zum Hauptinhalt
Mein Schal, mein Schutz: Fransencape von "Das Capemädchen"

© Das Capemädchen

Mode: Herbstmode im Großformat: Capes sind wieder da!

Wollene Umhänge sind die perfekte Kleidung für harte Zeiten: kuschelig, bequem. Und eine Grenze ziehen sie auch.

Ein Griff mit der rechten Hand in die Stoffbahn, die um den Hals hängt, und sie mit einer entschlossenen Bewegung über die linke Schulter werfen. Zack. Fertig ist ein Outfit, das wie kein anderes zur Zeit passt: Das Cape ist wieder da, der ärmellose Umhang, Mantelersatz oder Großschal gleichermaßen – und im übertragenen Sinn das, was dem Land an seinen Rändern gerade zu fehlen scheint: die Möglichkeit, auf elegante Weise eine Grenze zu ziehen.

Und drinnen im Land? Einen „Kokon“ sieht Josephine Gaede im Cape, in das man sich einwickelt und damit in einer Online-Welt, die auf Privatheit immer weniger Wert legt, etwas Unsichtbares schafft. Sie steht vor einem Kleiderständer voller Capes, zweifarbige, zartwollene mit Namen „ La Plus Belle“ in hellblau-grau, himbeer-grau, ocker-grau, oder die „Großstadtindianer“-Modelle, etwas fester im Stoff in knalligen Farben – rot, pink, blau – und mit Lederfransen dran. Von denen wählt sie eines, wickelt sich darin ein. Ihre schmale Silhouette verschwindet im Umhang, wird der Öffentlichkeit entzogen. „Das Cape hat etwas Schützendes“, sagt sie „und etwas Verwischendes.“ Es verwischt nicht nur menschliche Konturen, sondern auch Kategorien. Ist es ein Kleidungsstück oder ein Accessoire?

Ihre Capes hängen inzwischen im Berliner KaDeWe

Im KaDeWe heißt die Antwort Accessoire, was Josephine Gaede überrascht zur Kenntnis nahm, als sie hinging, um zu schauen, wie ihre Capes dort hängen. Ihre Capes – denn die 28-Jährige ist Begründerin und erst seit Neuestem nicht mehr einzige Angestellte des Berliner Labels „Das Capemädchen“. Inzwischen ist die vierte Kollektion fertig, die ab Ende November ausgeliefert wird, wenn nicht ins KaDeWe und einige andere Premiumkaufhäuser deutschlandweit, dann gegen Vorbestellung per Post. Die neue Linie ist eine Variante der Großstadtindianer-Kollektion, in winterhaften Farben: dunkelgrün, grau, schwarz, purpur. Die ersten Lieferungen stapeln sich bereits klarsichtverpackt auf den weißen Dielen ihrer Bürowohnung in Berlin-Schöneberg.

Aus einer Folie zupft sie Stoff hervor. Walkloden aus Tirol, isolierend, strapazierfähig und trotzdem flauschig-weich. Ihr eigenes Indianercape habe auch schon als Picknickdecke herhalten müssen, sagt sie. Und wie die Bodenfeuchtigkeit hält der Lodenstoff einem auch den Regen eine gewisse Zeit vom Leib. Somit ist das daraus gefertigte Cape wohl das ideale Accessoire für die Übergangszeit, und die dauert, das hat Gaede im Branchenmagazin „Textilwirtschaft“ gelesen, wegen der Klimaerwärmung Jahr für Jahr etwas länger.

Wichtig für die Silhouette: dass das Cape übern Po geht!

Josephine Gaede lacht. Dass man es so wissenschaftlich-profund angehen könnte mit der Mode, hätte sie nie gedacht. Sich selbst sieht sie lieber als Quereinsteigerin. Das entlaste ungemein. „Ein Quereinsteiger denkt sich nicht so viel“, sagt sie. Denn wer es sich recht überlege, wäre ja verrückt, in die Modebranche einzusteigen. Launisch wie die ist, und die ganze Welt ist deine Konkurrenz!

