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Mit Weitblick: Wolfgang Joop.

© dapd

Wolfgang Joop: Glauben an das Wunderkind

Mehr als ein Jahr ist es her, dass Wolfgang Joop seine letzte Wunderkind-Kollektion in Paris zeigte. In der Mode ist das eine Ewigkeit. Jetzt hat er in Potsdam einen Neuanfang gewagt – und Glück gehabt.

Die Stöckel versinken im Gras, der Wind weht vom See her, die Seidenkleider flattern. Das ehemalige Supermodel Nadja Auermann trägt etwas pudrig Blusiges und sie sieht aus, als hätte sie gerade noch mit ihren Kindern im Sandkasten gespielt und sich nur schnell was Schickes übergeworfen – gekonnt nachlässig. So gefällt es dem Gastgeber Wolfgang Joop.

Hier am Ufer des Heiligen Sees steht es sich hübsch herum. Bis hinunter zu den Trauerweiden am Wasser stehen sorgfältig gekleidete Menschen und unterhalten sich bei einem Gläschen Champagner um 12 Uhr mittags.

Jetzt ist Joop mit seiner Marke Wunderkind wieder da, wo er vor fast zehn Jahren angefangen hat; er macht eine kleine, feine Schau in seiner Villa Rumpf in Potsdam.

Im holzvertäfelten Foyer wurden kleine weiße Klappstühle aufgestellt. Angelica Blechschmidt, die ehemalige Chefredakteurin der Vogue und Katja Kessler, die Ehefrau von Kai Diekmann, fotografieren sich gegenseitig. Die aktuelle Chefredakteurin der Vogue, Christiane Arp, schaut streng, Anna Maria Jagdfeld, Inhaberin des Edelkaufhauses Quartier 206, schaut noch ein wenig strenger, ihr Sohn Nikolaus neben ihr trägt einen lustigen Hut. Nadja Auermann und die Damen von der Modepresse begrüßen sich fröhlich. Es geht zu wie auf einem Klassentreffen. Es ist ja auch gerade keine Saison, die letzte Modenschau für Herbst/Winter 2012/13 in Paris liegt schon mehr als zwei Monate zurück, Wolfgang Joop ist spät dran.

Von der Treppe mit gedrechselten Handläufen staksen die ersten Models herab. In einem Mantel aus Mohair, einem transparenten Rock mit tailliertem Blazer mit rundem Revers – alles in Schwarz. Schwarz ist eine gute Idee für einen Neuanfang, die Konzentration liegt auf dem Schnitt, auf der Silhouette, wie bei einem schmalen Jerseykleid mit Keulenärmeln, an der Schulterpartie ist der Stoff geschlitzt und fällt in weichen Falten.

Vorher hat Wolfgang Joop gesagt, dass Wunderkind erwachsener geworden sei. Bedeutet das etwa, dass er sich zurücknimmt, nicht mehr mit Stoffen, Farben und Mustern spielt?

Da kommt das erste Kostüm in einem sanften Korallton, das nur noch einen schwarzen Streifen am Rücken hat, dann Mäntel aus gekochter Wolle, die aussehen, als hätten sie in einem früheren Leben als Wolldecken die Bewohner der Villa Rumpf gewärmt. Und dann gibt es doch noch die Mischung, an der man Wunderkind sofort erkennt: Karomuster mit Ozelotdruck, Wollfilz mit Leder, mit Gabardine, mit viel Seide.

Nach der Schau sagt der Designer nur ein Wort: „Unerschrocken.“ Und ein wenig scheint es, als jubeln ihm seine Gäste zu, weil er es wieder gewagt hat, so sichtbar viel Geld zu verschwenden – um möglichst viele und schöne Kleider zu entwerfen.

Es kann ja auch schiefgehen, wenn einer es allen noch mal so richtig zeigen will. Immerhin hat Wolfgang Joop ein Jahr gebraucht, um alle Verbindlichkeiten, Abhängigkeiten, Streitereien und Nebenschauplätze wie zum Beispiel seine Teilhabe bei Schiesser hinter sich zu lassen.

Aber es war nicht zu befürchten, dass sich keiner mehr für Joop interessiert. Denn außer ihm gibt es keinen in Deutschland, der so aufwendige Mode macht. Was einem hier in Potsdam wie Verschwendungssucht vorkommt, ist in Paris während der Prêt-à-porter-Schauen alltäglich: Stoffe, die gerafft und gewickelt werden, Schnitte, die so weit vom Burda-Grundschnitt entfernt sind, dass es viel Mühe und Arbeit kostet, sie zu entwickeln.

