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Carla Sozzani mit Helmut Newton. Die 71-Jährige hat sich ihr ganzes Leben mit Mode beschäftigt.

© Lorenzo Camcardi, courtesy Fondazione Sozzani

Interview mit Carla Sozzani: Bilder einer Frau

Carla Sozzani ist eine der ganz Großen in der Modewelt. Auch ihre Kunstsammlung, die jetzt im Museum für Fotografie ausgestellt ist, zeugt von einem Leben am Puls der Zeit.

Carla Sozzani, Modeausstellungen sind aktuell en vogue. Es wurde viel diskutiert über die Kommerzialisierung des Museums. Was sagen Sie dazu?
Modeausstellungen und Markenpromotion sind ein schwieriges Thema. Aber das Publikum interessiert sich nicht für diese Diskussion. Es interessiert sich für die Geschichte der Modehäuser und für die Kleider. Ich kümmere mich um die Stiftung von Azzedine Alaïa und sein Erbe. Wir haben in der Galeria Borghese in Rom eine Ausstellung konzipiert, in der die Kleider Gemälden von Cannova, Bernini und Caravaggio gegenübergestellt wurden. Das war wunderbar. Ich finde es sehr wichtig, Alaïas Arbeiten den jungen Generationen zu zeigen. Er war ein Meister seiner Kunst.

Die Ausstellung, die wir jetzt hier sehen, wurde von Alaïa angestoßen?
Ja, er gab den Ausschlag. Er besuchte mich in meinem Büro in Mailand, das bis unter die Decke voller Fotografien hängt. Er sagte: Wir müssen eine Ausstellung deiner Fotografie-Sammlung machen. Ich sagte: Ich habe keine Sammlung. Darauf er: Natürlich hast du eine Sammlung.

Wie haben Sie die ausgestellten Stücke ausgewählt?
Ich könnte niemals eine Auswahl treffen. Deswegen bin ich froh, dass Matthias Harder die Kuration übernommen hat. Für mich sind das alles sehr persönliche Erinnerungen aus den 50 Jahren meiner Arbeit mit Mode und Fotografie. Die Künstler sind oft Freunde. Ich hatte nie vor, eine Sammlung aufzubauen, ich habe einfach das gesammelt, was für mich Bedeutung hatte. Deswegen finde ich es auch besonders schön, dass die Ausstellung nach Alphabet kuratiert wurde. So ergibt sich alles durch Zufall, wie im echten Leben.

Gibt es einen neuen Designer, der so meisterhaft schneidert wie Alaïa?
Heute wissen nur noch wenige Designer, wie man wirklich Schnitte macht. Der Job des Designers hat sich mehr in Richtung Stylist verschoben, der Looks zusammenstellt. Alle großen Häuser stellen die jungen Talente als Artdirektoren an. Das heißt, sie müssen gar nicht versuchen, als Unternehmer erfolgreich zu sein oder ihr Handwerk zu entwickeln. Als künstlerische Leiter bekommen sie riesige Gehälter und müssen kaum für ihre Kunst leiden. Designer wie Vivienne Westwood, Rei Kawakubo, Yohji Yamamoto, Azzedine Alaïa oder Jean Paul Gaultier wussten, wie man Schnitte macht und näht.

Wie haben Sie Helmut Newton kennengelernt?
Das war vor vielen Jahren, ich hatte gerade die Vogue verlassen und war in Monte Carlo. Dort lernte ich ihn und seine Frau June kennen, wir wurden sofort Freunde. Sie waren so ein tolles Paar. Ich will nicht sagen, dass sie ihn dirigiert hat, aber ganz sicher hatte sie einen starken Einfluss auf ihn. Daran habe ich immer geglaubt: Hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau.

Sarah Moon ist eine der Lieblingsfotografinnen von Carla Sozzani.
Sarah Moon ist eine der Lieblingsfotografinnen von Carla Sozzani.

© Sarah Moon, Avril pour Alaia, 2006

Ihre erste Ausstellung mit Helmut Newton 1993 organisierten Sie in Ihrer Galerie, die zugleich eine Autowerkstatt war.
In Mailand sah man Fotografie damals nicht als Kunst. Die Leute hielten es außerdem für verrückt, eine Galerie am Stadtrand zu eröffnen. Noch dazu in einer kleinen Garage. Heute liegt derselbe Ort im Zentrum. Damals standen dort sogar noch Autos, und es roch nach Motoröl! Trotzdem kamen die Leute so zahlreich, dass sie eine Schlange bildeten, die um den Häuserblock ging. Wir mussten die Polizei rufen, so viele Leute waren da.

