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Wenn Essen auf die Faust nur immer so schön wäre.

© Kelsey McClellen, Styling: Michelle Maguiere

Modefotografie: Leckerbissen

Das Foto eines Schinkenbrötchens neben einem rosafarbenen Anzug machten die Fotografin Kelsey McClellen und die Stylistin Michelle Maguiere schlagartig bekannt.

Auf den ersten Blick würde man nicht denken, dass diese Bilder einen politischen Hintergrund haben. Doch sie sind vor zwei Jahren entstanden, als Donald Trump gerade zum amerikanischen Präsidenten gewählt worden war. Die Fotografin Kelsey McClellen war über die Weihnachtsfeiertage in ihre alte Heimat Columbus, Ohio, gefahren und traf sich dort mit ihrer Freundin, der Stylistin Michelle Maguiere. „Wir wollten diesem ganzen Trump-Irrsinn etwas entgegensetzen. Das mitzuerleben, kann einen als kreativen Menschen depressiv machen. Da mussten wir etwas tun, das uns glücklich macht“, sagt Maguiere. Sie bekämpften ihren Frust mit vielen Farben und Essen.

So entstanden die „Wardrobe Snacks“, eine Fotoserie, die überhaupt nicht nach einem Aufheiterungsversuch zwischen den Feiertagen aussieht, sondern nach wohlüberlegter Arbeit. Zu sehen sind verschiedene Outfits und farblich dazu passendes Essen: die rosafarbene Hose, die zart mit dem gekochten Schinken im Sesambrötchen harmoniert; das angebissene Eis mit bunten Streuseln vor knallblauem Himmel in der Hand einer Lady in geblümter Bluse fotografiert; die Auster, zum Schlürfen bereit, vor einem grau melierten Flanelljackett.

„Uns hat immer schon gefallen, wenn man nur einen Teil des Körpers in einer alltäglichen Situation sieht. Wenn jemand auf einer Bank sitzt, oder an einer Bushaltestelle steht. Wir haben diese alltäglichen Situationen neu interpretiert“, sagt Michelle Maguiere.

Das Eis passend zur Mode.
Das Eis passend zur Mode.

© Kelsey McClellen, Styling: Michelle Maguiere

Die beiden stellten die Fotos auf Instagram, und ihr Account explodierte förmlich. Seitdem sind sie gut im Geschäft, als Duo „Terrence Caviar“ arbeiten sie für den „New Yorker“, für Apple, für die Schuhmarke Converse und zuletzt für das Berliner Einkaufszentrum Bikini am Zoo.

Mode und Essen in einem Bild, das passt gut zum Bikini. Die Einkaufspassage hat sich, neben den Modeläden, in den vergangenen Jahren immer mehr auf Essen kapriziert. Wo früher Kleidung verkauft wurde, gibt es heute „Kantini“, die sich vom Angebot der Fressmeilen in den meisten Einkaufszentren deutlich unterscheiden: Keine großen Fast-Food-Ketten, dafür 14 Stände mit internationalen Gerichten.

Michelle Maguiere und Kelsey McClellen ließen sich von der dominanten Farbe im Kantini inspirieren: Gelb wie Pommes Frites. „Was wir fotografieren wollten, haben wir im Einkaufszentrum gefunden. Wir haben hier ein Paar Socken gegriffen, hier ein Hemd. Hat Spaß gemacht, sich einfach zu bedienen“, sagt Kelsey McClellen.

Wie sie Essen fotografieren, hat viel mit ihren Familien zu tun. Die von Kelsey McClellen hat italienische Wurzeln, die immer dann ganz deutlich zu spüren sind, wenn die Familie zum Essen zusammenkommt: „Sie sind sehr laut und essen große Mengen Pasta und Salami.“ Michelle Maguiere hat als Kind genau beobachtet, wie ihr Stiefvater beim Fernsehen seine belegten Brote auf seinem Oberschenkel balancierte, statt einen Teller zu benutzen. Und Kelsey McClellen hat ihrem Großvater immer gespannt dabei zugeschaut, wie er nach jedem Familienessen aus den Resten den schiefen Turm von Pisa nachbaute. Einer sah so aus: unten ein Salzstreuer, darauf ein Wasserglas, bedeckt von einem Brötchen, dann eine Serviette und obendrauf eine Scheibe Salami.

Solche Lebensmitteltürme baute schon der Großvater von Kelsey McClellen.
Solche Lebensmitteltürme baute schon der Großvater von Kelsey McClellen.

© Kelsey McClellan

Aus dieser Erinnerung haben die Freundinnen im vergangenen Jahr die Fotoserie „Towers“ gemacht, Bilder mit zu Türmen gestapelten Lebensmitteln. Wenn sie darüber nachdenken, ist ihnen Essen sogar wichtiger als Mode. Immerhin haben sie sich kennengelernt, als sie zusammen ein Buch über Eiscreme gestalten sollten. „Aber am besten ist es, wenn man alles miteinander kombiniert. Mode, eine Person, die Umgebung. Essen ist ja immer da“, sagt McClellen.

Es können aber auch Autos sein, für die Fotoserie „Forget 10 & 2“ baten sie Autofahrer in ihrer Heimatstadt Columbus, ihnen ihr Auto für kurze Zeit zu überlassen, und fotografierten am Steuer sitzende Models durch das geöffnete Autofenster. Auf den Bildern sieht man nur Ausschnitte; eine Hand, die lässig eine Zigarette aus dem Fenster hält, einen Männerarm in blauem Satinblouson auf einen Fensterrahmen. Die Fotos von McClellen und Maguiere sind deshalb so charmant, weil sie nicht glatt retuschiert sind. Die Krümel auf der Hose, die Schlieren auf der Kühlerhaube und der Vogelschiss auf dem Autolack sind gut sichtbar und werden Teil der Inszenierung.

Ein bisschen Bedenken haben McClellen und Maguiere, in ihrer Arbeit auf die Kombination von Mode und Essen reduziert zu werden. Dagegen spricht ihre große Neugier für Farben und Formen jeglicher Art. In Berlin haben sie ein paar tolle Geschäfte mit Perserteppichen entdeckt. die wären die ideale Fototapete für ihr nächstes Projekt. Jetzt überlegen sie, wie sie die Dinger nach Ohio bekommen.

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