Dass Josephine Gaede trotzdem heute Capes macht, kann man mit Fug und Recht Zufall nennen. Auslöser der Geschäftsidee war vor fünf Jahren im Italienurlaub ein Blick in ein Schaufenster – auf ein gelbes Cape. Sie kaufte es, hörte zu Hause nur Lob, organisierte mit Hilfe ihres Vaters einen Schwung weiterer gelber Capes und verkaufte die. Nun hörten viele Frauen in gelben Capes nur Lob, und so ging es in einem fort.

Anfangs war Josephine Gaede, eigentlich Jurastudentin, nur Händlerin, dann entwarf sie Capes auch selber („Wichtig für die Silhouette ist, dass sie über den Po gehen“), suchte und fand Stofflieferanten und Schneider in Italien und Bulgarien, vertrieb die nunmehr eigene Kollektion gegen E-Mail-Bestellung und Vorkasse, kam kaum noch zum Studieren, machte dennoch einen Abschluss, und als sie danach über ein Referendariat nachdachte, fiel ihr plötzlich auf, dass sie doch längst vom „Capemädchen“ lebt.

Auch, dass ihre Idee ein Erfolg wurde, kann man natürlich einen Zufall nennen. Denn war es nicht so, dass vor drei Jahren ein Foto des gelben Capes in die „Elle“ kam, weil ein Freund von einem Freund jemanden kannte, der mit der „Elle“-Produktion zu tun hatte? Und das Capefoto sahen dann wieder andere, und schon wieder griff eins ins andere. Wie es bei Zufällen so läuft.

Andererseits weist aber auch einiges Josephine Gaede als die perfekte Botschafterin des wollenen Überwurfs aus: Sie hat von früh an ein nomadisches Leben geführt, erst im Schlepp ihrer umzugsfreudigen Eltern in Lüneburg, Wien, Toronto, Tübingen, dann ohne Eltern studieren in Göttingen, London, Berlin, und das Cape ist in seiner Schnellgegriffen- und Umgeworfenheit gerade für Menschen mit leichtem Gepäck ideal.

Das verdutzte Resümee: Ein Ende der Nachfrage ist nicht abzusehen

Und nun ist sie genau in dem Herbst mit ihrem „Capemädchen“ in großen Mengen lieferfähig, in dem Capes und Ponchos, befreit von ihren Klischees – sei es das müslihaftmiefige der Selbststrickerin oder das mondän-elitäre der Kaschmirsnobs –, in sämtlichen Schaufenstern hängen. Sogar die „Textilwirtschaft“ meldete vergangene Woche leicht verdutzt: „Die Kontinuität und nicht nachlassende Breitenwirksamkeit, mit der Poncho und Cape sich bei den Frauen eingeschmeichelt haben, übertrifft viele Erwartungen. Ein Ende? Bislang nicht absehbar.“

So ähnlich klingt auch Josephine Gaede. Seit Juni ist bei ihr der Irrsinn los. Und vor einem Absturz der Nachfrage fürchtet sie sich nicht. „Ich glaube, dass es weitergeht“, sagt sie. Schließlich war sie mit ihren Capes schon da, als von „nicht nachlassender Breitenwirksamkeit“ noch überhaupt keine Rede war. Und im Grunde ist es ihr um Mode ja nie gegangen. „Ich würde mich nicht als Designerin bezeichnen“, sagt sie und plant Neues mit bunten Kissen, alter Keramik und Schmuck.

Erfolg macht mutig, das ist kein Geheimnis. Und das ist noch ein gutes Stichwort fürs Cape. Es sei ein mutiges Kleidungsstück, sagt Josephine Gaede. Weil es neben allem Selbstreferentiellem durch die Geste des Überwerfens auch etwas Theatralisches habe. Für den kleinen Auftritt auf der großen Weltbühne.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false