Auch Edwin Lemberg, Partner von Wolfgang Joop und eigentlich für den realistischen Blick zuständig, möchte an diesem Tag Teil der Inszenierung sein. In seinem weiß-grau gestreiften Anzug und mit der runden Sonnenbrille auf der Nase sitzt er ganz vorne auf seinem Stühlchen, als ob er gleich mit dem Designer im Austin Martin davonbrausen wollte.

Was war

Als Wolfgang Joop 2003 anfing mit Wunderkind, haben sich viele gewundert, was er damit ausdrücken wollte und es unter Selbstverwirklichung abgehakt. Warum mit 58 Jahren noch einmal ganz von vorne anfangen, wenn man schon eine Firma hatte, die den eigenen Namen trug – sogar mit Ausrufezeichen. Warum nicht Kunst sammeln oder Rosen züchten in Potsdam.

Vielleicht, weil Wolfgang Joop nun einmal auf eine Bühne gehört. Er malt, schauspielert, schreibt Bücher. Doch nur mit Kleidern scheint Joop so viel Geduld zu haben, dass er wirklich etwas mit ihnen erzählen kann.

Seine erste Kollektion zeigt er in der Villa Rumpf, die nächste in Berlin. Dann, nach einem kurzen Ausflug nach New York, geht er 2006 nach Paris zu den Prêt-à-porter-Schauen. Erst ist Wunderkindnur am Rande dabei, dann mittendrin, als offizieller Bestandteil des Schauenkalenders mit Modehäusern wie Chanel, Dior und Chloé. Auch hier löst er erst einmal Befremden bei den Modekritikern aus: „Wo kommt das her, wo will er damit hin?“ Aber er macht weiter, findet zu seiner Formensprache, mischt Stoffe, Farben, Muster, die ihm gefallen – Leopard mit Blumen! – schichtet Materialien übereinander: alles, nur keine Reduktion, keine Beschränkung.

Es ist, als würde Joop auf einem Gaul nach Paris reiten und gegen eine hochgerüstete Kriegsflotte antreten. Denn Modemachen kostet Geld, vor allem wenn man tun möchte, was man will und nicht die Controller und Manager nach dem besten Preis-Leistungsverhältnis fragt. „Bedenkenlosigkeit“, dieses Wort hört man von Wolfgang Joop jetzt immer wieder, wenn er nach seiner Arbeitsweise gefragt wird. Er will bedenkenlose Mode machen und sich nicht reinreden lassen. Und er findet Leute, die seine Waffen finanzieren, seine Nachbarn aus Potsdam, das Ehepaar Hans-Joachim und Gisa Sander. Seine Waffen, das sind kostbare Stoffe, eigene Drucke, gutes Personal. Die Schau in Paris ist ein kostspieliger Feldzug und auch ein großes Geschäft am Gendarmenmarkt gehört dazu, um sich als ernst zu nehmender Designer zu behaupten. Viele gibt es nicht, die sich die exorbitant teuren Kleider leisten können. Wollen schon – die Marke Wunderkind steht bald für wunderschöne Kleider. Joop erfindet die Anlassmode für das Berlin des 21. Jahrhunderts neu. Kleider, die luxuriös aussehen, die nicht einengen und abschnüren, die, mit ein wenig Haltung getragen, lässig aussehen, obwohl sie tausende Euro kosten. Irgendwann gibt es Streit mit seinen Investoren, Wunderkind macht auch im Jahr 2011 noch Verluste, die Investoren wollen endlich Rendite. Nach heftigen Auseinandersetzungen kauft Joop alle Anteile zurück. Wunderkind gehört ihm wieder ganz allein. Joop will weiterarbeiten.

Was kommt

Wolfgang Joop hat sich seine eigene Modewelt geschaffen. Da fragt keiner, ob das neu sei, ein wegweisender Trend wird, darum geht es bei Wunderkind nicht. Dafür wird er auch am Donnerstag nach seiner Schau nicht mit Küssen und Bravorufen belohnt – sondern einfach dafür, dass er sich traut, weiter unglaublich aufwendige Kleider zu entwerfen. Die hat er, ohne auf Bestellungen zu warten, vorproduziert, damit sie noch rechtzeitig geliefert werden. Schon vor ein paar Monaten hat er gesagt: „Jetzt fängt es an, dass wir rationell arbeiten müssen.“

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