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Mode und Corona: Rückzug ins Virtuelle

Die Coronakrise trifft die Modebranche in einer Zeit, in der sie sich mitten im digitalen Wandel befindet. Und durch puren Zufall zeigen sich Promis seit einiger Zeit im Sweatsuit, dem passenden Outfit zur Krise.

Wie sinnig, dass ausgerechnet ein Sweatshirt mit passender Jogginghose, prädestiniert zum Drinnenbleiben, in den sozialen Medien seit Monaten so beliebt ist. Und natürlich sieht das Ganze über die Maßen instagramable aus, wenn Jessica Alba, Justin Bieber und Gigi Hadid in pastellfarbenen, gern flauschigen Anzügen aus Jersey im Internet herumturnen.

Dass Marken wie Gucci und Lululemon darauf einsteigen, zeigt, dass die Träger keineswegs Angst haben müssen, ihr Leben aufzugeben, wie es sinngemäß einst Karl Lagerfeld verlauten ließ. Desseen Spruch „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“ ist zu einer Bemerkung für Besserwisser verkommen und für alle, die nicht wissen, wie man in einer Jogginghose auch jenseits der Couch gut aussehen kann.

In Zeiten reduzierter Möglichkeiten, das Haus zu verlassen, macht man es sich gezwungenermaßen bequem, und ein Sweatsuit lässt sich ganz einfach online bestellen. In diesem Zweiteiler kommt zusammen, was in der Mode mehr und mehr auseinanderfällt: die Pose für das Bild und das wirkliche Leben. Denn der Anzug passt fast immer und ist im Alltag einfach zu tragen. Auch für die Hersteller ist er dankbar: Er lässt sich leicht herstellen, und die Übereinstimmung zwischen Bild und Produkt ist groß .

Mode findet heute zu großen Teilen online statt. Alles begann vor gut 15 Jahren, noch vor der Gründung von Instagram, mit den Streetstyle-Blogs. Ganz unschuldig wurden Menschen fotografiert, die zufällig über die Straße liefen und gut angezogen waren. Das ist jetzt genau andersherum.

Heute tragen Menschen bestimmte Kleidung, um fotografiert zu werden, am besten von sich selbst oder einem persönlichen Assistenten. Bei Modenschauen sind die Bilder vom Drumherum inzwischen genauso wichtig wie die Entwürfe selbst. Im Zweifelsfall bekommt eine Marke damit sogar mehr Reichweite. Deshalb wird bei Modenschauen auch ein Großteil der Gäste mit Kleidung der Marke ausstaffiert. Das war zum Beispiel Ende Februar bei der Schau von Dior am allgegenwärtigen Schriftzug auf Kleidern, Taschen und Sonnenbrillen mehr als augenfällig.

Die Inszenierung für das Bild in 2-D ist also fast wichtiger geworden als die im richtigen Leben. Alltagskleidung ist heute eher bequem als individuell oder gar auffällig und lässt sich einfach tragen. Die meisten besitzen Kleidung, in der sich sie in Szene setzen können, tragen sie aber selten.

Längst werden mehr Lookbooks digital verschickt als auf Papier

Das macht sich die Modeindustrie längst zunutze. Nicht nur Avatare in Computerspielen kleidet die französische Luxusmarke Louis Vuitton ein, auch sonst ist die Mode im Internet omnipräsent. Nirgendwo wächst der Onlinehandel so stark wie bei Bekleidung. Längst werden mehr Lookbooks digital verschickt als auf Papier. Gute und schnelle Bilder sind heute für ein Label von Anfang an überlebenswichtig, um in den sozialen Medien präsent zu sein und Likes zu bekommen.

Was das Livestreamen angeht, können viele Branchen jetzt eine Menge von der Mode lernen. Die Marken laden ihre Fans schon lange zu digital gesendeten Modenschauen ein, um ihre Reichweiten zu steigern. So können sie jetzt schnell auf Krisen reagieren. Giorgio Armani war allerdings der einzige Modedesigner, der ganz auf das analoge Publikum verzichtete und seine Schau in Mailand am letzten Tag der dortigen Fashion Week Ende Februar vor leeren Rängen abhielt und seinen Gäste einen Livestream bot. Er selbst ließ sich vor Ort publikumswirksam mit einer Schutzmaske fotografieren.

Die Masken waren auch ein bestimmendes Accessoire während der Pariser Schauen eine Woche später – allerdings nur bei den Gästen. Was, wie beim belgischen Designer Dries van Noten, ein bizarres Bild ergab: Die Models trugen schöne Kleider, die Zuschauer in der ersten Reihe weiße Masken.

Die Präsentationen für die Urlaubskollektionen finden inzwischen überall auf der Welt statt, um neue Märkte zu erobern. Jetzt haben erst einmal die meisten Modehäuser ihre Schauen für die Zwischensaison im Mai abgesagt – Max Mara in St. Petersburg, Gucci in San Francisco und Prada in Japan.

Dass die Mode so viel globaler geworden ist, beschäftigt jetzt auch den deutschen Einzelhandel. Die Fachzeitschrift Textilwirtschaft berichtet laufend, ob und wann mit Engpässen bei Lieferungen aus China zu rechnen sei. Die Container, die jetzt mit dem Schiff in Europa ankommen, wurden noch vor dem Ausbruch des Virus losgeschickt. Dass weniger Ware in Deutschland ankommt, wird sich erst in den nächsten Monaten bemerkbar machen, wenn hier vermutlich das Schlimmste überstanden ist.

Dass die Lager vielleicht nicht rechtzeitig gefüllt werden, könnte bald das geringste Problem der Modehändler werden. In Italien sind jetzt schon alle Geschäfte geschlossen, die die Menschen nicht mit dem Allernötigsten versorgen.

Dass Bekleidung nicht dazugehört und wir im Gegenteil sehr lange ohne etwas Neues auskommen können, ist wahrscheinlich theoretisch jedem klar. Bei den meisten kommt trotzdem immer wieder das Bedürfnis auf, sich etwas zu kaufen. Die Coronakrise wird hier wahrscheinlich nicht zu einem Umdenken führen, sondern einfach dazu, dass sich die Menschen in Quarantäne noch mehr Pakete nach Hause schicken lassen.

Das ändert nichts daran, dass diese Krise die Mode hart treffen wird, da kann sie online noch so gut aufgestellt sein. Denn Mode ist und bleibt ein Kommunikationsmittel, das in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend dafür benutzt wurde, uns weiszumachen, dass ein neues Kleidungsstück hilft, eine bessere Version seiner selbst zu werden. Da könnte der Sweatsuit zu einem Pausenknopf für all diejenigen werden, die zu Hause bleiben müssen und nicht ganz auf Selbstinszenierung verzichten wollen.

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