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Modecollage. Viele Materialien, Muster und Farben verwendete Walter Van Beirendonck für den Mantel.

© Francois Guillot/AFP

Walter Van Beirendonck: Wie ein bunter Hund

Der belgische Designer Walter Van Beirendonck setzt auf Farben. Das sieht man auch an seinen Kostümen für „Die Zauberflöte“ an der Staatsoper Berlin.

Walter Van Beirendonck kann so grimmig gucken, als wolle er sich für den Vorsitz der örtlichen Hells Angels bewerben. Er trägt einen gepflegten ZZ-Top-Bart und klackert mit dicken Silberringen, einem an jedem Finger. Aber seine Stimme ist sanft, und auf Fragen antwortet er erst mit einem kurzen Nicken, dann mit einem Lächeln. Seine blauen Augen starren das Gegenüber nicht wie auf seinen Imagefotos stahlblau an, sondern milde wolkig. Gerade ist er 62 Jahre alt geworden, die Glückwünsche tut er mit einem Schulterzucken ab, „da habe ich ja nichts für getan.“

Der belgische Designer versteht sich also auf Mimikry. Oder darauf, der Welt seine Geschichten in Form von Kleidung zu verkaufen. Und Geschichten hat er viele, ob es um Safer Sex geht, um Tiere, das Klima, Kunst oder Politik – er findet für jedes Problem einen Ausdruck in seinen Entwürfen. „Manchmal ist es einfach zu offensichtlich, dass Dinge in der Welt schieflaufen. Dann muss ich es in meiner Arbeit ausdrücken“, sagt er.

Walter Van Beirendonck nach seiner Schau im Januar in Paris.
Walter Van Beirendonck nach seiner Schau im Januar in Paris.

© Francois Guillot/AFP

Dabei macht er es sich nicht einfach. Er entwirft nur für Männer, weil es da mehr Grenzen zu verschieben gibt. Bei seiner letzten Schau im Januar in Paris zeigte er Anzüge aus verschiedenen Stoffen, zusammengesetzt wie Collagen, bonbonfarbene Mäntel mit riesigen Kunstpelzkragen, Westen und Jacken mit aufeinandergestapelten, vorgeschnallten, gerollten Wolldecken und Stoffapplikationen in Form riesiger Froschköpfe, die Glubschaugen saßen links und rechts auf den Schultern der eher androgyn aussehenden Models. Dazu fröhlich bedruckte Ganzkörperanzüge, die immer wieder in seinen Kollektionen auftauchen. Van Beirendonck hat schon Latex und knallbunt gemusterte Trikotagen benutzt, als Technojünger noch gar nicht wussten, dass sie bald die passende Kleidung zu ihrer Musik brauchen würden.

Immer wieder ist Sex ein Thema. Ein kleines Männchen mit großem Bart und Penis wurde schon in den neunziger Jahren zur Symbolfigur auf seinen Entwürfen. Denn auch wenn er Probleme ansprechen will – heiter soll es trotzdem sein, sagt er: „Es ist total okay, wenn Leute meine Sachen ansehen und sagen: Lustige T-Shirts, tolle Farben und knallige Muster. Aber es ist auch gut, wenn sie die Schicht darunter entdecken. Es gibt unterschiedliche Wege, sich meiner Arbeit zu nähern.“

Er inszenierte große Modenschauen, als Karl Lagerfeld seine Chanel-Kollektion noch manierlich im Salon zeigte, und suhlte sich in Farben, als die japanischen Designer um Yoji Yamamoto und Rei Kawakubo von Comme de Garcons Schwarz als Religion vorgaben. Und er trug schon Bart, als sich niemand vorstellen konnte, dass junge Städter das jemals wieder schick finden würden. Man kann also sagen: Walter Van Beirendonck schert sich nicht darum, was die anderen denken. Er erkennt aber durchaus Bedürfnisse, er sieht sie sogar voraus.

