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Mode und Coronakrise: Zurück in in die Zukunft

Viel zu viel Ware in viel zu kurzem Takt. Warum mit der Coronakirse eine neue Zeitrechnung in der Mode beginnen könnte.

Die Mode ist aus dem Takt gekommen. In den vergangenen dreißig Jahren hat sie immer mehr Fahrt aufgenommen. Von zwei Saisons, passend zu den Jahreszeiten, hatte sich die Textilindustrie längst verabschiedet. Immer schneller wechselten die Kollektionen, bis sich die Mode schließlich selbst zu überholen schien. Wer versteht schon noch, welche Saison gerade auf den unendlich vielen Modenschauen überall auf der Welt gezeigt wird und wann diese Kleider für welche Jahreszeit ausgeliefert werden.

Dabei ist das eigentlich vollkommen egal geworden. Einige Modeketten beliefern ihre Filialen mittlerweile wöchentlich mit neuer Kleidung, viele große Marken haben sich längst auf einen monatlichen Rhythmus eingepegelt. Das Ergebnis der Eile ist ein ungenaues Bild, die Mode sieht allzu oft aus wie Einheitsbrei. Das hat dazu geführt, dass der Stellenwert von Bekleidung abnimmt. Die Freiheit, sich anzuziehen, wie man will, überfordert alle – oder noch schlimmer, sie macht gleichgültig.

Die Sucht, immer Neues auf den Markt zu bringen, hat schließlich Fast Fashion geboren und einige Menschen sehr, sehr reich gemacht. Stefan Persson von H&M ist der reichste Schwede, sein Pendant in Dänemark ist Holch Povlsen, Chef der Besteller-Group (Vero Moda, Only, Jack & Jones), die in der vergangenen Woche 750 Mitarbeiter wegen der Coronakrise entließ, sowie der Spanier Amancio Ortega von Inditex (Zara, Massimo Dutti und andere) ist sogar der reichste Mann in Europa. Nur wer immer mehr verkauft, kann auch immer mehr verdienen.

Und jetzt steht plötzlich alles still. Schon nach wenigen Wochen weiß keiner, wie das jemals aufzuholen sein soll, Ratlosigkeit und Panik wechseln sich ab. Die Umsätze in der Luxusbranche brachen in den ersten drei Monaten des Jahres um 30 Prozent ein.

Dass die Modefirmen den Stillstand nicht aushalten, zeigt sich jetzt allzu deutlich. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass ein Modeunternehmen, ob Hersteller oder Einzelhändler, Insolvenz anmelden muss. Über die Warenhauskette Galeria Kaufhof und die Marke Esprit wurde ein Schutzschirm gespannt, um ein Insolvenzverfahren zu vermeiden, dreißig große deutsche Textilhersteller wie S.Oliver, Marc O'Polo und Brax fordern von der Bundesregierung einen Liquiditätsfond von 850 Millionen Euro, um die deutsche Modeindustrie zu retten.

Homeoffice. Leyla Piedayesh.
Homeoffice. Leyla Piedayesh.

© promo

„Es gibt viel zu viel Zeug für viel zu wenig Kunden. Da muss es eine Konsolidierung geben“, sagte der Modeanalyst Steve Dennis dem Fachmagazin „Business of Fashion“. Er spricht damit eines der grundsätzlichen Probleme an. Schon seit einiger Zeit zeigt es sich an übervollen Lagern, jetzt kommt die Frage dazu, was mit all den Sachen passieren soll, wenn die Geschäfte wieder öffnen. „Wäre es nicht total verrückt, wenn man im Sommer Sommerkleider verkaufen würde?“, fragt ein Designer im Gespräch über seine jetzige Situation und muss lachen. Er will nicht genannt werden, weil er diese Aussage zu absurd findet.

Eine ganze Saison ist verloren, dabei hat der Frühling noch gar nicht begonnen. Niemand braucht jetzt schon leichte Kleidchen und Sandalen. Aber die Modebranche hat solche Angst vor der Zeit danach, dass einige Unternehmen froh wären, wenn es wieder wie früher ein Gesetz gäbe, das den Schlussverkauf vor Juli verbietet. Die Befürchtung ist groß, dass sonst viele Modefirmen sofort nach der Öffnung der Geschäfte mit der Rabattschlacht beginnen. Es kommt ja immer noch Ware in den geschlossenen Läden an, und auch die nächste Saison rückt schon wieder näher.

Leyla Piedayesh findet: "Jetzt ist die richtige Zeit, um sich von Fast Fashion zu verabschieden"

Normalerweise sollten im Juni bereits die ersten Kleidungsstücke für das nächste Frühjahr geordert werden. Aber in Paris und Mailand wurden jetzt die Haute-Couture- und die Männermodenschauen abgesagt, die Pitti in Florenz, wichtigste Messe für Männermode, wurde auf September verschoben. Es scheint, als würde sich gerade unter Zwang der Rhythmus zurechtruckeln.

Auch Leyla Piedayesh, Chefin des Labels Lala Berlin, hat jetzt eine Zwischenkollektion gekippt, die im Herbst in die Läden kommen sollte. In den letzten drei Jahren hat sie ihre Kollektionen verkleinert, im Moment geht es darum, die Prozesse weiter zu reduzieren und zu verfeinern.

„Jetzt ist die richtige Zeit, um sich von Fast Fashion zu verabschieden und ein Bewusstsein für Qualität zu entwickeln“, sagt sie. Auch sie ist dafür, dass sich die Mode entschleunigt: „Die Zeiten sind vorbei, als man jemanden danach beurteilt hat, ob er etwas aus der letzten Saison trägt.“ Gerade verkauft sie die schönsten Stücke aus alten Kollektionen auf ihrer Website.

„Wir wünschen uns alle, dass das gelernte System hinterfragt wird“, sagt Scott Lipinski. Er leitet das Fashion Council Germany, eine Interessenvereinigung der deutschen Mode. Zu den Mitgliedern gehören Solounternehmer genauso wie Closed oder Bogner. Lipinski und sein Team haben eine Bedarfsstudie erstellt, die an die Politik übergeben wurde: „Die Grundstimmung ist: Wir müssen es irgendwie schaffen. Dafür braucht es neue Tools, nicht nur technische, sondern auch soziale.“

Dazu sollte gehören, sich über die Entschleunigung der Mode Gedanken zu machen. Vielleicht könnte es dann passieren, dass wir im nächsten Jahr, wenn sich die Räder wieder drehen, die Kleider kaufen, die für dieses Jahr gedacht waren. Wetten, keiner merkt’s?

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