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Weberin mit einer Tasche in traditionellem Design

© S. Rittler

IKAT/eCut-Projekt: Ich bin ein Designer, holt mich hier raus!

Tellergroße Spinnen, Typhus und viele Emotionen. Für das Projekt Ikat/eCut arbeiten Designer aus Deutschland mit Kunsthandwerksbetrieben aus Südostasien zusammen – unter teils widrigen Bedingungen.

Ist denn schon wieder Dschungelcamp? Diese Frage mag sich Designerin Stefanie Rittler gestellt haben, als sie ihre neue Heimat für die nächsten drei Wochen zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Statt Camp-Mitbewohnerin von Gina-Lisa und Kader Loth wurde Rittler allerdings Teil eines Dayak-Stammes, der indigenen Bevölkerung Borneos.

Im April diesen Jahres war die junge Designerin Teil des Projekts IKAT/ eCut des Goethe-Instituts. Gemeinsam mit sechs weiteren Textil-, Mode-, Interior- und Produktdesignerinnen aus Deutschland reiste sie nach Südostasien, um mit dort ansässigen Traditionsbetrieben während eines dreiwöchigen Aufenthalts exportfähige Produkte zu entwickeln. Ein Vorhaben, von dem beide Seiten profitieren sollten: frische Ideen im Gegenzug für alte Handwerkskunst, die anderswo längst in Vergessenheit geraten ist. Von den Bedingungen, unter denen die Zusammenarbeit stattfinden sollte, war Rittler jedoch zunächst überrumpelt.

„Ich kam auf eine Insel im Osten von Borneo. Vorher habe ich im Internet nach dem Dorf, in dem ich bleiben sollte, gesucht, aber ich habe es nicht gefunden. Wir mussten vom nächstgrößeren Ort eine halbe Stunde direkt in den Dschungel hineinfahren. Das Dorf besteht aus Hütten auf Stelzen. In vielerlei Hinsicht leben die Dayak wie wir, aber ihre Küche ist sehr traditionell. Einmal gab es für mich und meine Begleiterin Flughunde zu essen, ein andermal Schlangen und Affen. Ich habe auch eine Zeremonie besucht, bei der Medizinmänner böse Geister vertrieben haben und bei der Hühner und Schweine geopfert wurden."

Mit einer Gruppe Weberinnen aus dem Dorf begann Rittler an einer Taschenkollektion zu arbeiten, bestehend aus Clutches, einer Bauchtasche, einem Rucksack, einer Halfmoon-Bag und Taschen für Yoga-Matten.

"Wir haben auf Matratzen auf dem Boden geschlafen, Hühner sind offen durch den Raum spaziert, es gab handgroße Spinnen und Käfer. In der Nacht flogen Flughunde über uns hinweg. Wir sind mit der Sonne aufgestanden, dann kamen die Weberinnen des Dorfes, um mit mir an den Taschen zu arbeiten. Nur wenige von ihnen konnten vereinzelte Worte Englisch sprechen. Aber wir haben uns mit Händen und Füßen verständigt. Die Frauen haben gefühlt, dass ich ehrlich interessiert war. Und sie haben gemerkt, dass es – wenn die Zusammenarbeit gut läuft – eine Option auf mehr gibt. Eine Weberin kam auf mich zu und erzählte mir, dass sie verschuldet sei und ihr Vater im Sterben liege. Und dass sie deshalb froh wäre um diese Chance, Geld zu verdienen. Gerade die jungen Frauen waren neugierig auf meine Vorschläge."

Mit der Zeit, erzählt Rittler, habe sich trotz der anfänglichen Verständigungsprobleme ein herzliches Verhältnis entwickelt. Beim Abschied von der Gruppe flossen auf beiden Seiten Tränen.

