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Mode - Stoffe, die mehr können: Wenn Jacken denken

In der Mode geht es nicht um neue Schnitte, das Innovative heute sind die Stoffe, die immer mehr können. Das geht junge Designer wie Phoebe Heess an, aber auch traditionelle Schafswollverarbeiter.

Dem Stoff gehört die Zukunft. Noch nie stand das Material in der Mode so im Mittelpunkt wie heute. Innovationen kommen vom Material – bei jungen Designerlabels genauso wie bei altehrwürdigen italienischen Stoffherstellern. Und bald kann sich vielleicht jeder seine Kleidungsstücke in 3-D selber ausdrucken.

Das Material soll heute einiges können: Smartphones aufladen, Notrufe verschicken, bei Bedarf wärmen und kühlen oder Blutdruck messen. Solche Produkte nennt man „Wearables“. Die junge Designerin Phoebe Heess hat eine Jacke entwickelt, die sich aufpumpt, wenn sich der Träger aufregt. Damit soll signalisiert werden: Pass auf!

Gerade sucht sie Unterstützer für ihr neuestes Projekt, ein T-Shirt, das schwärzer als schwarz ist. Wobei alle ihre Entwürfe schon jetzt schwarz sind. „Farben sind etwas für Leute, die nicht entwerfen können“, sagt die 30-Jährige, die in Berlin an der Modeschule Esmod studiert hat. Das ganz normale Schwarz reicht ihr nicht mehr.

Sie wandte sich an den belgischen Künstler Frederik de Wilde, der schon lange mit der US-Raumfahrtbehörde Nasa an Kohlenstoff-Nanoröhren arbeitet, die Licht absorbieren und nicht reflektieren. Aber die sind krebserregend – also nichts, was man auf der Haut tragen kann. Die Lösung fand sie bei einer Schlange, der Gaboon Viper. Die hat schwarze Flecken, die ähnliche Eigenschaften besitzen wie die Nanoröhren. Also entwickelte sie zusammen mit einem Schweizer Stoffhersteller auf dieser Grundlage einen Stoff, den sie „Viperblack“ nannte.

Einen schlichten „Schwärzer als- schwarz“-Entwurf – ein T-Shirt – stellt sie noch bis zum 23. November auf der Crowdfundingplattform „Kickstarter“ vor. Ihre Mode nennt Phoebe Heess „Hightech-Sportswear“. Für die verwendet sie immer wieder neue Materialien wie Kevlar und 3-D-Mesh bei einer Lederjacke oder Neopren für ein Wams.

Ihre Entwürfe passen perfekt zu der Bewegung „Health Goth“. Das sind nicht etwa Gruftis, die gesund leben, sondern es ist der erste Trend, der im Internet entstanden ist. Das sagt zumindest Gabriel Platt, der Phoebe Heess bei ihrer Arbeit unterstützt und sie auf „Health Goth“ aufmerksam machte. Unter dem Namen sammeln ein paar Jungs aus Portland auf einer Facebookseite Bilder mit Sportswear in Schwarz und einer Ästhetik, die über die von Funktionskleidung hinausgeht.

„Ich wusste, das wird groß“, sagt Gabriel Platt und gab Phoebe Heess den Anstoß, ihre Marke auszubauen. „Das Internet und die damit verbundenen technischen Möglichkeiten verändern die Mode. Die Leute werden ihre eigene Kleidung kreieren“, sagt Platt. Wie sie heute schon Musik selber machen. Allerdings ist es noch ein langer Weg, bis es möglich wird, sich sein Kleidungsstück in 3-D auszudrucken. Noch sehen viele technische Entwürfe aus wie einem Science- Fiction-Film entsprungen: verschlungene Formen, die sich aufplustern, transparent leuchten oder geschichtet sind.

Eine der wenigen bereits bekannten Hightech-Designerinnen ist Iris von Herpen. Die Niederländerin, die ihre Modelle in Paris auf den Prêt-à-porterSchauen zeigt, druckt Schuhe am 3-D-Drucker aus und lässt per Laser Kunststoffkleider schneiden. Für viele ist sie die Retterin der Mode. Die bekannteste aller Modejournalistinnen, Suzy Menkes, nannte van Herpen die Designerin mit der höchsten handwerklichen Zukunftsvision.

Aber auch traditionelle Stoffhersteller spüren die Veränderung und müssen sich weiterentwickeln. Seit 150 Jahren stellt das italienische Familienunternehmen Reda im Piemont Anzugstoffe aus Wolle her. „Wir haben Weltkriege und Seuchen überlebt, unsere Werte sind die gleichen geblieben: zu guten Preisen ein schönes Produkt herzustellen“, sagt Reda-Chef Ercole Botto Poala. 30 Meter pro Tag webten sie vor 150 Jahren, heute sind es 30 500 Meter. Gerade hat Botto Poala eine Fotoausstellung in Berlin eröffnet. Deutschland ist der wichtigste Absatzmarkt und Hugo Boss der größte Auftraggeber von Reda.

Auch Ercole Botto Poala merkt, dass Stoffe in der Mode immer wichtiger werden. Heute wird Kleidung anders beansprucht: „Geschäftsleute fahren in Anzügen Fahrrad. Also müssen Stoffe heute viel mehr können, sie müssen elastisch sein, Bewegungen mitmachen, regenfest und haltbar sein“, sagt Botto Poala.

Noch vor einigen Jahren wäre es völlig unsinnig gewesen, dass sich Reda an den Endverbraucher richtet. Schließlich sind die Modefirmen ihre Kunden. Aber durchs Internet hat sich alles geändert. Reda hat jetzt sogar einen Onlineshop, jeder kann dort Stoff kaufen. „Als ich damit anfing, wurde ich angeschaut wie ein Verrückter“, sagt Ercole Botto Poala.

Heute hat der Konsument die Macht. Bevor es das Internet gab, war das anders. „Wie solltest du vor 15 Jahren verstehen, wer Reda ist? Aber heute schaust du dir die Website an und kannst alles über uns erfahren.“ Zum Beispiel die Sache mit den Schafen. Die Italiener besitzen 30 000 Schafe in Neuseeland. „Ich kann genau erzählen, von welcher Farm die Wolle kommt.“ Gern würde er auch noch die Geschichte jedes einzelnen Schafs erzählen. Aber dafür sind es einfach zu viele.

- Die Reda-Ausstellung, bis 21.11., Galerie Salon Dahlmann, Marburger Str. 3, Berlin-Charlottenburg. Infos zu Phoebe Heess: www.phoebeheess.com

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