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Seide vor Beton. Dass Lulú Poletti ein Faible für Brüche hat, kann man auf den Fotos für ihre Frühlingskollektionen sehen.

© Simone Rivi

Mode in Berlin - Lulú Poletti: Hauptsache Italien!

Lulú Poletti entwirft Mode in Berlin, doch ohne ihre italienische Heimat wäre die Arbeit undenkbar. Dafür sind ihre Kleider zu schön und verrückt.

Entdeckungen sind in der Mode selten geworden. Normalerweise sind PR-Agenturen einfach zu schnell und preisen ein Label an, wenn die erste Kollektion noch nicht mal auf dem Markt ist.

Deshalb muss man davon ausgehen, etwas Entscheidendes verpasst zu haben, wenn man am Laden von Melampo in der Linienstraße vorbeigeht. Melampo? Komischer Name, klingt gar nicht vertraut. Aber das Schaufenster lockt mit einem in feine Falten gelegten, kanariengelben Rock, kombiniert mit roter Bluse. Nach Berliner Mode sieht das nicht aus, weder ist es schwarz und asymetrisch, noch minimalistisch gewickelt oder an den Rändern gefranst. Die Kleider sind zu schön und zu aufwendig für das, was man sonst in Berlin sieht und auch ein bisschen zu verrückt. Wer braucht hier schon den saftiggrünen Bolero aus Federn, der sich wie ein flaumiger Hauch um die Schultern legt und trotzdem wärmt. Oder das knöchellange schwarze Kleid mit eingewebten Dreiecken aus Goldlamé, das, an Heilig Abend getragen, fast den Weihnachtsbaum ersetzt.

An Silvester muss man beim Anblick des Trägerkleides aus silbrigem Seidenlurex denken, schön verpackt wie ein Knallbonbon kann sich die Trägerin darin fühlen. Die Designerin Lulú Poletti weiß, das braucht man alles nicht. „Aber macht es das Leben nicht lustiger, wenn man sich schön anzieht?“

Dafür muss man Mode aber erst einmal ernst nehmen. Lulú Poletti ist nicht nur Italienerin, sie kommt aus einer alten Mailänder Fabrikantenfamilie. Seit 1947 stellen die Polettis Mode her, erst Kappen und Hüte, ab den späten sechziger Jahren dann Hemden für Männer, und heute können sie alles.

Das schwarz-weiße Karo hat die italienische Designerin auf einem alten japanischen Holzschnitt entdeckt.
Das schwarz-weiße Karo hat die italienische Designerin auf einem alten japanischen Holzschnitt entdeckt.

© Simone Rivi

Gegründet vom Großvater Antonio, führt heute die dritte Generation die Geschäfte, Schwester Anna und Bruder Bruno von Mailand aus und Lulú eben in Berlin. Sie fertigen Kleidung, vor allem Hemden, für große Marken wie Armani, Etro und Alexander McQueen. Und seit einem Jahr zum ersten Mal auch für die eigene Linie Melampo. Obwohl Lulú Poletti erst Architektur studierte, war ihr Weg in die Mode vorgezeichnet. Ihre Kindheit verbrachten die Poletti-Kinder zwischen Nähmaschinen, sie spielten mit Garnrollen und Stoffresten. „Wir haben immer davon geträumt, unser eigenes Label zu gründen.“ Dafür ist es gut, alles zu können. In dieser Familie weiß jeder, wie man Nähmaschinien repariert, Seide plissiert und feine Spitze an die Schluppe einer Bluse näht.

„Wir mussten lernen, was uns von den anderen unterscheidet“, sagt Lulú Poletti. Das ist zu allererst die Qualität der Fertigung. „Bei uns gibt es nur sehr einfache Maschinien, das meiste machen wir mit der Hand.“

Vielleicht ist deshalb auch eines der aufwendigsten Stücke in ihrem Laden der Mittelpunkt bisher jeder Kollektion: Die zarte Seidenbluse mit weiten, in Falten gelegten Ärmeln und Schulterpasse. Unglaubliche drei Meter Stoff und viele Stunden Arbeit werden dafür gebraucht.

2009, kurz nach der großen Krise in der italienischen Modeindustrie, eröffnete ihr Vater Pierlugi in Indien eine Manufaktur, weit weg von den großen Städten. „Er wollte, dass Frauen in seiner Fabrik arbeiten, damit sie ihre Familie ernähren und selbstbestimmter leben können.“ Auch Lulú Poletti lebte zwei Jahre in Indien und lernte die Arbeiterinnen an, inzwischen sind es 350. Lulús nächste Station war Berlin.

Hierher kam die Fabrikantentochter nicht wegen der Mode. Sogar die Frage verwundert sie ein wenig. Schließlich hat sie in Mailand eine professionelle Infrastruktur, und die geht weit über die ihrer eigenen Familie hinaus. In Mailand zeigt sie ihre Marke auf Schauen, auf Messen und in Showrooms.

Sie stellt ihre Models vor die rauen Kulissen Berlins...
Sie stellt ihre Models vor die rauen Kulissen Berlins...

© Simone Rivi

Nach Berlin kam sie aus Liebe zu ihrem Mann, einem Franzosen, der nirgendwo anders leben möchte. Die beiden haben eine kleine Tochter, die mühelos zwischen Französisch, Italienisch und Deutsch wechselt. „Eine richtige Europäerin“, sagt Lulú Poletti stolz, „genau das, was wir jetzt brauchen.“

Dass sie zwischen Mailand und Berlin pendelt, empfindet sie für ihre Arbeit als Gewinn. Hier hat sie Ruhe, sitzt in ihrem Laden am runden Tisch aus Marmor auf zierlichen Stühlen und zeichnet ihre Entwürfe. Kontakte zu anderen Kreativen ergeben sich wie von selbst. Und langsam fängt Berlin an, auf sie abzufärben. In der Kollektion für den nächsten Frühling tauchen japanische Tatoos auf, die sie an einer Berlinerin entdeckte. Ihre Entwürfe sind nicht mehr so lieblich, einen Samtblouson mit Tigerstickerei kombiniert sie zu einem Chiffonkleid. Und noch etwas hat sich geändert: Sie denkt nicht mehr so viel darüber nach, was sie selbst trägt.

Das merkt auch ihre Mutter. Die macht sich Sorgen um die Frisur ihrer Tochter und ob sie auch um Himmelswillen zu einander passende Unterwäsche trägt. Was ist, wenn sie überraschend zum Arzt muss? Lulú Poletti hat dafür großes Verständnis, aber in Berlin ist das weit weg. Das Informelle hat für die Designerin auch Vorteile: „Es bringt mich den Bedürfnissen der Frauen näher, was sie wirklich tragen wollen.“

Melampo, Linienstr. 54 in Mitte.

- Infos: www.melampo.eu

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