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Passt. Ballard zieht alle Outfits selbst an.

© Laura Schaeffer

Weg mit den Etiketten und Vorschriften: Olivia Ballard und ihr Mut zum Körper

Die New Yorkerin entwirft in Berlin Kleider für alle Geschlechter, die mehr zeigen als verhüllen. Damit scheint sie eine Sehnsucht nach Körperlichkeit zu erfüllen.

Olivia Ballard trägt einen weißen Sweater, viele silberne Anhänger und Ringe an beiden Händen. Während des Gesprächs ist sie dauernd in Bewegung, beinahe als würde sie tanzen. Ihr Studio liegt in Neukölln, auf der Sonnenallee. Von dort aus hat die gebürtige New Yorkerin die Berliner Modeszene innerhalb eines Jahres ordentlich auf den Kopf gestellt. „Ich komme von der Skulptur, habe in den USA Kunst studiert. Design ist für mich im Grunde nur eine andere künstlerische Ausdrucksform, die ich mir jetzt aneigne“, sagt sie.

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Die Kleidungsstücke und vor allem die Körper in den Kleidungsstücken erinnern an Ballards Ursprünge in der plastischen Kunst. Der transparente Stoff enthüllt mehr, als dass er verhüllt, legt sich eng an jede Kurve des Körpers und bleibt dabei abstrakt, die Farbverläufe erinnern an Marmor. Der Körper der Träger wird so zur Skulptur, Inklusivität lautet dabei das Schlüsselwort. Jedes Kleidungsstück kann auf unterschiedliche Weise getragen werden, es gibt keine Etiketten, Vorschriften und vor allem keine Zuschriften: Ballards Mode ist genderfluid, dabei hyperfeminin.

Im Gegensatz zu anderen Berliner Designern, wie etwa Richert Beil, will Ballard Geschlechterkategorien nicht auflösen oder verneinen, sondern aktiv mit ihnen spielen. „Jüngere Generationen sind es leid, binären Vorstellungen von Gender entsprechen zu müssen. Das spiegelt sich in ihrem Kleidungsstil und Kaufverhalten wider“, erklärt Ballard. „Die Generation Z investiert sehr viel mehr in Vintage-Kleidung und kleine lokale Designer.“ Dabei zähle Klimaschutz mehr als der Preis und ehemals starre Vorstellungen von Mann und Frau lösen sich auf, werden abgelöst von einer Vielzahl von Geschlechtsidentitäten.

Ballard ziehe alle Outfits selbst an, das hat sie sich geschworen

„Ich habe mich während meines Studiums viel mit dem Thema Weiblichkeit befasst, mit der Frage, was es bedeutet, eine Frau in dieser Gesellschaft zu sein.“ Ballard wollte ein inklusives Verständnis von Weiblichkeit schaffen, was sich heute auch in ihren Entwürfen zeigt. Sie feiern den menschlichen Körper in seiner Einzigartigkeit, in all seinen Facetten, Formen und Kurven. Kleidung sei nur eines von vielen Werkzeugen, die eigene Identität auszudrücken. Auch hyperfeminine Kleidung könne und solle von jedem getragen werden, nicht nur von cis-Frauen.

Die Freiheit der Stadt Berlin und der Clubkultur war es, was die New Yorkerin mit Anfang zwanzig nach Deutschland brachte, um beruflich und persönlich zu wachsen. Dort, wo in New York Champagner und das kleine Schwarze regierten, stieß Ballard in Berlin auf eine Märchenwelt und modische Ausgelassenheit.

„Gerade während des Lockdowns kauften viele Kunden online, auf den Social-Media-Kanälen.“ Instagram wurde für Ballard zum Hilfsmittel, um ihre Ideen zu vermarkten. „In den letzten zwei Jahren wollten sich viele Menschen ablenken, sich etwas gönnen, um sich schön zu fühlen, auch wenn man nur zu Hause sitzt.“ Fotos auf Instagram ersetzten das Gesehenwerden im Club, überbrückten die Monate der Anspannung und halfen der jungen Designerin auf dem Weg in die Sichtbarkeit. „Über Content-Interaktionen entstand eine Community, die mich als kleine Marke unterstützt hat. Bilder von mir in meinen Entwürfen zu posten, wurde zu einem Zeichen von Body Positivity. Es entstand eine Bewegung. Es war toll, daran teilzuhaben.“

Fragt man Ballard nach Inspirationen, beginnt sie über Romanesco zu sprechen.
Fragt man Ballard nach Inspirationen, beginnt sie über Romanesco zu sprechen.

© Laura schaeffer.

