zum Hauptinhalt
Ein klassischer schwarzer Mantel von Richert Beil.

© Julian Wiesemes

Mode aus Berlin: Modenschau von Richert Beil: Reinigende Wirkung

Das Designerduo Richert Beil lädt zum Ende der Saison in eine Textilreinigung. Um zu zeigen, wie man außerhalb der Fashion Week Aufmerksamkeit erregen kann.

Die Mundharmonika jault. Zu den Klängen von „Spiel mir das Lied vom Tod“ erscheinen vier schwarzgewandete Gestalten mit Kreuzen auf der Stirn. Sind das Aschenkreuze, die Symbole der Fastenzeit für Buße und Reinigung? Passt schon, denn die Vier drehen ihre Runde durch die klinisch ausgeleuchteten, weißen Hallen einer Textilreinigung in Prenzlauer Berg. Mal wieder ein Ort, an dem noch nie jemand Mode präsentiert hat. Normalerweise werden hier die Flecken aus Kleidung ausgewaschen, die Falten weggebügelt und nicht neue Mode gezeigt. Aber dem Berliner Designerduo Richert Beil geht es bei seiner Präsentation für Herbst und Winter 2020/21 am Freitag durchaus auch um eine reinigende Wirkung. „Utopia“ haben Jale Richert und Michele Beil ihre Kollektion genannt und auf dem Weg zu ihrem Idealstaat jede Menge bedeutungsschwere Spuren ausgelegt.

„In the Future, I Believe“ steht auf der Einladung, die eine Madonnenfigur ziert, die ihren Fuß auf Satan in Form der Schlange gesetzt hat. Den Titel „Utopia“ ergänzt der Zusatz „0° K“, die Bezeichnung des absoluten Nullpunkts, an dem jegliche Bewegungsenergie gleich null ist. Da bei den beiden Designern alles, was sie machen, Bedeutung haben soll, kann man darüber rätseln, ob es ihnen darum geht „bei null anzufangen“ oder schnell „von null auf hundert“ zu kommen?

Mantel in Rostrot.
Mantel in Rostrot.

© Julian Wiesemes

Als Accessoires haben Richert Beil neben Frowny-Buttons silberne Ketten gewählt, an denen Taschenuhren hängen, die mit Sicherheit fünf vor zwölf anzeigen oder an denen Schlüssel baumeln, mit denen sich möglicherweise eine neue Tür öffnen lässt. Das Orange der Einladungskarten lässt an die Farbe der Schwimmwesten der übers Mittelmeer Flüchtenden denken, ein Symbol für Rettung und Katastrophe gleichermaßen. In der Schau entpuppt sich eine tolle, knallgelbe Tasche als wasserdichtes Survival-Kit, ein Model tritt beim zweiten Auftritt klatschnass auf.

Das Schwimmwesten-Orange mischt die übliche dunkle Richert-Beil-Ästhetik in der Schau gehörig auf. Außer den schönen Mänteln, eine Spezialität der Designer, und den meisterlich gefertigten Anzügen, die für Frauen und Männer funktionieren, gibt es nun also auch Sweatshirts und Hosen in Orange. Auf weißen T-Shirts wird der Richert-Beil-Schriftzug mit dem Logo des Arbeitsamts kombiniert. Mäntel und Jacken tragen sandfarbene oder schneeweiße Camouflage-Muster.

Alltagsgeschäft einer Reinigung und schöne Kulisse für eine Modenschau: Fleckenentferner.
Alltagsgeschäft einer Reinigung und schöne Kulisse für eine Modenschau: Fleckenentferner.

© Peter Wolff

Spannend wird es, wenn die traditionellen Mantelformen, mit denen Richert Beil so souverän spielen, in einem sportlicheren Teil zum Beispiel als Kutscherkragen wieder auftauchen. Oder wenn sich bei einem schwarzen Wollmantel die Ärmel, die die Schulterlinie extravagant vergrößert nachzeichnen, wie bei Funktionskleidung einfach abknöpfen lassen. Die klassischen Anzüge und die Hosen, auf die Workwear-Taschen aufgesetzt sind und die in Dr. Martens Stiefel enden, komplettieren den frischen Look, bieten darüber hinaus aber nicht viel Neues.

Mit dieser Kollektion könnten ein paar wichtige Ziele erreicht werden: Etwas zu kreieren, dass in den sozialen Netzwerken Richert Beils erwachsene Mode sichtbarer werden lässt und das dem Geldbeutel der Berliner und Berlinerinnen entspricht. Dafür bräuchte es aber erst einmal einen Webshop. Der soll in zwei Wochen starten. Die Mäntel kosten zwischen 800 und 1600 Euro, Couture-Teile bis zu 3000 Euro.

Auch wenn sich dieses Mal nicht alles zu einem Ganzen fügen wollte, es ist ein guter Weg den sie beschreiten. Denn Jale Richert und Michele Beil haben sich für Berlin als ihre Modestadt entschieden. Spätestens seit dem letzten Sommer gehörten die beiden zu den schärfsten Kritikern der Berliner Fashion Week und überlegten, künftig in Paris oder London zu zeigen. Die Qualität der Schauen, die Auswahl der Labels und der Umgang mit den Kreativen passten ihnen gar nicht. Dazu kamen die leidigen Überschneidungen mit anderen Modewochen. Um ein Statement zu setzen, verließen Sie in diesem Jahr den Rahmen der Berliner Modewoche und zeigten ihre Kollektion nun fast zwei Monate später kurz nach Paris aber rechtzeitig vor dem Ende der Orderrunde.

Orange ist die neue Farbe bei Richert Beil.
Orange ist die neue Farbe bei Richert Beil.

© Julian Wiesemes

Ob sich das auszahlt, wird sich erst noch herausstellen. Jale Richert und Michele Beil Utopie ist es, sich in Zukunft mit Gleichgesinnten zusammen zu tun und gemeinsam mehr Selbstbestimmung für die Designer und Designerinnen zurückzuerobern. Ihre „Utopia“-Schau sollte dafür werben und zeigen, was Richert Beil beizutragen hätten.

Mit ihrem Wunsch nach einer Allianz stehen sie nicht allein da, wie die Gründung des Vereins Berliner Modedesigner Ende 2018 zeigt, der jenseits der Fashion Week im letzten Sommer mit den „Fashion Positions“ an die Kunstmesse „Paper Positions“ am Gallery Weekend angedockt hatte. Und die Initiative für einen Berliner Fashion Hub, der die Kleinteiligkeit der Berliner Modeszene positiv repräsentieren und stützen soll, fordert die Kreativen auf, aktiv mitzugestalten. Da hört sich der brennende Wunsch nach mehr Mitbestimmung gar nicht mehr so utopisch an.

Ingolf Patz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false