zum Hauptinhalt
Das italienische Modeunternehmen Zegna schickte seine Models ins Naturschutzgebiet, um die Kollektion für das Frühjahr 2021 vorzuführen.

© promo

Gesellschaft: Laissez-faire

In Paris und Mailand fanden die ersten Männermoden- schauen seit der Pandemie statt – fast ausschließlich digital und für alle. Dabei gehen viele Designer auf Nummer sicher und erzählen lieber von ihrer Arbeit, als modisch etwas zu riskieren.

Lässigkeit, das ist das Zauberwort, mit dem die Mode hofft, die Krise zu überstehen. Lässig ist wahrscheinlich das Gegenteil vom dem, wie sich jetzt gerade viele Modeunternehmen und Händler fühlen. Aber in wilden Aktionismus zu verfallen, würde auch nicht helfen, oder zu zeigen, wie angespannt und ängstlich viele in die Zukunft schauen. Otto Drögsler vom Designerlabel Odeeh fasste es dem Fachmagazin „Textilwirtschaft“ gegenüber gut zusammen: „Eigentlich muss doch alles lässig sein. Sonst passt es nicht in die Zeit.“

Die Kunden wollen es weiterhin bequem haben

In der Modebranche sind im ersten Halbjahr die Umsätze um 30 bis 40 Prozent eingebrochen und es wurde nicht nur deutlich weniger, sondern auch anders eingekauft. Anlässe gab es wenig, sich schick zu machen, dafür viel Homeoffice. Alles, was bequem ist, wurde gekauft. An den Männern, deren Verführungspotenzial in Sachen Mode ja eh noch ausbaufähig ist, lässt sich das besonders gut ablesen. Sie kauften keine Anzüge, Hemden und Outdoorjacken, stattdessen Jogginganzüge, deren Absatz stieg laut des Marktforschungsinstituts HML Modemarketing um rund 30 Prozent. Dazu kamen noch Polohemden, Sweatshirts, Chinos und Shorts in den Warenkorb.

Das klingt für all die, die Kleidung für das nächste Jahr entwerfen, ein bisschen zu entspannt, um Konsumenten mit neuen Reizen zu locken. Und was die Textilwirtschaft in der vergangenen Woche bei einer Umfrage internationaler Einkäufer herausfand, klingt wenig motivierend für Designer und Designerinnen, ins Risiko zu gehen. Viele glauben, dass die Kunden es auch weiterhin bequem haben wollen, oder wie man in der Mode zu sagen pflegt: „casual“.

Eigentlich arbeitet Daniele Grande als Designer für Gucci. Aber in dieser Saison durfte er sich, wie viele seiner Kollegen, als Model versuchen.
Eigentlich arbeitet Daniele Grande als Designer für Gucci. Aber in dieser Saison durfte er sich, wie viele seiner Kollegen, als Model versuchen.

© REUTERS

Die Frage, was als Nächstes kommt, sollte nun zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie bei den Präsentationen der Männermode für Frühjahr/Sommer 2021 in Mailand und Paris beantwortet werden. Die Mode fällt tatsächlich deutlich informeller aus als noch vor einer Saison. Die Tendenz zu mehr klassischen Schnitten, weg von der Sportswear, von groß bedruckten Sweatshirts und Sneakern, ist einer eher hybriden Form der Bekleidung gewichen.

Das ließ sich sehr gut beim italienischen Herrenausstatter und Stoffweber Zegna beobachten, bei dem normalerweise der Anzug eines der zentralen Kleidungsstück ist. Es passte dieses Mal schon nicht dazu, dass die Models nicht über einen Laufsteg, sondern durch das Naturschutzgebiet Oase Zegna spazierten, das der Unternehmensgründer Ermenegildo Zegna in den 1930er Jahren in seinem Heimatort Trivero anlegen ließ. Wie ein Klassenausflug dem Anlass angemessen schick gemachter Pennäler wirkte das. Am Ende des Spaziergangs klettern die Models auf das Dach der alten Fabrikhalle, die Ermenegildo Zegna vor 110 Jahren bauen ließ. So sollte an die Anfänge der Stoffweberei erinnert werden.

Fast alle Schauen wurden nur digital gezeigt

Dort erklärte der Chefdesigner Alessandro Sartori dann auch gleich mal, was diese Saison anders ist. Wenn Jackett, dann fühlt es sich an wie ein Hemd, ohne steife Einlagen. Statt feinen Wollzwirns verwendet Zegna weiche Sweatshirtstoffe. Die Hosen haben tiefe Bundfalte oder enden als weite Bermuda am Knie. All das fand nicht etwa vor Zuschauern statt, sondern wurde im Internet gezeigt, wie fast alle Präsentationen der vergangenen zwei Wochen.

Die Schauen wurden fast ausschließlich digital ausgetragen. Statt in der ersten Reihe saßen die Gäste zu Hause vor ihren Computern und warteten darauf, dass Videos freigeschaltet wurden. Das Drumherum, das inzwischen genauso wichtig ist wie die Schau selbst, fiel weg. Die Konzentration lag also ganz auf der Mode und alle konnten zuschauen.

"Brainwash" heißt die Kollektion von M1992.
"Brainwash" heißt die Kollektion von M1992.

© promo

Dass war auch in den vergangenen Jahren zwar nicht anders, wenn nicht im Livestream, dann waren die Schauen fast immer wenig später online verfügbar, aber jedem am Bildschirm war klar, dass das Spektakel nicht für ihn, sondern für die Menschen vor Ort gemacht war. Jetzt richtet sich die Aufmerksamkeit also zum ersten Mal wirklich darauf, alle zu erreichen. Das nutzen die Modehäuser ganz unterschiedlich. Auch bei Dior fällt die Kleidung legerer aus, dafür ist das digitale Format sehr kontrolliert. Das französische Luxushaus drehte eine Dokumentation über die Zusammenarbeit seines Menswear-Designers Kim Jones mit dem ghanaischen Künstler Amoako Boafo, der bunte Porträts malt, die Jones auf Pullover sticken ließ. Die Freunde des Künstlers, die er zeichnet, trugen selbstredend Teile aus der Kollektion und auch der Künstler malte in Dior.

Bei Gucci modelten die Angestellten genderübergreifend

Gucci verzichtete für seine Resort-Kollektion, mit der die erste digitale Mailänder Modewoche am vergangenen Freitag endete, ganz auf Models. Chefdesigner Alessandro Michele ließ stattdessen seine Kollegen aus dem Designteam in den neusten Entwürfen auftreten. Die Art, wie die Designerinnen und Designer ihre Outfits zusammenstellten, gab tatsächlich noch einmal einen neuen Blick auf die Kollektion. Sie kombinierten die Kleidung geschlechterübergreifend. Mehr als 1,8 Millionen Mal wurde das Video angeschaut. Auch wenn viele Zuschauer davon keine Kunden, sondern Fans sind, die noch nie einen Gucci-Laden betreten haben, wird so das Image der Marke gestärkt.

Das junge Label M1992 lieferte mit „Brainwash“ sogar einen kritischen Kommentar über den Umgang mit unserem digitalen Konsum. Hemden mit dem Aufdruck „Fake News“ und mit Hirnen verzierte Hemden wurden von einer Stimme aus dem Off begleitet: „We suffer more from imagination than from reality.“ Was für ein passender Kommentar zum Zustand der Mode, in der gerade nicht klar ist, in welche Richtung sie sich entwickelt, weil keiner weiß, was in ein paar Monaten passieren wird. Die jetzt gezeigten Kollektionen machen es den Männern jedenfalls denkbar leicht.

Zur Startseite