Ballard ziehe alle Outfits selbst an, das habe sie sich eingangs geschworen, lacht sie. „Ich muss wissen, wie sich das Kleidungsstück verhält und ob es bequem ist, ich will auch verstehen, wie ich mich fühle, wenn ich es trage. Wenn ich es nicht anziehen würde, wie könnte ich es von jemand anderem erwarten?“ Für Ballards transparente Kleidungsstücke braucht es eine gewisse Portion Mut, auch für die Designerin selbst. Natürlich gehe sie nicht in ihren Outfits allein auf die Sonnenallee. Mode dürfe kulturelle Codes nicht komplett ignorieren, betont die Künstlerin.

Mit ihren Kreationen trifft Ballard den Nerv der Zeit. Designer wie Harris Reed, Raf Simons oder das Duo Eckhaus Latta spielen seit einiger Zeit mit den Grenzen der Geschlechter, auch große Häuser wie Gucci entwerfen genderfluide Kollektionen. Ob es ein Trend bleibt, der hohe Verkaufszahlen verspricht, oder ob die Veränderung nachhaltig ist, muss sich Ballard zufolge erst noch zeigen. Die Künstlerin selbst navigiere die Geschlechterzwischenräume nicht, um zu verkaufen, sondern um ihrer Community etwas zurückzugeben.

Der Weg in die Mode war für sie reiner Zufall, erzählt Ballard. Sie wollte ein Outfit für sich selbst nähen, zum Tanzengehen. „Ich wollte ein Kleid, in dem ich mich gut bewegen kann, das perfekte Partykleid sozusagen, weil ich ungern shoppen gehe.“ Während der Pandemie beginnt sie sich an den Materialien und der Nähmaschine ihrer Mitbewohnerin auszuprobieren. Mesh faszinierte Ballard als Stoff aufgrund seiner Flexibilität. Ein Stoff, welcher sich an alle Körperformen anschmiegt, ohne gezwungenermaßen auf Maß geschneidert werden zu müssen.

Ihr erstes Kleid wird zum Hit, Ballard beginnt, für Freunde und bald auf Bestellung zu nähen. Sie postet spaßeshalber auf Instagram und bekommt erste Anfragen von Stylisten, die ihrer Kleider für Editorials ausleihen wollen. Aus einem Kleid wird so eine erste Kollektion aus transparenten Oberteilen mit überlangen Ärmeln, Tops und Hosen mit vielen Bändern. Das ganze Jahr 2021 arbeitet Ballard konzentriert an ihrem Label, der Erkennungswert der ersten Arbeiten ist hoch. Im zweiten Jahr arbeitet das Label an einer ruhigen Kollektion mit mehr Basics und neuen Materialien. „Wir experimentieren mit einer Vielzahl von Stoffen, mal sehen, welche es in die finale Kollektion schaffen.“

Fragt man Ballard nach Inspirationen, beginnt sie über Romanesco zu sprechen

Ballard will jeden Schritt der Produktion selbst verstehen: „Ich könnte nicht delegieren, ohne selbst genau gesehen zu haben, wie alles läuft.“ Ähnlich wie ihre Bewegungen, wenn sie spricht, folgen Ballards Schnitte den Materialien der neuen Kollektion. Sie soll klein bleiben, um die 15 Teile. Dazu kommt Schmuck, als Hommage an die eigenen Ursprünge in der Skulptur. Eine erste Modenschau hat Ballard auch schon im Kopf, eine Mischung aus Performance, Runway und einfachem Zusammensein zwischen Models, Künstlern und Gästen.

Fragt man Ballard nach Inspirationen, beginnt sie über Romanesco zu sprechen. „Dieses Gemüse ist an sich schon eine Skulptur.“ Nichts gehe über die Form dieses Broccoli. Abgesehen von Pflanzen und Musik – von Hip-Hop bis Techno läuft alles im Studio – inspirieren Ballard Designer der neunziger Jahre wie Vivienne Westwood, Jean Paul Gaultier und Versace.

So unterschiedlich diese Designer auch sein mögen, findet man Spuren aller drei in Ballards Arbeit. Die hyperfeminine Wespentaille Jean Paul Gaultiers, der extravagante Anspruch Westwoods sowie das goldene Partykleid der neunziger Jahre, das erst vor Kurzem zum vierzigsten Geburtstag des Hauses Versace ein Revival erlebte. Die Hommage lässt sich in den Arbeiten der jungen Amerikanerin erahnen, welche mit Geduld und unbändiger Kraft Zwischenräume belebt und neu definiert. Bis jetzt noch in Berlin, bald vielleicht in London und Paris.

Amelie Baasner

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