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Die Sängerin Adele ließ sich im Mai 2020 für ihren Instagram-Account fotografieren.

© picture alliance / Photoshot

Über neue Schönheitsideale: Fetisch Schönheit

Auch Body Positivity ist Schönheitstyrannei. Vielleicht wird es Zeit, dass wir uns mit anderen Dingen beschäftigen.

In den sozialen Netzwerken sehen wir in letzter Zeit vermehrt Bilder von Körpern, die nicht dem allgemeinen Schönheitsideal entsprechen. Vorgeführt werden Krähenfüße, Speckrollen, hängende Brüste und Dehnungsstreifen. Das ist gut. Wir können in Zeiten des Optimierungswahns nicht oft genug daran erinnert werden, wie die meisten Frauen nun einmal aussehen. Was mich allerdings irritiert, sind die trotzigen Behauptungen, die unter diesen Bildern stehen: Jede Frau, egal wie sie aussieht, sooo beautiful!

Ich habe es versucht, aber ich kann das so nicht sehen. Ich komme mir dabei vor wie im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, wo niemand, der den nackten Kaiser sieht, zugeben darf, was er sieht, sondern alle eifrig versichern, wie schön seine Kleider sind. In meinen Augen ist Schönheit ein extrem seltenes Phänomen, von ungerechten Göttern ziemlich wahllos verteilt. Die fiesesten Menschen sind manchmal wunderschön, während die liebenswürdigsten es nicht sind. Und – auch das ist ziemlich ungerecht – besonders schön anzuschauen sind eben doch junge Menschen. Warum müssen wir das leugnen? Schließlich ist Schönheit weder etwas, das uns zusteht, noch ein Verdienst. Und aus der Perspektive der Glücksforschung ist eine deutliche Warnung angebracht: Etwas hinterherzujagen, das wahllos verteilt und außerdem flüchtig ist, macht definitiv unglücklich.

So sah die Sängerin Adele 2013 bei den Grammy Awards in Los Angeles aus.
So sah die Sängerin Adele 2013 bei den Grammy Awards in Los Angeles aus.

© picture alliance / dpa

Vielleicht liegt hier ja auch nur ein Missverständnis vor. Vielleicht möchten Frauen, die einander attestieren, wie schön sie sind, in Wirklichkeit sagen, dass sie gut sind, wie sie sind. Wertvoll, liebenswert. Das sollte dann aber, finde ich, auch genau so gesagt werden. Denn sonst laufen wir Gefahr, unter umgekehrten Vorzeichen doch wieder dem Götzen zu huldigen, in dessen Namen Frauen seit Generationen unter Druck gesetzt werden und sich selbst unter Druck zu setzen. Auch wenn wir sie bereitwillig verinnerlicht haben – es darf bezweifelt werden, dass die jeweils geltenden Standards von Frauen erfunden wurden. Um sich davon zu überzeugen, genügt ein Gang durch jede beliebige Gemäldegalerie. Frauen und ihre Körper wurden zu 98 Prozent durch die Augen von Männern betrachtet.

Meine Großmutter schüttelte über meine Obsession den Kopf

Warum nehmen wir Schönheit überhaupt so wichtig? Warum muss der Bauch einer Frau, die Kinder geboren hat, schön sein? Was ist das überhaupt für ein Maßstab? Reicht es nicht, dass er neue Menschen hervorgebracht hat?

Ich denke an meine Großmutter, Jahrgang 1907. Es war ihr Traum, Ärztin zu werden. Da ihre Eltern es unnötig fanden, dass eine Frau studiert, verdiente sie sich das Geld für ihr Medizinstudium selbst. Meine Großmutter war weder besonders hässlich noch besonders schön. Es war ihr nicht egal, wie sie aussah, regelmäßig ließ sie sich schöne Kleider anfertigen. Aber es war auch nichts, womit sie sich sonderlich viel beschäftigt hätte. Und wenn sie Vorbilder hatte, dann wohl eher jemanden wie die Ärztin Gabriele Possaner, die nach langem Kampf als erste Frau an einer Universität Österreich-Ungarns promovieren durfte. Als ich als Teenager begann, eine gewisse Obsession für mein Äußeres zu entwickeln, schüttelte sie verwundert den Kopf. Sie fand es viel interessanter, sich mit mir über Literatur zu unterhalten oder über wissenschaftliche Forschung.

Die Geheimwaffe des Patriarchat

Vielleicht ist es tatsächlich so, dass es sich bei unserer ganzen Schönheitsbesessenheit um eine Art Geheimwaffe des Patriarchats handelt, wie Naomi Wolff schon 1990 in ihrem Buch „Mythos Schönheit“ vermutet hat. All die Zeit, alle Energie und alles Nachdenken, das Frauen auf die Beschäftigung mit ihrem Äußeren verwenden, so Wolffs These, fehlt ihnen, um den Männern Konkurrenz zu machen.

Wie wäre es also, wenn wir Falten und Fett einfach nicht so wichtig nähmen, anstatt uns abzumühen, sie schön zu finden? Was ein Jammer, dass die Sängerin Adele, die in ihrer Fülle jahrelang zeigte, dass Erfolg auf Können und Ausstrahlung beruhte, sich jetzt einer Norm angepasst hat, die sie aussehen lässt wie alle anderen. Dabei sollte diese Norm für das, was wirklich zählt, für Klugheit, Charisma und Stil, für Güte und Humor, für Persönlichkeit und Lebensleistung und selbst für die Liebe einfach keine große Rolle spielen.

Bettina Homann

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