wenn dann noch ein kleingemustertes Karo dazu kommt, kann sich Meisterschaft in der Schnittkunst richtig schön entfalten. Das hatten wahrscheinlich die Designer von Strenesse im Sinn, als sie beschlossen, in Berlin fast ausschließlich Anzüge zu zeigen. Das Exemplar mit Weste, Mantel, Krawatte und weißem Hemd ist dann besonders kleinkariert im besten Sinne und zeigt wo die Reise hingeht: die klassische Männergarderobe soll gerade vor allem Frauen glücklich machen.

Einen scharf geschnittenen Anzug für die Damen selbst hatte dann auch fast jeder Designer in seiner Kollektion, gern als taillierten Zweireiher wie bei Dorothee Schumacher und Odeeh oder aus buntem Seidenstoff mit chinesischen Mustern wie bei William Fan. Oft sind die Jacken derzeit einen Tick weiter geschnitten als unbedingt nötig, und die Hosenbeine sind etwas zu lang, sehen aber keineswegs aus wie aus dem Kleiderschrank des Ehemanns ausgeliehen. Im Gegenteil, Anzüge sind jetzt explizit für Frauen wichtiger als für Männer.

Glamourbär

Dass Pelz nicht so richtig okay ist, machten gleich am ersten Tag der Fashion Week frierende nackte Aktivistinnen und Aktivisten klar, und auch die meisten Designer in Berlin können sich dieser Haltung ohne größere Probleme anschließen. Aber auf Mäntel, Jacken und sogar Kleider aus pelzähnlichem Material will trotzdem niemand verzichten, wie man zum Beispiel bei William Fan sehr gut sehen konnte. Er schmückte seine Mäntel sogar mit so viel Lurex, dass der Teddystoff ein richtiger Glamourbär wurde.

Um möglichst große Natürlichkeit geht es den Designern aber eher nicht, deshalb sind die Mäntel und Jacken auch fast immer eher bunt als braun. Kunstpelze sind heute so gut gemacht, dass sie sich auch aus Polyester butterweich anfühlen wie ein knallblauer Mantel bei Riani. Leyla Piedayesh von LalaBerlin musste im Berliner Salon den Fühltest am Mantel eines Kollegen durchführen. Dabei stellte sie fest, dass echte Pelze für sie auch nicht mehr in Frage kommen.

Getarnte Stärke

Dass wir in unsicheren Zeiten leben, sieht man auch an der Mode. Da wird nämlich aufgerüstet. Einflüsse aus dem Militär waren auf den Laufstegen in Berlin überall zu sehen. Grundsätzlich sind sie nichts Neues in der Mode, doch in vergangenen Saisons ging der Blick der Designer länger zurück in die Geschichte. Anspielungen an napoleonische Offiziersmäntel sind eben unverfänglicher als solche an die Bundeswehr. Nun allerdings ist die Inspirationsquelle eindeutig die Gegenwart. Bei Marina Hoermanseder trug ein Model einen olivegrünen Daunen-Ganzkörperanzug, um ihren Kopf war ein Stirnband geknotet. Das sah aus, als könne man damit in den nächsten Hightech-Krieg ziehen.

Selbst die für Hoermanseder typischen Korsetts trugen dieses Mal Tarnmuster. Es wurden Cargo-Hosen gezeigt, an denen kleine Taschen baumelten wie die, in denen auch Soldaten die vielen Teile ihrer Ausrüstung verstauen. Dazu trugen die Models Vokuhila wie Raver, die in den 90er-Jahren in alten Bunkern feierten, auch damals lag Military im Trend. Bei Odeeh zeigten sie sich in einer abgeschwächten, gefälligen Variante. Auch dort war Tarnmuster zu sehen, allerdings dezenter, khakifarbene Blusen und funktional aussehende Wollpullunder, die bis unters Kinn reichen.

Plastik Fantastik
Von wegen der Trend geht hin zu plastikfreien Materialien – zumindest sieht das die Mode völlig anders. Während Lebensmittelhersteller und Supermärkte zunehmend auf Kunststoff verzichten wollen, ist diese Saison durchsichtiger Kunststoff das Schlüsselmaterial. Frei nach dem Motto: Lieber Plastik auf der Haut als im Körper. Sei es der Hang zum Futurismus oder die Suche nach einer neuen Transparenz, schließlich sind auch die Designer irgendwann von Tüll und Spitze gelangweilt. Auf Plastik wird nicht verzichtet.

Dass das Material schon lange nichts mehr mit Unförmigkeit oder Fetisch zu tun hat, konnte man zuletzt in der Kollektion von Dorothee Schumacher sehen. Hier diente es oft als Extra-Beschichtung über dem eigentlichen Stoff. Marc Cain hielt es einfach und zeigte schwarzpolierte Hosen in einer engen Passform und einfache Regenmäntel, die über bunten Felljacken getragen wurden. Auch bei vielen anderen Designern wurde Plastik wenigstens als Akzent zu ansonsten schlichten Outfits eingesetzt, besonders gern als knallige Tasche wie beim Männerlabel Ivanman.

Kleid über Hose
Hosen lösen Kleider ab, das war in Berlin deutlich zu erkennen. Es gab sie in den unterschiedlichsten Varianten mit vielen Details, häufig mit asiatischer Anmutung. Bei William Fan waren sie mit Schlag und Schlitz an der Seite zu sehen. Dazu wurden Blusen aus fließenden Stoffen getragen. Untenrum frei möchte man künftig nicht mehr sein. Bei Odeeh wurden Hosen selbst unter lange Kleider gezogen. Und zwar im Stilbruch: Unter einem glitzernden Lamettakleid war ein weites Hosenbein zu sehen, was dem Glamour ein herbes Element hinzufügte. Überhaupt war Layering bei den Designern ein großes Thema: Bei Damir Doma wurden Kleider mit schmalen Trägern über dicken Pullovern getragen, darüber dekonstruierte Jacken.

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