Haben Sie Newtons Arbeiten je als frauenfeindlich oder sexistisch gesehen?
Nein, diese Vorwürfe konnte ich nicht nachvollziehen. Ich kannte ihn ja, er war weit entfernt von all diesen Dingen. June war immer dabei, immer hinter ihm. Wenn man genau hinsieht, sieht man diese Distanz und auch, dass die Frauen sich vor seiner Linse wohlfühlten.

Die Ausstellung zeigt viele Aspekte von Weiblichkeit. Ist das ist die letzte große Herausforderung in der Mode: Diversität und vor allem Alter?
Alter gehört zum Leben. Es stimmt aber auch, dass auf den Laufstegen ein Traum verkauft wird. Wir können den Menschen nur Mode verkaufen, nicht die dazugehörigen Körper. Älterwerden hat aber auch schöne Seiten. Und aufhalten kann man es sowieso nicht.

Wie waren Ihre Eltern und wie war es, in den 50ern in Italien aufzuwachsen?
Ich hatte Glück und das Privileg, dass meine Eltern sehr offen waren. Das Einzige, was ich nicht durfte, war an der Brera-Akademie Kunst zu studieren. Das kam für meinen Vater nicht in Frage. „Das ist kein Studium“, sagte er.

Was haben Sie dann studiert?
Etwas, das damals als sicher galt: Fremdsprachen und Literatur. Wahrscheinlich erwarteten meine Eltern, dass ich ohnehin bald heiraten würde. Aber da musste ich sie enttäuschen. Es war schon schwierig damals als Frau. Als ich von einem verheirateten Mann schwanger wurde, stellte mein Vater eine Tasche mit meinen Klamotten vor die Türe. Ich sollte sie abholen und nicht mehr nach Hause zurückkehren. Meine Mutter kam nach der Geburt meiner Tochter, um sie zu sehen, mein Vater erst ein Jahr später. Ich dachte, das hätte ich vergessen.

Entschuldigung, wenn ich jetzt alte Wunden aufgerissen habe.
Nein, das ist schon ok. Ich denke, es war für sie schmerzhafter als für mich. Es muss traurig gewesen sein, so eine Entscheidung für sein Kind zu treffen.

Sie betreiben einen der bekanntesten Concept Stores der Welt. Wieso kommen die Leute in Ihren Laden, wenn sie doch alles online kaufen können?

Es gibt heute zwei Arten, einzukaufen. Die eine ist die schnelle Art, im Internet. Es ist praktisch, Essen, Socken und Kleidung nach Hause geliefert zu bekommen. Aber irgendwann muss man auch mal raus, sonst wird man einsam. Man kann nicht immer vor dem Bildschirm hängen. Dafür gibt es dann noch eine langsame Art des Einkaufens, eine Erfahrung, die man mit allen fünf Sinnen erlebt – oder sogar mit sechs. 10 Corso Como ist nicht nur eine Verkaufsfläche. Es gibt dort Essen, Musik, Bücher und Ausstellungen. Ich sehe immer mehr junge Leute, die in den Laden oder das Café kommen, sich dort hinsetzen und reden. Denn es gibt nach wie vor das Bedürfnis, zu reden.

Und zu essen.
Und zu essen! In den letzten Jahren saßen die Menschen oft zusammen im Restaurant und starrten auf ihre Handys. Aber die neue Generation merkt zunehmend, dass sie dadurch etwas verpasst.

Wie sehen Sie die neuen Generationen?
Die Millennials, aber noch mehr die danach kommende Generation, haben wieder echte, großartige Werte. Sie geben ihr Geld sehr bewusst aus. Ökologie, Nachhaltigkeit, Tierschutz – das ist ihnen wichtig. Vorher war Konsum, Konsum, Konsum angesagt, jetzt ändert sich das zum Glück wieder.

Ihre Generation war auch sehr politisch.
Ja, und wie. Eines meiner Lieblingsbilder in der Ausstellung ist ‚Manifestations' von Gilles Caron. Es zeigt die 68er auf den Straßen beim Demonstrieren. Das ist 50 Jahre her! Es zeigt einen Moment, in dem wir glaubten, die Welt verändern zu können.

Haben Sie sich diesen Revoluzzergeist erhalten?

Ich glaube schon. Und ich glaube, ich setze ihn für Corso Como ein, ohne es wirklich zu merken. Denn wenn man zu viel über die Vor- und Nachteile nachdenkt, macht man es nicht.

Das Gespräch führte Barbara Russ.

Die Ausstellung „Between Art & Fashion. Photographs from the Collection of Carla Sozzani“ ist noch bis zum 18. November 2018 in der Helmut Newton Stiftung im Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, in Charlottenburg zu sehen.

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