"Meine Zeit im Dorf war nicht immer einfach, meine Begleiterin hat sich Typhus eingefangen. Zwischendurch habe ich mir mehr Privatsphäre gewünscht. Aber ich mochte es gleichzeitig auch, mitten drin zu sein, die Kultur der Leute wirklich zu erleben. Ich habe viel durch diese Reise gelernt. Wenn man die Produkte später im Laden sieht, findet man sie vielleicht optisch schön, aber man kennt nicht die Menschen, die hinter ihnen stehen. Für mich haben sie dadurch viel mehr Wert bekommen.“

Das Designer-Duo Teuber & Kohlhoff beim Einführungsworkshop in Jakarta
Das Designer-Duo Teuber & Kohlhoff beim Einführungsworkshop in Jakarta

© Goethe Institut Ramos Pane

Mit ähnlich extremen Erfahrungen wie Stefanie Rittler konnte keiner der übrigen Teilnehmer des Projekts aufwarten. Das Designer-Duo Anna Teuber und Franzi Kohlhoff vom Berliner Label Teuber & Kohlhoff arbeitete in der Großstadt Kuching mit einem Betrieb aus dem Luxussegment. Franzi Kohlhoff erzählt:

"Wir haben zusammen mit dem malaysischen Betrieb Tanoti Crafts eine Taschenkollektion hergestellt. Dafür wurde eine sehr alte Webtechnik angewandt, die Songket heißt. Ein klassisches Songket-Gewebe kann bis zu neun Monate in Anspruch nehmen. Die Technik hat früher in den unterschiedlichsten Kulturen existiert, ist aber anderswo verloren gegangen. In dem Betrieb sind 20 Weberinnen beschäftigt. Im Bereich der Textilproduktion arbeiten häufig nur Frauen. Bei Tanoti Crafts sind alle festangestellt, das ist eine Besonderheit. Normalerweise arbeiten die Weberinnen auf Projektbasis, was dazu führt, dass viele nach kurzer Zeit wieder aussteigen, heiraten und zurück in ihre Dörfer gehen. Tanoti Crafts aber will gerade junge Mädchen ansprechen, die diesen Beruf ein Leben lang ausüben wollen."

Während eines Einführungsworkshops in Jakarta, den IKAT/ eCut zu Beginn des Projekts organisierte und bei dem die Designer und Vertreter der Betriebe zum ersten Mal aufeinandertrafen, hatten Teuber und Kohlhoff bereits Pläne für die folgenden drei Wochen entworfen. Denn es dauert allein zehn Tage, einen Webstuhl neu einzurichten. Für lockeres Herumprobieren blieb dem Duo wenig Zeit.

"Der Betrieb arbeitet normalerweise sehr traditionell, unsere Ästhetik war völlig ungewohnt für die Mitarbeiter. Doch wir konnten uns gut einigen. Im Anschluss an das Projekt haben wir unsere Prototypen besprochen. Sind sie schon marktfähig? Sind wir schon zufrieden? Wir werden nun noch einige Verbesserungen vornehmen, die Schritte haben wir noch vor Ort besprochen. Der Betrieb ist sehr gut organisiert und ist es gewohnt, sich Verbesserungswünschen anzupassen und Kommunikationsketten aufrecht zu erhalten. Insofern denken wir, dass wir auch in Zukunft weiter zusammenarbeiten werden. Aber natürlich müssen wir abwarten, wie sich die Produkte letztlich verkaufen.“

Das Berliner Fair Fashion Label Folkdays und die Nonprofit-Organisation be able werden die Designer und Handwerker nun dabei unterstützen, ihre Produkte auf dem europäischen Markt zu vertreiben. Falls sich aus dem Projekt tatsächlich eine dauerhafte Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten ergibt, hätte die Initiative IKAT/eCut ihr Ziel erreicht einen kreativen Austausch auf Augenhöhe zu etablieren, bei dem der Erfolg der einen Seite nicht auf der Ausbeutung der anderen basiert. Dschungelprüfung bestanden!

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