Walter Van Beirendonck ist ein ausgefuchster Spieler

Vielleicht ist er deshalb der richtige Mann, um an der Staatsoper Berlin die Kostüme für eine neue Zauberflöte zu machen, die alles bisher Dagewesene auf den Kopf stellen soll. Eine Woche vor der Premiere sitzt er bei einem Glas Wasser im Büro der lichten, sehr aufgeräumten Kostümwerkstatt und erzählt, wie er und der Regisseur Yuval Sharon eine der weltweit meistgespielten Opern neu interpretieren wollen. Der Ausgangspunkt war, dass man „Die Zauberflöte“ durch die Augen von Kindern sehen soll. Alle Schauspieler, Sänger und Tänzer sind Marionetten, die an Fäden hängen.

Aufnahme der Probe zu der Oper "Die Zauberflöte" an der Staatsoper Unter den Linden
Aufnahme der Probe zu der Oper "Die Zauberflöte" an der Staatsoper Unter den Linden

© Annette Riedl/dpa

Es geht also ums Spielen, und Walter Van Beirendonck als einer der ausgefuchstesten Spieler der Mode macht kein Geheimnis aus seinem Schaffensprozess. Im Gegenteil, er blättert durch seine Skizzenbücher, in die er fein säuberlich Bilder geklebt hat. Alles, was er zur Zauberflöte finden konnte, Marionetten, das Triadische Ballett von Oskar Schlemmer, das „Schokoladenmädchen“ des US-amerikanischen Bildhauers Paul McCarthey, Installationen der Feministin Louise Bourgeois, dazu Bilder von Plateauschuhen, Frisuren und Mode – auch seine eigenen. „Ich sammle, ohne zu wissen, was ich damit tun werde, es sind alles Ideen, die meine Fantasie anregen. Diese Arbeit ist für mich sehr wichtig, um mit dem Zeichnen beginnen zu können. So arbeite ich für jede Kollektion“, sagt Van Beirendonck.

Papagena. Der Entwurf des Kostüms von Walter Van Beirendonck.
Papagena. Der Entwurf des Kostüms von Walter Van Beirendonck.

© Zeichnung von Walter Van Beirendonck für die Oper "Die Zauberflöte" in der Staatsoper Unter den Linden

Seine Zeichnungen hat er zu einem zweiten Buch zusammengefügt, auf der ersten Seite Tamino, der in einem Kostüm mit Holzmaserung und roten Stiefeln wie eine Mischung aus Marionette und Superheld aussieht. Besonders Papageno und Papagena sind unverkennbar Van Beirendoncks Welt entsprungen. Da die Darstellerinnen und Darsteller nicht nur auf der Bühne stehen, sondern auch darüber schweben, tragen alle ein Geschirr am Körper, mit dem sie in die Luft gehoben werden können. Daraus hat Van Beirendonck einen Kunstgriff gemacht und zieht dem Vogelmann Papageno ein Gerüst über, das wie ein Skelett aussieht. Daran hängen bunte Stoffe, Federn, große und kleine Glocken. Papagena hat noch zusätzlich Flügel auf dem Rücken, die sie abmontieren kann. Von Papageno unterscheidet sie sich nur durch ihre langen Haare und einen kleineren Schnabel.

Den drei Damen hat Van Beirendonck besonders viel Aufmerksamkeit gewidmet und sie zu einer Person vereint. Mal stehen sie in einer riesigen Wolke, mal werden sie von bodenlangen Haaren umflossen, mal schießen sie Laserstrahlen aus ihren überdimensionierten Brüsten.

Walter Van Beirendonck weiß, dass diese Inszenierung ein Risiko ist, dass sie vielleicht nicht nur wohlwollend aufgenommen wird. Aber das nimmt er in Kauf. Mehr noch, nur so kann er arbeiten. In seiner Welt ergeben diese raumgreifenden, auffälligen Kostüme Sinn, denn die Inszenierung soll den ganzen Bühnenraum vollständig ausfüllen.

Designer wie Demna Gcasalia und Haider Ackermann haben bei ihm studiert

Um die ganz großen Säle zu füllen, ist er der Mann. Auch weil er sich immer wieder auf Projekte jenseits der Mode einlässt. Er hat Ausstellungen kuratiert, Bücher geschrieben, einen Comic gezeichnet und Kostüme für Theater und Ballett entworfen: „Ich mache solche Projekte, weil es ein gutes Gegengewicht zur Mode ist. Das gibt mir Sauerstoff, ich kann in eine neue Welt eintauchen und arbeite mit neuen Leuten zusammen. Das macht meine Arbeit viel reicher“, sagt der Mann, der seit 20 Jahren Kulturbotschafter Flanderns ist.

