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Makel in der Fashion-Industrie: Models neben der Spur

Krumme Nasen, kahle Köpfe: Das ist das Konzept der Agentur „Misfit Models“. Die Modeindustrie will Makel – aber nur in kleinen Dosen.

Del Keens sitzt im Vorgarten einer Kreuzberger Kneipe, seine Haare liegen in einer strähnigen Tolle auf dem Kopf, die Fingernägel müssten mal wieder geschrubbt werden und seine Zähne würden einem Kieferchirurgen genug Arbeit für einige Monate bescheren. Keens ist blass, hat einen leichten Bauchansatz und einen traurig-verdutzten Gesichtsausdruck. Früher wurde er wegen seines Gesichts gehänselt – und bekam später unzählige Model-Jobs.

Vor rund zwanzig Jahren wurde Keens in London von einem Scout angesprochen. Er – ein Model? So richtig glauben konnte er das zunächst nicht. Doch die Agentur „Ugly Models“ nahm ihn unter Vertrag. Es folgten Shootings für Diesel, Levi’s und Calvin Klein, später stand er vor allem für Werbekampagnen vor der Kamera. Sixt hat ihn mal für eine Plakatkampagne in einen goldenen Badeanzug gesteckt, derzeit ist er mit einem ziemlich behaarten Mann auf Plakatwänden zu sehen, gemeinsam bewerben sie einen Biermix. Das trifft sich gut – Del Keens trinkt selbst gern Bier. An diesem warmen Juliabend hat er bereits ein großes Alster getrunken, für das Gespräch bestellt er sich gleich ein zweites. „Ich kann zunehmen oder sechzig Jahre alt werden – modeln kann ich trotzdem“, sagt er und zuckt mit den Schultern.

Vor neun Jahren zog der Londoner nach Berlin, doch in Deutschland existierte kein Markt für Models wie ihn. „Weil es einfach noch keine spezialisierte Agentur gab“, erklärt er. Und so gründete er 2012 „Misfit Models“; mehr als 400 Männer und Frauen vertritt er heute. Die meisten haben sich selbstständig bei ihm gemeldet, weil sie Artikel über „Misfit Models“ gelesen oder einen TV-Beitrag gesehen haben – Keens hat in den letzten Jahren eine Menge Interviews gegeben.

Schwer gefragt. Ogus, 19 Jahre alt.
Schwer gefragt. Ogus, 19 Jahre alt.

© promo

Die Medien lieben die Geschichte des schrägen Briten. In dieser Woche strahlt der WDR eine Dokumentation über Del Keens und seine Models aus – als Teil einer Fashionreihe, für die auch Karl Lagerfeld und Wolfgang Joop porträtiert wurden. Sein Name in einer Reihe mit den großen Modezaren – Del Keens freut sich diebisch darüber. Die Models, die bei Chanel über den Laufsteg geschickt werden, findet er selbst zwar auch schön – davon kann er sich nicht freimachen –, aber er sieht einen großen Nachteil für sie. „Ihre Gesichter werden eher vergessen, weil sie sich alle zu ähnlich sehen.“

Bei Werbekunden, die auffallen wollen, kommt das Ausgefallene an

Del Keens erfolgreichste Models sind ein kleinwüchsiger 19-Jähriger, ein hünenhafter Rocker und ein dürrer, alter Mann, der seinen Bart in zwei Zöpfe geteilt trägt. Bei Werbekunden, die auffallen und mit humorvollen und merkwürdigen Kampagnen im Gedächtnis bleiben wollen, kommt das gut an. Aber das allein ist nicht der Grund, warum „Misfit Models“ ein Erfolgsmodell sei, glaubt Keens. „Die Leute wollen sich auch mal mit den Menschen auf den Plakatwänden identifizieren können. Es kommt einfach besser an, wenn eine Bohrmaschine von einem Familienvater beworben wird statt von einem schönen Männermodel.“

Der Papi-Typ und Bohrmaschinen, das passt – aber Mode, gar Haute Couture? Keens und seine Models haben keine Anfragen für die Berliner Fashion Week bekommen. Sie entsprechen nicht den gängigen Schönheitsidealen, sind zu dick, zu alt, zu tätowiert, zu transsexuell oder zu türkisch für die Industrie. Dabei haben zuletzt immer mehr Labels vermeintlich unperfekte „Charaktermodels“ gebucht, an denen die Blicke hängen bleiben, die also einen entsprechend großen PR-Effekt haben. Zu den bekanntesten Beispielen zählt die Kanadierin Winnie Harlow, deren Haut wegen der Krankheit Vitiligo am ganzen Körper große, helle Flecken aufweist. Das spanische Label Desigual hat die 20-Jährige im vergangenen Herbst für eine ganze Kampagne engagiert. Shaun Ross, der von Journalisten meist als „Albino-Model“ bezeichnet wird, lief gerade bei der Berliner Fashion Week für Sadak und präsentierte Entwürfe der Designerin Nina Athanasiou, die mit seinem Gesicht bedruckt waren. Zuvor hatte der Afroamerikaner Aufträge von Givenchy und Alexander McQueen. In Berlin waren alle Kameras auf ihn gerichtet, auf seine rotblond gekräuselten Haare, auf seine fast transparente Haut.

Als Freak Show ist „Misfit Models“ nicht gedacht

Weitere erfolgreiche Makel-Models: Die 84-jährigen Carmen Dell’Orefice, der ganzkörpertätowierte Rick „Zombie Boy“ Genest und Mario Galla, der eine Beinprothese trägt und mit kurzen Hosen schon mal für Michael Michalsky lief. Zugegeben: Diese Models sind trotz ihrer Besonderheiten immer noch klassisch schön, sie haben hohe Wangenknochen, sind schlank und anmutig. Mit den Berliner „Misfit Models“ können sie kaum verglichen werden.

Steckte viele in die Tasche. Model Rick wirbt gerade für ein Ledertaschenlabel.
Steckte viele in die Tasche. Model Rick wirbt gerade für ein Ledertaschenlabel.

© promo

Aber wo verlaufen die Grenzen? Kann man zu schön sein, um in Del Keens Kartei zu landen? „Ich habe auch schon Bewerber abgelehnt, meistens, weil sie Allerweltsgesichter hatten“, sagt er und nimmt einen Schluck von seinem Bier. Begeistert spricht er von den Merkmalen seiner Models, von verkürzten Gliedmaßen, kahlen Frauenköpfen und dicken Bäuchen.

Als Freak Show will er „Misfit Models“ aber nicht verstanden wissen. Einmal bekam er eine Anfrage für eine Privatparty. „Da wollte jemand ,Knirpse’, die auf der Feier tanzen sollten.“ Wer so über seine Klienten spricht, hat bei Keens keine Chance, er verlangt Respekt für seine Models. Die müssen dafür pünktlich und ausgeschlafen bei den Shootings auftauchen – eben wie ganz normale Models.

- „Schön kann jeder!“, läuft am Freitag, 10. Juli, 23.15 Uhr im WDR

- "Misfit Models – Schön schräg", läuft ab Freitag, 14. August, 19.20 Uhr auf Nat Geo people

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