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Naomi Ryland und Lisa Jaspers haben ein Buch geschrieben.

© promo

Gesellschaft: Shoppen oder Glücklichsein

Lisa Jaspers und Naomi Ryland befragten Frauen, wie sie die Arbeitswelt verändern. Daraus ist ein Buch entstanden, das nicht weniger als eine Revolution fordert

Lisa Jaspers und Naomi Ryland haben ein Buch über Unternehmerinnen geschrieben, die vieles anders machen. Das taten sie, weil sie selbst Unternehmen führen und es besser machen wollen. Zum Interview treffen wir uns bei Folkdays, dem Geschäft von Lisa Jaspers in Kreuzberg. Seit 2013 verkauft sie dort Kleidung, Schmuck und Textilien, die von Fairtrade-Unternehmen in Ländern wie Indien, Bangladesch, Peru und Tansania für sie produziert werden. In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat Jaspers mit der Initiative #fairbylaw geholfen, das Lieferkettengesetz durchzusetzen. Auch davon handelt ihr Buch: Nur wenn gewährleistet ist, dass die Menschen, die unsere Kleidung herstellen, menschenwürdig arbeiten können, können wir das hier auch.

Was hat Sie zu Ihrem Buch motiviert?

Naomi Ryland: Wir haben gemerkt, dass es uns schwerfiel, Dinge anders zu machen. Uns fehlten Rollenvorbilder. Viele Tipps, die wir von Leuten bekamen, haben sich nicht richtig angefühlt.

Im Buch geht es darum, das ganze System vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Lisa Jaspers: Wir wollen das System aufbrechen und einen neuen Diskurs starten, anstatt zu sagen: Augen zu und durch. Wir wollten einen neuen Weg probieren. Das hat mich auch sehr stark bei #fairbylaw interessiert, der Initiative zum Lieferkettengesetz. Wir denken am falschen Ende über Lösungen nach.

Sie haben bewusst nach Frauen gesucht, die Unternehmen führen. Braucht es feminine Herangehensweisen?

Ryland: Alle haben maskuline Anteile in sich, in der Geschäftswelt waren die bisher mehr gefragt. Das nennen wir im Buch Alpha-Verhalten, wenn es sehr aggressiv ist und um Konkurrenz geht. Wir zeigen, dass es unterschiedliche Arten gibt, zu wirtschaften.

Jaspers: Ich glaube, dass es für viele Männer einfacher ist, in diesem System zu funktionieren. Nämlich für diejenigen, die keine Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Aber aus der Erfahrung, nicht gleichbehandelt zu werden, kann auch Stärke entstehen. Frauen waren für uns so spannend, weil wir da eine große Bereitschaft gesehen haben, Dinge anders zu denken.

Wie sieht das genau aus?

Jaspers: Man muss grundsätzlich hinterfragen: Was ist Leistung, was Erfolg? Was sind Stärken in der heutigen Welt, was sind Schwächen? Welche Emotionen gibt es? Das ist anstrengend, aber auch befruchtend, weil man eine Schale nach der anderen abschält wie bei einer Zwiebel, bis man merkt, dass sich da drunter etwas gut anfühlt. An diesen Ort will man.

Es reicht also nicht, Unternehmenskultur in einem Papier festzuhalten?

Ryland: Wir haben das nur mithilfe von Coaching, Therapie und ständigem Austausch geschafft. Das ist teilweise ein schmerzhafter Prozess. Als Gründerin hat man normalerweise eine gesunde Portion Selbstbewusstsein, das geht manchmal in Ego über. Das muss man erst einmal komplett hinterfragen.

Wenn es nach Ihnen geht, sollte man das private und das berufliche Ich nicht voneinander trennen.

Jaspers: Das ist der Teil der Revolution, der unsexy ist. Das ist echt harte Arbeit als Führungskraft. Die aber ein tolles Ziel hat, weil man danach sein Leben viel lieber mag. Was ist die Alternative? Dass wir uns ein Leben lang quälen? In einem Job, den wir nicht mögen, um in unserer Freizeit ohne Ende zu shoppen, damit wir uns ein bisschen besser fühlen?

Sie setzen sich sehr für Nachhaltigkeit ein.

Jaspers: Wenn man mich zu Tipps nach mehr Nachhaltigkeit fragt, sage ich: Lies unser Buch. Der einzig wirklich wichtige Tipp ist, sich zu fragen: Wie geht es mir? Als ich Beraterin bei Roland Berger war, ging ich samstags immer shoppen. Jetzt kaufe ich fast gar nichts mehr.

Im Moment wird in Unternehmen sehr viel über Nachhaltigkeit diskutiert.

Ryland: Man muss als Unternehmer nicht Millionen spenden, um die Welt zu verbessern. Man kann einfach anders mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgehen. Viele denken, sie müssen bei der Arbeit einen Teil ihrer Menschlichkeit ausschalten. Das hat Auswirkungen bis hin zu den Menschen, die für sehr wenig Geld Klamotten herstellen, die man dann auf der Arbeit trägt.

Bei Folkdays arbeiten Sie mit kleinen Firmen in Asien, Afrika und Südamerika zusammen. Wie sieht das aus?

Jaspers: Kommerzielle Geschäftsbeziehungen waren für mich die einzige Möglichkeit, auf Augenhöhe mit diesen Ländern zusammenzuarbeiten. Da begegnen sich zwei Unternehmer, nicht ein Geber und ein Nehmer. Ich suche mir Unternehmer, die ihre Privilegien nutzen wollen, um andere Menschen in ihrem Land zu ermächtigen. Reich wirst du in Kambodscha oder Indien nicht, wenn du ein Fairtrade-Unternehmen aufmachst und mit Kunsthandwerkern zusammenarbeitest.

Die Kimonos aus Seide kommen aus Kambodscha. Lisa Jaspers verkauft sie in ihrem Geschäft Folkdays in der Kreuzberger Manteuffelstraße.
Die Kimonos aus Seide kommen aus Kambodscha. Lisa Jaspers verkauft sie in ihrem Geschäft Folkdays in der Kreuzberger Manteuffelstraße.

© Frauke Oedekoven

Müssen die Veränderungen aus der Wirtschaft kommen oder auch aus der Politik?

Ryland: Aus allen Richtungen. Die meisten Leute haben ein Gefühl dafür, was ihre Werte sind, aber beim Einkaufen sind sie oft ausgeschaltet und bei der Arbeit häufig auch. Politiker haben immer eine gute Ausrede, warum sie gegen ihre Werte handeln. Aber die heutige Wirtschaft ist ja nicht alternativlos.

Jaspers: Es gibt zwei Phänomene, die Unternehmen zwingen werden, sich zu verändern. Das eine sind junge Menschen, die keinen Bock haben, sich in einem System versklaven zu lassen, das andere ist der technologische Fortschritt. Vivienne Ming, die wir für unser Buch interviewt haben, sagt: Wenn die Standardaufgaben über Maschinen abgedeckt werden, wird es bei der Arbeit nur noch darum gehen, sie in ihrer Unterschiedlichkeit zu bestärken. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre eine Möglichkeit, wie sich das System komplett ändern könnte und nicht die Leidtragenden durch technologischen Fortschritt aussortiert werden. Regierungen müssen sich entscheiden, ob sie diesen Weg oder den der politischen Instabilität gehen.

Naomi Ryland, Lisa Jaspers: „Starting a Revolution. Was wir von Unternehmerinnen über die Zukunft lernen können“. Econ Verlag, 18 Euro.

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