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Der Wahlpariser Lutz Huelle zeigte seine Kollektion in einer Kirche.

© Bertrand Guay/ AFP

Paris Fashion Week: Schwarz- Rot- Gold in Paris

Viele deutsche Designer, die während der Modewoche zeigen, haben eine treue internationale Fangemeinde. In ihrer Heimat sind sie dagegen wenig bekannt. Anders als das Berliner Label „Wunderkind“, das einen Neustart ohne Wolfgang Joop versucht.

Aus „Wunderkind“ werden viele Wunderkinder! Wenn das mal nicht die Topmeldung von der Pariser Modewoche ist. Monate hatte es um das Label „Wunderkind“ rumort, nachdem Wolfgang Joop es verlassen und mit „Looks“ längst eine neue Modemarke in der Mache hatte.

Geschäftsführer Peter Kappler war 2015 gekommen, um „Wunderkind“ auf Wirtschaftlichkeit zu trimmen. Das hatte in alter Konstellation nicht funktioniert. Vergangenes Jahr übernahm er das Label komplett. Während der kürzlich beendeten Prêt-à-porter-Schauen in Paris enthüllte Kappler sein Konzept: Ein anonymes, interdisziplinäres Designteam hat die Marke neu erfunden. Zum Konzept scheint es zu gehören, dass Bilder über den eigenen Instagramaccount hinaus nicht gezeigt werden. Dazu passt, dass die Wiedergeburt in Paris erst mal mit einer – typisch Berlin! – Party beglaubigt wurde. Die Kollektion war zwei Tage später in einem Showroom im Künstlerviertel Marais zu sehen.

Wunderkind zeigte seine neue Kollektion während der Paris Fashion Week.
Wunderkind zeigte seine neue Kollektion in einem Showroom während der Paris Fashion Week.

© Celina Plag

Überraschung: Hier ist nichts mehr wie früher. Der verspielte, bisweilen launische Muster- und Materialmix von Joop ist einer fließenden Schnittführung in Pastellfarben gewichen. Da hängt zum Beispiel ein taubenblauer Hosenanzug mit verdeckter Knopfleiste oder ein feiner Ledermantel in Weiß oder Flieder. Die Marke ist ohne ihren Gründer erwachsen geworden, Mode nach Vorbild einer neuen kosmopoliten Berlinerin, die Trends nur in Maßen genießt. Ein fotorealistisches Wolkenmuster erzählt sogar von Heimat: Es ist der Himmel über Berlin.

Mit dem Himmel beschäftigten sich einige deutsche Designer in Paris. Oder eher mit der Hölle? Der Wahlpariser Lutz Huelle zeigte seine Kollektion jedenfalls in einer Kirche. Die Gemeinde der American Cathedral heißt auf ihrer Website alle Menschen willkommen: „schwul und hetero und ein Mix der Völker und Nationen“. Ein Glaubensbekenntnis ganz nach Huelles Geschmack, denn er entwirft Mode nicht für Betschwestern, sondern für weltoffene Karrierefrauen.

In dieser Saison hat er an seinen geliebten Streetwear-Klassikern so lange gedreht, bis aus ihnen Hybride wurden. Einen Strickpullover verwandelt er mithilfe eines goldglänzenden Steppmaterials in einen Mantel. Auch seinen Bestseller, die vor Subkultur strotzende Bomberjacke, hat Huelle dekonstruiert. Sie ist jetzt wahlweise ein überlappender, asymmetrischer Blouson oder ein Parka. Hinter der Veränderung steckt auch ein Zwang: So ein Basic verkauft man nur einmal, wenn es nicht zu etwas Neuem wird.

Lutz Huelle ist einer der deutschen Designer, die schon lange während der Prêt-à-porter-Woche ihre Entwürfe präsentieren.
Lutz Huelle ist einer der deutschen Designer, die schon lange während der Prêt-à-porter-Woche ihre Entwürfe präsentieren.

© Bertrand Guay/ AFP

Huelle ist wie seine Kollegin Marie-Christine Statz in Deutschland wenig bekannt. Die treue internationale Fangemeinde stört das wenig. Auch Statz arbeitet in der französischen Hauptstadt recht erfolgreich daran, ihr Label „Gauchère Paris“ größer zu machen. Hauptsache, in Paris zeigen – das ist der Wunsch vieler deutscher Labels.

Insofern ist es eine erfreuliche Entwicklung, dass sich junge Talente aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in dieser Saison zu Team „Dach“ mit einem gemeinsamen Showroom für geballte Aufmerksamkeit zusammengeschlossen haben. Gemeinsam ist man halt weniger allein in einem Raum voller Kleider, wenn dann doch länger kein internationaler Einkäufer vorbeikommt.

Wobei: Mit seinen großen Schaufenstern, den einladend hell getünchten Wänden und der guten Lage im Herzen des Marais ist auch der neue Standort vorteilhaft. Und es sind ein paar neue Gesichter dabei. Die Berliner Designerin Friederike Haller etwa ist mit einer Kollektion in Orange, Grün und Blau angereist, zu deren Highlights weiche Mäntel zählen, einige davon raffiniert seitlich geknotet. Orange ist eine Farbe, die Haller eigentlich hasst. In diesem Fall hatte sie sich ausnahmsweise in den Ton verliebt.

Die Liebe und sogar Glaube, Liebe und Hoffnung, um in der Thematik der Saison zu bleiben, war auch das Motto bei der Münchner Marke „Talbot Runhof“, die ihre Kollektion dieses Mal im Lesesaal des Gymnasium Henri IV. präsentierte. Dafür haben Johnny Talbot und Adrian Runhof Elemente der deutschen Tracht subtil in ihre Anlassmode fließen lassen. Im Ergebnis sind Gott sei Dank keine Dirndl herausgekommen, sondern mal ein abstraktes Berglandschaftsmuster oder ein spezieller Rüschenbesatz zu ansonsten wie immer glamourösen Kleidern.

Das Label „Ottolinger“ zeigte in Pariser Schaufenstern seine Mode, bis die Polizei kam.
Das Label „Ottolinger“ zeigte in Pariser Schaufenstern seine Mode, bis die Polizei kam.

© promo

Eine Standpauke gab es für das in Berlin ansässige Schweizer Label „Ottolinger“ von Cosima Gadient und Christa Bösch. Die hatten für ihre Präsentation drei Ladenflächen angemietet, in deren Schaufenstern sich die Models in für „Ottolinger“ typisch heißen Modelumpen lümmelten. Die Leidenschaft für Materialbearbeitung äußerte sich in gebatikten und zerrissenen Stoffen. Ihr Dauerbrenner – angekokelte Stellen an Blusen und Säumen – fehlte auch nicht. Genau wie prollige Felljacken und Strasskettchen.

Nur blöd, dass eines der Fenster auf der anderen Straßenseite lag und die Modemeute durch das ständige Seitenwechseln die Fahrbahn blockierte. Die Polizei, die auf Fahrrädern anrückte, witterte eine Demonstration. Die geladenen Gäste wiederum dachten angesichts der knackig sitzenden französischen Uniformen eher an einen weiteren Akt in „Ottolingers“ Drehbuch und besetzten weiterhin die Straße. Es war beinahe ein politischer Moment. Und das ist für eine Modewoche natürlich fast schon ein Geschenk des Himmels.

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