Wenn man es aus einer bestimmten Perspektive betrachtet, ist Van Beirendonck einer der mächtigsten Männer der Modewelt. Er leitet die Modeabteilung der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Antwerpen, eine der weltweit wichtigsten Modeschulen. Insofern bestimmt er mit, aus wem ein erfolgreicher Modedesigner wird. Demna Gvasalia von Vetements und der Franzose Haider Ackermann haben bei ihm studiert. Selbst Raf Simons, der schon bei Dior und Jil Sander Chefdesigner war und nicht Mode studiert hat, fing nach einem Praktikum bei ihm an, Mode zu entwerfen. Aus anderer Perspektive ist Van Beirendonck einer der wenigen unabhängigen Designer. Er hat eine lange Durststrecke von gut 15 Jahren hinter sich gebracht, während der er, um sich treu bleiben zu können, aus dem Modesystem ausstieg.

Er wollte nicht, dass die Arbeit ihn todunglücklich macht

Seine Karriere begann 1985 mit einer Präsentation auf der Londoner Fashion Week als Teil der berühmt gewordenen „Antwerp Six“. Aus heutiger Sicht wirken die sechs Absolventen der Königlichen Akademie gecastet wie eine Teenieband, um belgische Mode berühmt zu machen: Dries van Noten, der Fleißige und Intellektuelle mit Hang zu klassischen Schnitten und Goldbrokat, Ann Demeulemester, die Androgyne mit Hang zu schwarzer Dramatik, Dirk Bikkembergs, der Sportliche, Dirk van Saene, Marina Yee und schließlich Van Beirendonck, der Verrückte. Ab da ging es steil nach oben, von 1993 bis 1999 entwarf er für Mustang unter der Marke W.A.L.T., was für „Wild and Lethal Trash“ stand, lustige, bunte und provokative Mode: „Die neunziger Jahre waren sehr wichtig für mich, ich hatte all diese unglaublichen Shows und Shops überall auf der Welt.“

Bunt muss es sein. Ein Outfit aus der Kollektion für Herbst/Winter 2019/20
Bunt muss es sein. Ein Outfit aus der Kollektion für Herbst/Winter 2019/20

© Francois Guillot/AFP

Der Anfang des Jahrhunderts war nicht die Zeit für knallige Farben. Er erinnert sich noch genau daran, wie er sich entscheiden musste, ob er mit der Mode gehen und dafür seine Handschrift hätte verraten müssen. „Ich habe zehn Jahre in einer Firma gearbeitet. Spätestens, als sie anfingen, mich in eine bestimmte Richtung zu drängen, dachte ich: Okay, entweder habe ich jetzt viel Geld und bin todunglücklich mit meiner Arbeit oder ich bin glücklich. Das waren die zwei Möglichkeiten, es gab nichts dazwischen. Deshalb habe ich sofort aufgehört und bin unabhängig geworden. Das war die beste Entscheidung meines Lebens.“

Gerade erlegt Van Beirendonck ein Comeback seiner Mode

Auch damit war er viel früher dran als seine Kollegen: „Ich fand, dass die Art, wie Mode produziert und konsumiert wurde, nicht das Richtige für mich und auch nicht für die Welt war. Deshalb habe ich mit einem komplett neuen Blick auf die Mode von vorne begonnen. Für mich wurde es noch wichtiger, genau das zu tun, was ich wollte: Wenig und in Europa zu produzieren.“ Das tut er bis heute, in Antwerpen eröffnete er seinen Laden „Walter“ und verkaufte seine Kollektionen für Männer lange nur dort.

Seit gut drei Jahren spürt Van Beirendonck eine deutliche Veränderung. Er spricht von einem Comeback: Plötzlich wird er für das geschätzt und gelobt, was er immer gemacht hat – auf den ersten Blick erkennbare Mode mit Ansage.

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