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Fashion Week in Berlin - Lou de Bètoly: Die neuen Zwanziger

Die Entwürfe von Lou de Bètoly haben den Flair der Golden Twenties. Die Designerin steht mit ihrer Mode für die Übertragung von dekadent-chaotisch-surrealer Extravaganz in die Jetztzeit.

Für Berlin sind die Zwanziger ein Heimspiel. Keine andere Dekade wird so sehr verknüpft mit jenem Lebensgefühl von Hedonismus, Dekadenz, Freiheit und Chaos, das die Hauptstadt auch 100 Jahre danach noch umweht. Mit der Berlin Fashion Week wird dieser Tage auch in der Mode ein neues Jahrzehnt begrüßt. Und weil die wilden Zwanziger eben in erster Linie für ein Gefühl stehen, kommen die Laufstege auch gut ohne das millionste Revival des Flappergirls aus. Eine, die den wahren Flair der Twenties nun schon in dritter Saison zu inhalieren scheint, ist Odély Teboul, die mit ihrem Label Lou de Bètoly für eben diese Übertragung von dekadent-chaotisch-surrealer Extravaganz in die Jetztzeit steht.

Schon mit ihrem Vorgängerlabel Augustin Teboul hatte die französische Designerin, damals noch Teil eines Kreativduos, Berlins hedonistisches Nachtleben in morbide, manchmal erotische Traumlandschaften gehäkelt. Ihre Herbst-Winterkollektion 2020, die sie am Dienstag präsentierte, denkt ihre eigene Welt des Glamours und des Nonsens weiter.

Als Ort hatte sich Teboul einen Palast der kurzen Freiheit gesucht, keinen intimen Salon oder nächtlichen Jazz-Club, sondern den 21. Stock des ehemaligen Postcheckamtes am Tempelhofer Ufer.

Die derzeit leer stehende Immobilie, die sich nach mehrjährigen Streitereien zwischen Stadt und vorherigem Eigentümer nun doch noch anschickt, „ein Glanz zu werden“, um es mit den Worten der Schriftstellerin Irmgard Keun zu sagen (die das prekäre Freiheitsgefühl der 1920er so schön wie niemand sonst beschrieb), ist ein würdiger Ort für eine Berliner Modepräsentation.

Bevor es an Umbau und Sanierung des Wolkenkratzers geht, lässt der neue Eigentümer dort von der Agentur Glut Berlin organisierte kulturelle Zwischennutzungen zu.

Für ihre Kollektion mit dem Titel „Bourgeoibstrus“ schickt die Designerin keine kunstseidenen Mädchen über den Laufsteg, sondern Frauen in Kleidern, welche Vorstellungen von Jugend und von Luxus hinterfragen. Stofflich bedeutet das die Verwendung von Kaschmir und Tweed, die Teboul abstrus dekonstruiert: Pullunder und Siebenachtelhosen mit leichtem Schlag, die mehr an Fifties als an Twenties erinnern, kommen so mal mit aufgeschlitzten Seiten, mal als Patchwork daher.

„Ich habe mich dieses Mal gefragt, wofür der Begriff Luxus heute eigentlich noch steht“, sagt Teboul nach der Schau. Im Upcycling hat sie eine Antwort gefunden, sämtliche von ihr verwendeten Materialien wurden zuvor schon einmal benutzt, sie sieht im Umdenken von Mode eine Notwendigkeit und persönliche Herausforderung.

Auch mit Upcycling-Kristallen vom Modemäzen Swarovski hat Teboul gearbeitet. Ein wenig Funkeln tut den freizügig gehäkelten, netzartigen Tops, Strümpfen oder Bodysuits gut.

Für Teboul schließt sich der Kreis zu den 1920ern

Außerdem hat sich Teboul von Louise Bourgois' Bildzyklus „Femme Maison“ inspirieren lassen, in dem die Künstlerin die Rolle der Frau reflektiert. „Louise Bourgois hatte zwar bereits die Möglichkeit, künstlerisch zu arbeiten, musste sich aber trotzdem noch voll und ganz um die Kinder und den Haushalt kümmern“, sagt Teboul. Allerlei Hausrat, etwa Kleider und Bodys aus kunstvoll drapierten Troddeln, erinnern daran genauso wie einige der stärksten Looks der Kollektion. Kinderkleider, etwa eine Latzhose oder ein Babydoll, hat Teboul aufgetrennt und erweitert, sodass ihre Models hineinpassen – oder eben gerade nicht. Schließlich verstehen sich die Outfits auch als Referenz an Frauen, die sich nur widerwillig in gesellschaftliche Normen zwängen lassen wollen.

Für Teboul schließt sich hier übrigens der Kreis zu den 1920ern, auch wenn sie nicht als direktes Zitat in „Bourgeoibstrus“ geflossen sind: „Damals änderte sich insbesondere die Rolle der Frau“, sagt sie. Einerseits realpolitisch, wenn man nur an die Einführung des Frauenwahlrechts denkt. Andererseits auch modisch, Stichwort Garçonne. Aus Männerschals hat Teboul für diese Kollektion übrigens Kleider gemacht, die man 2020 nicht nur in genauso verruchten wie verrauchten Etablissements tragen kann.

Noch ein Highlight nach der Show: Schaugäste warten auf ein Taxi. Da zeigt ein Fahrer auf zwei wartende Personen und fragt: „Mann oder Frau?“ Er meint das Künstlerpaar Eva und Adele, das im Partnerlook mit kahlem Kopf und opulenter Robe als lebendes Kunstwerk keine Schau von Teboul verpasst. Kurzes Gelächter, kurze Erklärung, beides aber auch wieder nichts, weil sie sich Geschlechterzuschreibungen entziehen. „Das ist Berlin, oder“, sagt der Fahrer lakonisch.

Man vergisst das manchmal: Trotz allen Clubsterbens und der Investmentspekulationen ist die Hauptstadt immer noch ein Ort, an dem man an einem Dienstagnachmittag die Straße entlang aus der Reihe tanzen kann. Die Kollektionen von Lou de Bètoly werden uns in den 2020ern hoffentlich weiter daran erinnern.

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